Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens - caesar

Ultraschnelles Einfrieren eines Aktivierungsprozesses - Eine Diashow molekularer Bewegung

Autoren
Peuker, Sebastian
Abteilungen
Abteilung Molekulare Neurosensorik
caesar (center of advances european studies and research)
Zusammenfassung
Rezeptoren versorgen Zellen mit wichtigen Informationen indem sie Reize aus der Umgebung registrieren. Im Inneren der Zelle übersetzen oft Botenstoffe die Information in eine zelluläre Antwort. Einer der wichtigsten Botenstoffe ist das 3'-5'-zyklische Adenosinmonophosphat (cAMP). Das cAMP bindet an spezifische Zielproteine und verändert deren räumliche Struktur; sie werden vom inaktiven in den aktiven Zustand überführt. Wir möchten mit möglichst hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung verfolgen, wie sich die Struktur der Proteine nach der Bindung von cAMP ändert.

Zyklische Nukleotid-gesteuerte Signalwege findet man in nahezu allen Organismen – vom Bakterium bis hin zum Menschen. Viele physiologische Prozesse werden über diese zellulären Botenstoffe reguliert. Demgegenüber stehen nur wenige Zielproteine, die zyklische Nukleotide binden und Signale in zelluläre Antworten umwandeln. Zu diesen Zielproteinen gehören (1) bakterielle Transkriptionsfaktoren, die cAMP-abhängig die Transkription von Genen steuern, (2) die Proteinkinasen A und G, die Phosphatgruppen auf andere Proteine übertragen. (3) Austauschfaktoren, die bei kleinen GTP-bindenden Proteinen den Austausch von GDP durch GTP katalysieren, sowie (4) zyklisch Nukleotid-gesteuerte Ionenkanäle, die – wenn cAMP oder cGMP binden – öffnen und Zellen elektrisch erregen. So verschieden diese Proteine auch sind, ihre Bindestellen für zyklische Nukleotide (cyclic nucleotide-binding domain; CNBD) sind sehr ähnlich. Strukturuntersuchungen haben für all diese Bindestellen einen ähnlichen dreidimensionalen Aufbau gezeigt. Es scheint demnach ein prototypisches CNBD-Modul zu geben, das in ganz unterschiedlichen Proteinen als Steuerelement eingesetzt wird (Abbildung 1).

Wie genau funktioniert dieses Modul? Wie lange bleibt ein Ligand an der Bindestelle gebunden? Und wie ist die Abfolge der Ereignisse, die vom ersten Andocken des Liganden zum aktiven Zustand des Proteins führt?

Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns in der Abteilung Molekulare Neurosensorik von caesar. Als Modellsystem untersuchen wir einen bakteriellen, zyklisch Nukleotid-gesteuerten Ionenkanal (CNG-Kanal). Er ist aus vier Untereinheiten aufgebaut, die sich um eine zentrale Pore anordnen. Jede Untereinheit besteht aus einer Membrandomäne und der intrazellulär gelegenen CNBD, d. h. jeder Kanalkomplex besitzt vier cAMP-Bindestellen. Wir wollen zunächst die isolierte Bindestelle genau verstehen (Abbildung 1).

Dafür muss man sich klar machen, welche Prozesse zu der Aktivierung der CNBD führen. Bekannt ist, dass die CNBD in zwei klar definierten Anfangs- und Endzuständen existiert – keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Der Ligand bindet an die CNBD im Grundzustand und zwingt so das Protein in den aktiven Zustand überzugehen. Diese beiden Prozesse - Bindung und Änderung der Struktur - interessieren uns.

Um die Strukturänderung als Folge der Ligandenbindung verstehen zu können, haben wir zunächst die Geschwindigkeit der Ligandenbindung gemessen. Um die Bindungsreaktion kinetisch zu verfolgen, haben wir in die wissenschaftliche Trickkiste gegriffen. Wir haben ein zyklisches Nukleotid verwendet, das mit einem Umgebungssensor ausgestattet wurde. Der Sensor zeigt an, ob das Nukleotid frei in Lösung oder an die CNBD gebunden vorliegt. Mit diesem Hilfsmittel konnten wir die Bindungsreaktion genau verfolgen sowie alle relevanten Zeitkonstanten bestimmen (Abbildung 2).

Besonders interessant war für uns der Vergleich der Wildtyp CNBD mit der Mutante R348A. An der Stelle 348 ist die Aminosäure Arginin durch die Aminosäure Alanin ausgetauscht. Dadurch wird die Affinität der CNBD für zyklische Nukleotide 350-fach niedriger. Welchen Einfluss hat das auf die Kinetik? Die Antwort ist in diesem Fall erstaunlich einfach: Die Geschwindigkeit der Komplexbildung bleibt konstant und nur die Geschwindigkeit des Zerfalls nimmt zu! Hauptsächlich ändert sich also die Zeit, die der Ligand an der Bindestelle verweilt.

Besonders interessiert uns, wie das cAMP die Konformationsänderung in der CNBD auslöst. Wir kennen bereits den Anfangszustand, also das Protein ohne gebundenes cAMP, sowie den Endzustand, also das Protein mit gebundenem cAMP. Für diese beiden Zustände gibt es hochaufgelöste dreidimensionale Strukturen. Vergleicht man diese beiden Zustände, so erkennt man einen verhältnismäßig unbeweglichen Bereich und einen dynamischen Bereich (Vergleich der Abbildungen 3 A und 3 B).

Wir wollen nun den Übergang vom Anfangszustand in den Endzustand zeitaufgelöst verfolgen. Welche Domänen reagieren als erste auf das Andocken des cAMP? Finden die Umlagerungen sequenziell, also nacheinander, oder aber konzertiert statt? Auch hier ist es schwierig, die räumlichen Änderungen zeitaufgelöst zu verfolgen. Wir können aber spezielle Sonden, sogenannte Spinlabels, in unser Protein einbauen und den Abstand dieser Sonden bestimmen. Wenn das Protein an mehreren unterschiedlichen Positionen paarweise markiert wird, erhält man ein Netzwerk aus Abständen, aus denen man die jeweilige Konformation des Proteins bestimmen kann. Da jede Abstandsmessung mehrere Stunden dauert, planen wir, das CNBD-Protein in den verschiedenen Zwischenzuständen einzufrieren. Für dieses Projekt haben wir in enger Zusammenarbeit mit Simon de Vries von der Technischen Universität Delft eine MHQ‑Anlage gebaut. MHQ steht für „microsecond-hyperfreeze-quenching“. Dabei handelt es sich um eine Anlage, die zwei Lösungen extrem schnell miteinander mischt und anschließend einfriert (Abbildung 4). Der Clou daran ist, dass wir die CNBD mit dem zyklischen Nukleotid in so kurzer Zeit beladen können, dass die CNBD im ersten Moment gar nicht darauf reagieren kann. Nach und nach können wir die Reaktionszeit – also die Zeit zwischen dem Mixen und dem Einfrieren – vergrößern. Die Proben werden danach im eingefrorenen Zustand in aller Ruhe genau untersucht und ein zeitaufgelöstes Bild des strukturellen Übergangs rekonstruiert. Anders ausgedrückt: Mit Hilfe unserer MHQ-Anlage - zurzeit gibt es keine bessere auf der Welt - werden wir eine vierdimensionale Karte der CNBD entwerfen, wobei die vierte Dimension die Zeit nach der Aktivierung ist.

Aber nicht nur für die CNBD-Fragestellung ist diese Anlage geeignet. In gleicher Weise lassen sich auch andere Proteine, beispielsweise Rezeptoren und Enzyme untersuchen. Wir dürfen gespannt sein.

Kaupp, U. B.; Seifert, R.
Cyclic nucleotide-gated ion channels
Physiol. Rev. 82, 769-824 (2002)
Clayton, G. M.; Silverman, W. R.; Heginbotham, L.; Morais-Cabral J. H.
Structural basis of ligand activation in a cyclic nucleotide regulated potassium channel
Cell 119, 615-627 (2004)
Cukkemane, A.; Grüter, B.; Novak, K.; Gensch, T.; Bönigk, W.; Gerharz, T.; Kaupp, U. B.; Seifert, R.
Subunits act independently in a cyclic nucleotide-activated K+ channel
EMBO Rep. 8, 749-755 (2007)
Schünke, S.; Stoldt, M.; Novak, K.; Kaupp, U. B.; Willbold, D.
Solution structure of the Mesorhizobium loti K1 channel cyclic nucleotide-binding domain in complex with cAMP
EMBO Rep. 10, 729-735 (2009)
Schünke, S.; Stoldt, M.; Lecher, J.; Kaupp, U. B.; Willbold, D.
Structural insights into conformational changes of a cyclic nucleotide-binding domain in solution from Mesorhizobium loti K1 channel
Proc. Natl. Acad. Sci. USA [Epub ahead of print] (2011)
Henzler-Wildman, K. A.; Kern D.
Dynamic personalities of proteins
Nature 450, 964-972 (2007)
Cherepanov, A. V.; de Vries, S.
Microsecond freeze-hyperquenching (MHQ). Development of a new ultrafast micro-mixing and sampling technology and application to enzyme catalysis
Biochimica et Biophysica Acta 1656, 1-31 (2004)
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