Ein Paradies in Weiß und Blau

Konrad Meister vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz hat in Kooperation mit den Universitäten in Oregon und Illinois (USA) vier Monate in der Antarktis geforscht. Er erzählt von langen Arbeitstagen, erklärt, was seine Forschung mit Speiseeis zu tun hat und warum die Antarktis ein Ort voller Gegensätze ist

In dem Moment, als der erste Fisch anbiss und ich mir dachte: „Das gibt es doch nicht. Um dich herum ist nichts außer Eis und Schnee. Und du sitzt da und fischst“, da realisierte ich erst, dass ich nun tatsächlich in der Antarktis war. Dem südlichsten Kontinent der Erde. 16 796 Kilometer von Mainz entfernt.

Eine anstrengende Anreise lag hinter mir. Von Frankfurt ging es zunächst nach Christchurch in Neuseeland. Von dort flog ich mit einer LC-130-Maschine der US Air Force in die Antarktis zur McMurdo Station, einer alten Navy Base, die je nach Jahreszeit mehreren Hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als Unterkunft dient.

Den Alltag dort würde ich am besten mit „eat, sleep, science“ beschreiben. Da es niemals dunkel wird, ist ein Arbeitstag von 8 bis 23 Uhr keineswegs ungewöhnlich. Die Tage laufen verhältnismäßig gleich ab: Pistenbully beladen, zum Angelplatz fahren und ein Loch durch das mehrere Meter dicke Eis bohren. Anschließend heißt es erst mal: Angeln! Haben ich und meine Kollegen genug Fische gefangen, fahren wir zurück zur Station. Dort entnehmen wir den Fischen etwas Blut und setzen sie dann in spezielle Aquarien, um weitere Untersuchungen vorzubereiten.

In meiner Forschung beschäftige ich mich mit der Frage, warum Fische in der Antarktis nicht gefrieren. Als Pionier dieser Wissenschaft gilt der Amerikaner Arthur Devries. Er entdeckte in den 1960er-Jahren, dass diese Fische spezielle Proteine besitzen, die als eine Art natürliches Frostschutzmittel wirken, weshalb Devries sie Antifreeze-Proteine nannte. Mittlerweile ist einiges über deren Funktionsweise bekannt. Nimmt ein Fisch kleine Eiskristalle auf, docken Gefrierschutzproteine daran an und verhindern, dass das Eis weiterwächst. Mich interessieren dabei besonders die molekularen Mechanismen: Wie binden diese Proteine an Eiskristalle? Ändern sie dabei ihre Struktur?

Aus diesem Grund wechselte ich ans Max-Planck-Institut für Polymerforschung in die Abteilung für Molekulare Spektroskopie, die mit hochmodernen spektroskopischen Methoden und einem ausgezeichneten Eislabor ideale Bedingungen für meine Forschung bietet. Nun fehlten nur noch die Proteine, und ich bin dankbar, dass mir Direktor Mischa Bonn erlaubte, für einige Monate auf Expedition zu gehen.

Ein wichtiges Anwendungsfeld meiner Forschung ist die Kryopräservation mit dem Ziel, Organe und andere Gewebe einzufrieren. Aber auch in der Lebensmittelindustrie werden Antifreeze-Proteine genutzt, dort sorgen sie beispielsweise dafür, dass Speiseeis cremig bleibt. Zudem sind sie als hochpotenter Gefrierschutz für eine Vielzahl industriell genutzter Oberflächen, etwa für die Flügel großer Windkraftanlagen, von Interesse.

Die Antarktis ist ein Ort voller Gegensätze: Die unendlichen Weiten des Eises erzeugten in mir oft ein Gefühl von grenzenloser Freiheit, gleichzeitig ist man auf diesem Kontinent gefangen und an die Basisstation gebunden. Obwohl die Antarktis einer der abgelegensten Orte der Welt ist, sind auf der Station ständig Menschen um einen rum. So etwas wie Privatsphäre existiert nicht.

Darüber hinaus ist das Leben in der Antarktis sehr monoton. Angefangen beim täglichen Fischen über die immerwährende Helligkeit bis zu der Tatsache, dass man kaum Gerüche oder Geräusche wahrnimmt. Ferner bin ich über Monate hinweg mit den immer gleichen Leuten zusammen, die zudem alle ungefähr gleich alt sind. Da wünscht man sich schon, einmal eine andere Person zu sehen.

Es gibt aber Routinen, von denen ich nicht genug bekommen konnte – oder wer würde sich nicht freuen, regelmäßig Wale, Robben oder Pinguine aus nächster Nähe zu sehen? Und auch bei der Landschaft, die auf den ersten Blick nur Eis und Schnee zu sein scheint, entdeckte ich mit der Zeit immer feinere Unterschiede. Ich werde die Antarktis deswegen stets als einen besonderen Ort in Erinnerung behalten: als Paradies in Weiß und Blau.

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