Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
eROSITA und die Dunkle Energie
Das Röntgenteleskop eROSITA
eROSITA [1] gelangte am 13. Juli 2019 vom russischen Kosmodrom Baikonur in Kasachstan aus mit einer Proton-Rakete ins All. Der Start erfolgte gemeinsam mit dem russischen Experiment ART-XC [2], das den Himmel bei höheren Röntgenenergien als eROSITA vermisst. eROSITA und ART-XC bilden gemeinsam die Satellitenmission Spektrum-Roentgen-Gamma (SRG). Die hundert Tage dauernde Reise bis zum Lagrange-Punkt L2 in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung auf der sonnenabgewandten Seite der Erde benutzten wir zur Inbetriebnahme von eROSITA und dem Test aller Systeme. Am 13. Oktober hatten wir die Inbetriebnahme des Teleskops offiziell abgeschlossen. Die sich anschließende Phase von Beobachtungen einzelner Objekte diente der Kalibrierung des Teleskops und der Demonstration seiner Leistungsfähigkeit. Am 8. Dezember begann schließlich die geplante Himmelsdurchmusterung. Dabei rotiert der Satellit, sodass die beiden parallel ausgerichteten Teleskope den Himmel permanent in Großkreisen abtasten. Die Kreise verlagern ihre Ausrichtung im Raum mit dem Umlauf um die Sonne, so dass nach jeweils einem halben Jahr der Himmel einmal vollständig abgedeckt ist. Dieses Prinzip hatten wir bereits bei der erfolgreichen Himmelsdurchmusterung von ROSAT angewandt. Der Survey von eROSITA soll vier Jahre andauern und wird die von ROSAT an Empfindlichkeit für schwache Röntgenquellen bei weitem übertreffen.
Konkrete Pläne für eROSITA wurden ab 2005 entwickelt und mündeten 2009 zu einem Abkommen zwischen den Raumfahragenturen DLR auf deutscher und Roskosmos auf russischer Seite. Das Instrument wurde vollständig unter der Leitung des MPE entwickelt und gebaut, einzelne Komponenten davon haben Firmen geliefert. Die komplizierte Elektronik, das Kühlsystem und viele andere Komponenten wurden komplett von unserem Institut entwickelt und gefertigt. Auch haben wir die umfangreiche wissenschaftliche Analyse-Software entwickelt, aufbauend auf den Erfahrungen mit ROSAT und dem Weltraumteleskop XMM-Newton. Unterstützung bekamen wir von Instituten an den Universitäten in Tübingen, Erlangen, Hamburg, Bonn und der LMU München sowie dem Leibniz-Institut in Potsdam.
Galaxienhaufen, Dunkle Materie und Dunkle Energie
Die wissenschaftliche Zielsetzung von eROSITA [3] ist wesentlich von der um die Jahrtausendwende entdeckten beschleunigten Expansion des Universums geprägt. Dazu möchten wir 100.000 Galaxienhaufen entdecken und ihre Masse und Entfernung bestimmen. Galaxienhaufen bestehen aus tausenden von einzelnen Galaxien, eingebettet in bis zu 100 Millionen Grad heißes Gas. Interessanterweise tragen die Galaxien und das heiße Gas etwa 20 % der Gesamtmasse des Haufens bei. Der weitaus größte Anteil besteht aus Dunkler Materie, von der wir, abgesehen von ihrer ausgeübten Schwerkraft, nahezu nichts wissen.
Galaxienhaufen sind die größten gravitativ gebundenen Objekte im Universum. Ihre Entstehung und Entwicklung ist durch die Gravitation (vor allem der Dunklen Materie) dominiert, während ihre großräumige Verteilung und Anzahldichte von der Geometrie des Universums abhängt. Hier kommt die Dunkle Energie ins Spiel, die nach verbreiteter Auffassung zur Beschreibung der beschleunigten Expansion benötigt wird und sämtliche anderen Energieformen im Kosmos überwiegt.
Galaxienhaufen können wir im Röntgenbereich relativ einfach entdecken (Abbildung 1). Sie machen sich durch die heiße Gaswolke bemerkbar, während bei Beobachtungen im sichtbaren Licht vieler einzelner Galaxien erst eine Zuordnung zu einem Haufen hergestellt werden muss. Im sichtbaren Licht sieht man sprichwörtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht. Da wir mit eROSITA Galaxienhaufen bis zu einer Entfernung von 6-8 Milliarden Lichtjahren Entfernung sehen werden, können wir deren Verteilung bis weit in die Vergangenheit zurück bestimmen, und so kosmologische Parameter ableiten, die zur Eingrenzung der Natur der Dunklen Energie benötigt werden. Röntgenbeobachtungen von Galaxienhaufen erlauben somit Einblicke in die Expansionsrate des Universums, den Anteil der sichtbaren Materie und weitere Informationen über die Entstehung von Galaxienhaufen nach dem Urknall.
Das Erste Licht und erste Erfahrungen
Wenn ein Teleskop das erste Mal auf den Himmel gerichtet wird, hat das anvisierte Himmelsobjekt meistens keine hohe wissenschaftliche Bedeutung. Man sucht sich dafür bekannte oder auch spektakuläre Objekte aus. Für eROSITA gab es dafür auch einen historischen Grund, da sowohl 1990 für ROSAT als auch 2000 für das europäische Weltraumteleskop XMM-Newton die Große Magellansche Wolke (Large Magellanic Cloud, LMC) gewählt wurde (Abbildung 2).
Die diffusen Strukturen im Bild der LMC stammen von heißem Gas mit Temperaturen von einigen Millionen Grad. Überreste von Supernovae sieht man als kompakte, nebulöse Gebilde. Der jüngste befindet sich in der Bildmitte und stammt von der Sternexplosion im Jahre 1987, die mit bloßem Auge sichtbar war. Die Beobachtungen mit eROSITA bestätigen, dass diese Quelle wieder langsam schwächer wird, während sich die Schockwelle der Sternexplosion immer weiter im interstellaren Medium ausdehnt.
Eine Vielzahl weiterer Quellen in der LMC, Vordergrundsterne aus unserer Heimatgalaxie oder weit entfernte aktive galaktische Kerne sind ebenfalls zu sehen. Die „weiße Taube“ am unteren linken Bildrand ist die extrem helle, punktförmige Röntgenquelle LMC X-1, die wir bei der Ausrichtung des Teleskops absichtlich knapp außerhalb des Bildfeldes gelegt hatten. Damit wollten wir den Einfluss von technisch unvermeidbarer Streustrahlung von solch hellen Quellen bestimmen. Dies sind die kaum sichtbaren Ringe ausgehend von LMC X-1
Viele andere wissenschaftliche Ziele
Eine vollständige Himmelsdurchmusterung besitzt ein großes Entdeckungspotenzial für Röntgenquellen. So könnte es aufgrund der Erfahrung mit ROSAT sein, dass Kometen als erste entdeckt werden. Wir erwarten, etwa 700.000 Sterne im Röntgenbereich zu detektieren und dazu noch viele Supernova-Überreste, die möglicherweise bisher übersehen wurden, weil sie hinter dichten Gas- und Staubwolken versteckt sind. Hier wird eROSITA sein bedeutendes Entdeckungspotenzial ausspielen können. Schließlich werden wir mehr als drei Millionen supermassereiche Schwarze Löcher in den Zentren ferner Galaxien messen und kartographieren.