Unter Schimpansen

Lou Marie Haux vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin hat drei Monate lang auf Ngamba Island in Uganda das Risikoverhalten von Schimpansen untersucht. In diesem Beitrag berichtet sie von ihren Verhaltensstudien, vom Alltag auf einer kleinen Insel und über ihre schönsten Momente.

Ngamba Island ist eine etwa 40 Hektar große Insel inmitten des Victoriasees – und daher ausschließlich per Schiff zu erreichen. Seit dem Jahr 1998 existiert hier eine Auffangstation für Schimpansenwaisen. Einige der Tiere wurden vor dem Bushmeat-Handel gerettet und auf die bewaldete Insel gebracht. Um zu den Schimpansen zu gelangen, fliege ich ab Berlin nach Entebbe. Von dort geht es mit einem Boot zwei Stunden über den Victoriasee weiter nach Ngamba Island.

Der größte Teil der Insel wird von den Schimpansen – einer unserer nächsten lebenden Verwandten – bewohnt. Außer mir und meiner Forschungskollegin von der britischen Universität Warwick leben auf der Insel noch einige Tierpfleger und Köche. Unser Aufenthaltsbereich beschränkt sich auf acht kleine Häuser, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Schlafräumen der Schimpansen befinden.

Gesicherte Schlafplätze und regelmäßige Fütterungen sind überlebensnotwendig für die 49 Schimpansen. Denn der Wald, welcher einen Großteil der Insel überwuchert, bietet nur wenigen Schimpansen Nahrung. Würden die Tiere zudem im Wald schlafen, wäre dieser in kürzester Zeit vollkommen verwüstet, da Schimpansen für gewöhnlich jede Nacht ein neues Nest bauen.

Die Schimpansen diktieren unseren Tagesrhythmus. Frühmorgens werden sie gefüttert und sind anschließend am empfänglichsten für unsere Verhaltensstudien. Es ist faszinierend zu beobachten, wie die Tiere denken, überlegen und Entscheidungen treffen. In einer Studie können sich die Schimpansen zum Beispiel entweder eine Erdnuss sichern – oder auf Risiko spielen; dabei können sie ihren Gewinn verdoppeln, aber auch leer ausgehen. Mich interessiert dabei in erster Linie, ob sich die Risikopräferenzen von Schimpansen und Menschen unterscheiden oder wo etwaige Gemeinsamkeiten sichtbar werden. Das Ziel meiner Forschung ist es, mehr über die evolutionären Ursprünge menschlichen Risikoverhaltens herauszufinden.

Sobald die Studien beendet sind, schwärmen die Schimpansen in den Regenwald aus. Dort tauchen sie in die Natur ein und werden von uns Menschen nicht gestört. Ich widme mich in der Zwischenzeit anderen Aspekten meiner Forschungsarbeit: Dateneingaben, Videokodierung oder erste Studienanalysen. Der Alltag auf der kleinen Insel – obschon geprägt von wenigen Menschen und sich wiederholenden Tätigkeiten – ist dennoch alles andere als eintönig. Unzählige Pflanzen, Vögel, Fledermäuse und Warane machen jeden Tag einzigartig – und mit den Schimpansen ist sowieso kein Tag wie der andere. Gelegentlich fahren wir nach Entebbe, um Einkäufe zu erledigen, die meiste Zeit verbringen wir jedoch auf Ngamba. Immer wenn ich das Boot verlasse, bin ich voll und ganz im „Inselfieber“.

Bei Einbruch der Dunkelheit kommen die Schimpansen wieder „nach Hause“, werden gefüttert und bereiten sich auf die Nacht vor. Auch ich gehe relativ früh schlafen, nur wenige Meter von ihren Schlafräumen entfernt. Oft liege ich nach einem langen und anstrengenden Forschungstag erschöpft auf dem Bett und kann deutlich hören, wie diese mir so lieb gewordenen Tiere ihre Nester bauen, es sich in ihren Hängematten bequem machen und miteinander kommunizieren. Dann fühle ich mich auf eine ganz besondere Art mit ihnen verbunden – und für mich sind das die schönsten Momente auf Ngamba Island.

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