Kosmische Kollision erzeugt Neutrino

Das vom IceCube-Detektor aufgefangene flüchtige Teilchen stammt wohl aus dem turbulenten Zentrum einer fernen Galaxie

Es war eine kleine Sensation: Wissenschaftler meldeten im Juli 2018, etwa ein Jahr zuvor mit dem IceCube-Observatorium am Südpol ein hochenergetisches Neutrino aus einer fernen Galaxie aufgefangen zu haben. Es sollte von einem Objekt mit der Bezeichnung TXS 0506+056 stammen – einer sehr aktiven fernen Galaxie. Ein internationales Team unter der Leitung von Silke Britzen vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie hat nun detailreiche Radiobeobachtungen von TXS 0506+056 aus den Jahren 2009 bis 2018 untersucht und eine Erklärung für die Neutrinoaktivität gefunden: Ursache ist demnach ein kosmischer Zusammenstoß innerhalb der Galaxie.

In Objekten wie TXS 0506+056 geht es turbulent zu. Tatsächlich sind solche aktiven galaktischen Kerne die energiereichsten Quellen im Universum. Dabei fällt Materie auf zentrale, supermassereiche schwarze Löcher, wobei Teilchenstrahlen und Plasmaströme – sogenannte Jets – in den intergalaktischen Raum hinausgeschleudert werden.

Eine besondere Klasse bilden die Blazare, bei denen der Jet direkt in Richtung Erde zielt und das Objekt daher besonders hell erscheint. Das Neutrinoereignis „IceCube-170922A“ vom September 2017 hatte allem Anschein nach seinen Ursprung in einem solchen Blazar mit der Bezeichnung TXS 0506+056. Er steht in einer Lichtlaufzeitentfernung von ungefähr 3,8 Milliarden Lichtjahren.

„Es war schon etwas rätselhaft, warum ausgerechnet diese Galaxie als Quelle für das Neutrino identifiziert werden konnte“, sagt Silke Britzen, Mitarbeiterin am Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie und Erstautorin der jetzt erschienenen Studie. „Daher wollten wir herausfinden, was TXS 0506+056 so speziell macht.“ Aus diesem Grund untersuchten die Forscher eine Zeitreihe sehr detailreicher Radiobilder des galaktischen Jets.

Überraschenderweise zeigte sich eine nicht erwartete Wechselwirkung im Jetmaterial von TXS 0506+056. Während das Plasma im Jet normalerweise gleichförmig in einer Art Strömungskanal fließt, scheint die Situation in dieser Galaxie anders zu sein: Offenbar gehen die verstärkte Neutrinoaktivität während eines Neutrinoausbruchs in den Jahren 2014 und 2015 sowie das im Jahr 2017 aufgefangene Einzelneutrino IceCube-170922A auf eine kosmische Kollision innerhalb der Galaxie zurück.

Nach einem Szenario der Astronomen trifft neu erzeugtes Jetmaterial auf einen älteren Jet; die stark gekrümmte Struktur des Jets in den Beobachtungen scheint diese Annahme zu unterstützen. Eine zweite mögliche Erklärung ist der Zusammenstoß zweier Jets in derselben Quelle. In jedem Fall steckt eine heftige Kollision dahinter.

„Die Kollision von Jetmaterial ist im Moment der einzige denkbare Mechanismus, der die Entdeckung eines Neutrinos aus dieser Quelle erklären kann“, sagt Markus Böttcher, Wissenschaftler von der südafrikanischen North-West-Universität in Potchefstroom. Woraus aber besteht ein solcher galaktischer Jet? Aus Elektronen und Positronen? Oder aus Material, in dem auch Protonen vorkommen? Oder aus einer Kombination von beidem? „Zumindest müssen in dem Material Protonen vorhanden sein, sonst hätten wir das Neutrino nicht entdeckt“, sagt Böttcher.

Kollisionen von ganzen Galaxien scheinen im Weltall recht häufig zu sein. Unter der Annahme, dass zwei miteinander kollidierende Galaxien jeweils ein supermassereiches schwarzes Loch im Zentrum aufweisen, erzeugt der Zusammenstoß dieser Galaxien ein Paar von schwarzen Löchern, die sich in immer geringer werdendem Abstand umkreisen und schließlich miteinander verschmelzen.

Seit langem suchen die Astronomen nach aktiven galaktischen Kernen mit zwei schwarzen Löchern in einem geringen Abstand von nur wenigen Lichtjahren. Sie dürften jedoch sehr selten und auch schwer zu identifizieren sein. Im Fall von TXS 0506+056 ist dies wohl gelungen, denn die Forscher haben auch Anzeichen für eine Präzession des zentralen Jets gefunden, das heißt, der Jet ändert seine Achse wie ein rotierender Kinderkreisel.

„Diese Präzession lässt sich entweder durch ein binäres supermassereiches schwarzes Loch erklären oder aber durch den Lense-Thirring-Effekt, wie ihn Albert Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt“, sagt Michal Zajaček vom Zentrum für Theoretische Physik in Warschau, einer der Autoren der Studie. Der Lense-Thirring-Effekt könnte wiederum von einem zweiten massiven schwarzen Loch in etwas größerem Abstand im Zentrum der Galaxie ausgelöst worden sein.

Christian Fendt vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie ist erstaunt: „Je näher wir an den Ursprung der Jets herankommen, desto komplizierter werden deren innere Struktur und Dynamik. Und die binären schwarzen Löcher bedingen eine komplexe Struktur in dem ausgeworfenen Material.“

In jedem Fall scheint es zum ersten Mal gelungen zu sein, die Kollision zweier Jets im Herzen einer Galaxie auf Skalen von nur wenigen Lichtjahren zu bestätigen und sie in Verbindung mit einem kosmischen Neutrino zu bringen.

 HOR / NJ

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