Die chemische Sprache der Pflanzen ist kontextabhängig

Umgebungsbedingungen und genetische Ausstattung einzelner Pflanzen beeinflussen die Reaktion von Insekten auf pflanzlichen Duftstoff

1. Juli 2019

Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena haben die ökologische Funktion des Duftstoffs Linalool in wilden Tabakpflanzen untersucht. Sie haben das Gen gefunden, das für die Produktion verantwortlich ist und zu stark unterschiedlicher Abgabe von Linalool von verschiedenen Pflanzen derselben Art führt. Tabakschwärmerweibchen legen ihre Eier lieber auf Pflanzen mit einem hohen natürlichen Linaloolgehalt. Gleichzeitig hatte eine höhere Linaloolabgabe zur Folge, dass mehr Eier und frisch geschlüpfte Raupen des Tabakschwärmers von räuberischen Wanzen vertilgt wurden. Verhaltensuntersuchungen in immer komplexerer Umgebung zeigten, dass die Wirkung des Duftstoffs auf Insekten sehr unterschiedlich ausfallen kann, je nach natürlicher Umgebung und genetischer Ausstattung der Pflanze.

Pflanzen haben eine Vielzahl von Strategien entwickelt, um sich gegen Fressfeinde zu verteidigen, zum Beispiel chemische Abwehrstoffe, die Insekten und andere Pflanzenfresser in Schach halten. Darunter gibt es auch flüchtige organische Verbindungen wie Linalool, die die Pflanze oft erst nach einem Befall produziert.

Unter der Leitung von Meredith Schuman und Ian Baldwin haben die Forscher des Max-Planck-Instituts in Jena beobachtet, dass die Rate der von den Raubwanzen ausgesaugten Tabakschwärmereier mit der Menge an Linalool aus wilden Tabakpflanzen übereinstimmt. Bei anderen ähnlichen organischen Verbindungen aus Tabakpflanzen konnten sie dagegen keine entsprechende Übereinstimmung finden.

Linalool fungiert also tatsächlich als chemischer Hilferuf der Pflanze und lockt die räuberischen Wanzen an, die Raupen des Tabakschwärmers angreifen. „Die Abgabe von Linalool variiert sehr stark zwischen einzelnen Tabakpflanzen. Diese Tatsache steht ein wenig im Widerspruch zu der Annahme, dass Linalool in erster Linie ein Abwehrstoff ist, der räuberische Insekten anlockt und Motten abschreckt. Offensichtlich ist es für die Pflanze nicht immer von Vorteil, wenn sie Linalool herstellt“, erklärt Jun He, der Erstautor der Studie.

Experimente mit immer komplexerem Kontext

Die Wissenschaftler identifizierten das Enzym, das in den Tabakpflanzen die Herstellung von Linalool reguliert, und bestimmten dessen genetische Grundlagen. Dafür kreuzten sie Pflanzen mit hoher Linalool-Produktion aus einer natürlichen Population im US-Bundesstaat Arizona mit Pflanzen aus Utah, die vergleichsweise wenig Linalool herstellen. Dieser Ansatz, der auch forward genetics genannt wird, ermöglicht die Bestimmung von Genen, die der natürlichen Variation zugrunde liegen.

In Verhaltensexperimenten setzten die Forscher Tabakschwärmerweibchen Pflanzen aus, die genetisch so verändert waren, dass sie mehr Linalool produzierten. Den Ergebnissen zufolge beeinflusst eine verstärkte Linalool-Produktion das Eiablageverhalten der Falter nur zu einem Teil. Maßgeblich für die Attraktivität der Pflanzen war dagegen der genetische Hintergrund der Ausgangspflanzen, also aus welcher Population die Pflanzen stammten.

Die Bedeutung von Signalen 

Die Wissenschaftler führten weitere Versuche mit Faltern und verschiedenen Tabakpflanzen in Eiablagekammern sowie in einem großen Versuchszelt durch, in denen die Motten frei herumfliegen konnten. Dabei zeigte sich: je komplexer die Umgebung, desto weniger waren die im Windtunnel beobachteten Unterschiede im Verhalten nachweisbar.

So wie Wörter je nach Situation unterschiedliche Bedeutungen haben können, kann auch die pflanzliche „Vokabel“ Linalool von Insekten unterschiedlich interpretiert werden. “Unsere Studie zeigt, dass Nachtfalter auf viele verschiedene Merkmale von Pflanzen reagieren, an denen sie Nahrung suchen oder auf denen sie ihre Eier ablegen. Die Insekten müssen die Informationen dann bei ihrer Auswahl berücksichtigen und zwischen den verfügbaren Pflanzen auswählen. Die Anwesenheit anderer Pflanzen und deren Eigenschaften bestimmen so die Bedeutung jedes einzelnen Signals“, erläutert Meredith Schuman.

Die Erkenntnisse der Wissenschaftler könnten dazu beitragen, Probleme in der standardisierten industriellen Landwirtschaft zu überwinden, wie zum Beispiel die Entwicklung von Resistenzen gegen häufig verwendete Pestizide.

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