Krankheitserreger aus dem Meer

Bakterium nutzt spezialisierte Zellen zur Verbreitung

Im Küstenbereich der Meere lebt das Bakterium Vibrio parahaemolyticus, einer der Hauptverursacher von Magen-Darm-Infektionen beim Menschen. Ein Forscherteam um Simon Ringaard vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg untersucht, wie sich die Bakterien an die wechselnden Umweltbedingungen der Gezeitenzone anpassen. Ein spezieller Zelltyp, die „Abenteurer"-Zelle, sorgt für die Verbreitung des Erregers. Die neuen Erkenntnisse bilden eine wichtige Grundlage, um die Erkrankung künftig eindämmen zu können.

Vibrio-Infektionen zählen in Mittel- und Nordeuropa zu den „emerging diseases", deren Aufkommen jüngst gestiegen ist oder wahrscheinlich in naher Zukunft steigen wird. Gründe dafür sind der weltweite Handel und die durch die globalen Klimaveränderungen bedingten höheren Wassertemperaturen. Muscheln, Austern und Krabben, die aus tropischen Regionen in unsere Supermärkte gelangen, können sowieso ganzjährig und zu einem hohen Prozentanteil kontaminiert sein. Problematisch wird es, wenn diese roh oder nur unvollständig gegart verzehrt werden.

Vibrio parahaemolyticus bildet Kolonien in der Gezeitenzone von Mündungsgebieten. Sein komplexer Lebenszyklus orientiert sich an den jeweiligen Bedingungen dieses Lebensraumes. Doch wie passt sich das Bakterium an den Umgebungswechsel an, und wie besiedelt es neue Habitate? „Damit Maßnahmen gegen die Verbreitung von Vibrio parahaemolyticus und anderen Vibrionen entwickelt werden können, müssen wir zunächst den Aufbau und die Verbreitungsstrategie der Bakterienkolonien verstehen“, erläutert Simon Ringaard vom Marburger Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie. Er und sein Team stellen im Labor die Bedingungen der Gezeitenzone nach und erforschen damit den Lebenszyklus und die Bewegungsmechanismen von Vibrio.

Schwimmer- und Schwärmerzellen

Viele Bakterien bilden, wenn es die Umweltbedingungen erfordern, spezielle Zelltypen – so auch Vibrio parahaemolyticus. Während sich kurze Schwimmerzellen mit einer einzigen polaren Zellgeißel in flüssiger Umgebung schnell fortbewegen können, finden sich die länglichen Schwärmerzellen in Kolonien, die feste Oberflächen besiedeln. Ihre seitlichen Geißeln befähigen sie zu einer kriechenden Besiedelung weiterer Oberflächengebiete. Die Vibrio-Bakterienkolonien der Gezeitenzone weisen eine ganz bestimmte Schichtung auf: während die Mitte der Kolonie aus eher kürzeren Zellen besteht, finden sich die längeren Schwärmerzellen in den Außenbereichen der Kolonie.

Das Max-Planck-Forscherteam konnte zeigen, dass bei einer Überflutung der Kolonie mit Wasser Zellen in die flüssige Umgebung freigesetzt werden. Überraschenderweise sind das jedoch weder die außen gelegenen langen Schwärmerzellen, noch die innen gelegenen kurzen Zellen, sondern ein ganz unerwarteter und neuer Zelltyp mittlerer Länge macht sich auf den Weg. Diese „Abenteurer"-Zellen sind für das Leben im Wasser optimiert und verfügen über besonders gute Schwimmeigenschaften.

Ausbreitung der Erkrankung

Nach ihrer Freisetzung sind die Abenteurer-Zellen in der Lage, sich in ihrer neuen flüssigen Umgebung zu verbreiten. Vor allem können sie potenzielle Nährstoffquellen wie Chitin "riechen" und sich auf potenzielle Nährstoffquellen zubewegen: Chitin ist ein wesentlicher Bestandteil der Meerestiere, an die Vibrio parahaemolyticus gebunden ist. So hat die Freisetzung von Abenteurer-Zellen ins Wasser das Potenzial, die Ausbreitung des Bakteriums in der Umwelt - und damit auch in unserer Nahrungskette - zu unterstützen.

Die Marburger Forscher haben den Lebenszyklus in Abhängigkeit von den Umgebungsbedingungen und der Zeit untersucht. Die daraus resultierenden charakteristischen Expressionsmuster der Zelltypen könnten zukünftig dem Nachweis des Bakteriums dienen. Doch vielleicht geht um etwas viel Weitreichenderes. „Unsere Experimente zeigen, dass die Kolonie stets eine Subpopulation von Abenteurer-Zellen bereithält, um bei Überflutung sofort diese spezialisierten Zellen freizugeben. Abenteurer-Zellen hätten so eine zentrale Bedeutung für die weltweite Epidemiologie der Erkrankung – und damit auch für Maßnahmen zu ihrer Eindämmung, zum Beispiel in der industriellen Aquakultur“, sagt Ringaard.

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