Die „All-Chemie“ von Neutronensternen

Astronomen finden heraus, dass die Kollision dieser kosmischen Objekte tatsächlich schwere Elemente produziert

Es war eine Sensation, als Astronomen am 17. August 2017 Gravitationswellen von zwei verschmelzenden Neutronensternen sowie im optischen Bereich eine sogenannte Kilonova beobachteten. Man vermutete seinerzeit, dass eine solche kosmische Kollision schwere Elemente wie Gold oder Platin erzeugen würde. Jetzt haben Astronomen, auch aus dem Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie, in den Spektren von damals tatsächlich ein solches Element identifiziert: Strontium, das offenbar im sogenannten r-Prozess erzeugt wurde. Dieser schnelle („rapid") Neutroneneinfang erscheint maßgeblich für die Produktion von Elementen, die schwerer als Eisen sind. Die Forscher haben damit eindeutig nachgewiesen, dass die Vereinigung zweier Neutronensterne die Voraussetzungen für diesen Prozess schafft und als Reaktor dient, in dem neue Elemente erbrütet werden.

Woher stammen die chemischen Elemente, die wir heute beobachten? Für einen Teil davon haben die Wissenschaftler plausible Antworten gefunden. So wurden die leichtesten Elemente wie Wasserstoff und Helium in nennenswerten Mengen wohl bereits im Urknall erzeugt. Als Quelle für Elemente bis hin zum Eisen gilt die Kernfusion in den Zentren der Sterne. Die Herkunft von schweren Elementen wie Gold, Blei oder Uran hingegen konnten die Forscher bis heute noch nicht völlig aufklären.

Doch die Wissenschaftler haben eine Vermutung: Demnach entstammen die schwereren Atome einem Prozess, der freie Neutronen an bereits bestehende Bausteine anlagert. Eine Variante dieses Mechanismus wird als r-Prozess (rapid) oder schneller Neutroneneinfang bezeichnet. Aber welche kosmischen Objekte ermöglichen solche Reaktionen? Als potenzielle Kandidaten gelten bisher seltene Formen von Supernovaexplosionen sowie die Verschmelzung von zwei Neutronensternen, also den extrem dichten Endstadien von massereichen Sonnen.

Am 17. August 2017 beobachteten Astronomen eine solche kosmische Kollision in der rund 130 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie NGC 4993. Damals wurden sowohl Gravitationswellen gemessen, als auch Gammastrahlen registriert. Und im sichtbaren Licht zeigte sich dieses heftige Ereignis als Kilonova mit der Bezeichnung AT2017gfo – ein Nachleuchten aufgrund der radioaktiven Prozesse, das nach einem zunächst starken Helligkeitsanstieg innerhalb weniger Tage verblasste.

Die erste Analyse der Spektren durch eine andere Forschungsgruppe lieferte zunächst kein klares Ergebnis über die Zusammensetzung der Reaktionsprodukte. Jetzt hat ein internationales Team mit wesentlicher Beteiligung von Camilla Juul Hansen vom Max-Planck-Institut für Astronomie die Spektren von damals erneut ausgewertet und dabei die Signatur des Elements Strontium entdeckt. Es wurde während der explosionsartigen Verschmelzung der beiden Neutronensterne im r-Prozess gebildet.

Die explosive Vereinigung erzeugte eine Blase, die sich mit rasenden 20 bis 30 Prozent der Lichtgeschwindigkeit ausdehnt. Der Anteil des neu gebildeten Strontiums an der expandierenden Hülle beträgt etwa fünf Erdmassen. Somit liefern die Forscher zum ersten Mal den eindeutigen Nachweis, dass solch eine Kollision die Bedingungen für den r-Prozess bietet, in denen schwere Elemente erzeugt werden können. Nebenbei ist dies die erste empirische Bestätigung dafür, dass Neutronensterne tatsächlich aus Neutronen bestehen.

Der r-Prozess ist wahrhaftig rasant. Pro Sekunde strömen mehr als 10²² Neutronen durch eine Fläche von einem Quadratzentimeter. Durch den Beta-Zerfall verwandeln sich einige der angehäuften Neutronen in Protonen, also Wasserstoffkerne. Dabei werden jeweils ein Elektron und ein Antineutrino abgegeben. Das Besondere an dieser Reaktion ist, dass sich die Neutronen schneller zu großen Objekten zusammenfügen, als die neu entstandenen Konglomerate wieder zerfallen. So können selbst aus einzelnen Neutronen innerhalb von Sekundenbruchteilen schwere Elemente entstehen.

Die aktuelle Auswertung von Camilla Juul Hansen und ihren Kollegen basiert unter anderem auf der Modellierung der beobachteten Spektren, die über vier Tage hinweg in einem Abstand von je einem Tag aufgenommen wurden. Dabei nutzten die Wissenschaftler den Spektrografen X-Shooter am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO). Die Spektren deuten auf ein Objekt mit einer anfänglichen Temperatur von etwa 3400 Grad Celsius hin, welches sich dann abschwächte und abkühlte. Auffällig sind die Helligkeitsdefizite bei Wellenlängen von 350 und 850 Nanometer – gleichsam die Fingerabdrücke des Elements, das an diesen Stellen das Licht verschluckt.

Die Forscher haben zudem synthetische Spektren von einer großen Anzahl von Atomen mittels dreier Methoden mit zunehmender Komplexität berechnet. Die Ergebnisse all dieser Methoden stimmten gut überein. Und so kamen die Astronomen zu dem Schluss: Nur im r-Prozess erzeugtes Strontium kann die Positionen und die Stärke der Absorptionsbänder in den Spektren erklären.

„Die Ergebnisse dieser Arbeit sind ein wichtiger Schritt bei der Entschlüsselung der Nukleosynthese von schweren Elementen und ihren kosmischen Brutstätten“, sagt Hansen. „Dies war nur durch die Verknüpfung der erst jungen Disziplin der Gravitationswellenastronomie mit präziser Spektroskopie elektromagnetischer Strahlung möglich. Diese neuen Messmethoden geben Hoffnung auf weitere bahnbrechende Erkenntnisse über die Eigenschaften des r-Prozesses.“

HOR / MN

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