Solarstrom auf die Spitze getrieben

Mit einem wenige Nanometer feinen Kontakt liefert ein Ferroelektrikum hohe fotovoltaische Spannungen und Stromdichten

5. April 2011

Künftig lässt sich vielleicht schon mit einer einzigen Solarzelle etwas anfangen. Forscher des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik haben nämlich einen Effekt entdeckt, aufgrund dessen ein fotovoltaisches Element aus Bismutferrit eine Spannung von bis zu 40 Volt und nennenswerte Stromdichten liefert. Herkömmliche Solarzellen aus Silicium erzeugen zwar brauchbare Stromdichten, aber nur 0,5 Volt. Deshalb werden sie auf Panelen in großer Zahl hintereinander geschaltet. Die Max-Planck-Physiker haben nun einen Weg gefunden, Sonnenstrom aus einer Bismutferrit-Zelle zehn millionenfach zu verdichten. Sie greifen ihn mit einer nur wenige Nanometer feinen Spitze eines Rasterkraftmikroskops ab und nicht mit einem Kontakt, der die ganze Probe abdeckt. Mit einem Bündel feinster Kontakte ließen sich daher auf sehr engem Raum brauchbare Spannungen und Stromstärken erzeugen. Zudem könnte der Effekt helfen holografische Filme abzuspielen.

Für manche Physiker ist Bismutferrit so interessant wie eine wasserfeste, winddichte und atmungsaktive Membran für die Hersteller von Freizeitkleidung. Denn das multiferroische Halbleitermaterial erweist sich ebenfalls als ausgesprochen vielseitig: Es vereinigt magnetische, genauer gesagt antiferromagnetische, mit ferroelastischen und ferroelektrischen Eigenschaften. Ähnlich wie ein Magnetfeld die Orientierung der magnetischen Momente in einem Ferromagneten dauerhaft um 180 Grad drehen kann, wechseln ferroelastische Materialien bei Zug oder Druck von einer in die andere Kristallstruktur. Und in ferroelektrischen Materialien ändert ein elektrisches Feld nachhaltig die elektrische Polarisierung, weil es die positiv und negativ geladenen Atome leicht gegeneinander verschiebt.

Marin Alexe und Dietrich Hesse vom Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle haben nun einen Effekt entdeckt, der Bismutferrit für die Fotovoltaik interessant machen könnte. Sie haben festgestellt, dass eine mit Licht bestrahlte Probe des Materials vergleichbare Stromstärken liefert, egal ob sie den Strom durch die Spitze eines Rasterkraftmikroskops oder durch einen makroskopischen Kontakt fließen lassen, der die ganze Probe bedeckt. Da der Durchmesser der Spitze gerade einmal 20 Nanometer beträgt, die Probe aber mehrere Quadratmillimeter misst, heißt das: Die Stromdichte in der Spitze übertrifft die im makroskopischen Kontakt um mehr als das zehn millionenfache. Das zeigt einmal mehr, dass in der Nanowelt andere Gesetze gelten als in unserer Alltagswelt. Denn schließlich heißt es in jedem Physik-Schulbuch, dass der elektrische Widerstand steigt und der Stromfluss abnimmt, wenn der Querschnitt eines Leiters schrumpft.

Warum sich die Stromdichte in der nanosksopischen Spitze so drastisch erhöht, kann Marin Alexe, der die Experimente gemacht hat, noch nicht abschließend erklären. Er hat aber zumindest eine Vermutung: Wahrscheinlich dringt das elektrisch Feld aus der Spitze des Rasterkraftmikroskops nicht linear in das Bismutferrit ein, sondern breitet sich von der Spitze kugelförmig aus. „Wie ein Staubsauger saugt die Spitze dann Ladung aus einem Bereich an, der deutlich größer ist als die Spitze selbst“, erklärt Marin Alexe. „Unter dieser Voraussetzung haben wir eine Stromdichte berechnet, die mit den Messwerten sehr gut übereinstimmt.“

Ein Nanokontakt alleine liefert aber noch keine brauchbare Stromstärke. „Die Stromstärke erhöht sich aber fast linear mit jeder zusätzlichen Spitze“, sagt Marin Alexe. Bislang hat er den Strom mit drei Spitzen abgegriffen. Mit einem noch größeren Ensemble von Nanokontakten lassen sich demnach auch praxisrelevante Stromstärken erzeugen. „Um Silicium oder andere Halbleiter im großen Stil in Solarzellen zu ersetzen, kommt Bismutferrit sicherlich trotzdem nicht in Frage“, sagt Marin Alexe. Dafür bleibe das Material wahrscheinlich dann zu teuer, wenn es so massenhaft gefertigt wird wie Silicium.

Für Nischenanwendungen könnte es aber sehr wohl interessant sein: Etwa wenn auch die magnetischen oder ferroelektrischen Eigenschaften gefragt sind. Oder wenn sich aus Platzgründen nicht beliebig viele herkömmliche Solarzellen hintereinander schalten lassen. Ein fotovoltaisches Element aus Bismutferrit liefert nämlich 40 bis 60, je nach Probe sogar bis zu 80 Mal höhere Spannungen als eine Solarzelle aus Silicium. Das liegt daran, dass die Spannung in beiden Materialien prinzipiell anders erzeugt wird.

Ferroelektrische Eigenschaften erlauben höhere Spannungen

Beiden gemeinsam ist noch, dass Licht die negativen und positiven Ladungsträger erzeugt, die den Strom transportieren. Damit sich eine elektrische Spannung aufbaut, müssen sich die Ladungsträger, die Elektronen und die Löcher, voneinander trennen. Dazu braucht es ein elektrisches Feld: Eine positive Ladung zieht die negativ geladenen Elektronen zur einen Seite, eine negative Ladung lockt die positiven Löcher zur anderen Seite.

Die Ladungen trennen sich in Silicium und Bismutferrit auf unterschiedliche Weise: Silicium wird zu diesem Zweck dotiert, das heißt mit anderen Atomen versetzt. Einem Teil des Halbleiters werden dabei Atome zugesetzt, die mehr Elektronen beisteuern als Silicium selbst mitbringt. In diesem n-dotierten Halbleiter entsteht ein negativer Ladungsüberschuss. Dem anderen Teil des Halbleiters werden Atome unter gemischt, die verglichen mit Silicium elektronisch unterversorgt sind, so dass sich hier positive Ladung ansammelt. In diesem Fall sprechen Physiker von einer p-Dotierung.

Dort, wo die unterschiedlich dotierten Teile aufeinander stoßen, wechseln Elektronen und Löcher nun die Seiten. „In welchem Ausmaß die Ladungstrennung in der Grenzschicht erfolgt, hängt von der Temperatur ab“, erklärt Marin Alexe. Das aber ist für die Elektronen und Löcher, die durch Licht erzeugt werden, entscheidend. Denn diese Elektronen-Loch-Paare trennen sich vor dem Hintergrund des Ladungsunterschieds in der Grenzschicht. „Wenn die Temperatur zu viele Elektronen-Loch-Paare erzeugt, fallen die Fotoelektronen kaum noch ins Gewicht“, sagt Marin Alexe. Letztlich lässt dieser Mechanismus daher nur eine eng begrenzte Spannung zu: Sie entspricht höchstes dem Energieaufwand, mit dem die Elektronen von ihren Atomen abgelöst werden.

Anders im Bismutferrit. Dank seiner ferroelektrischen Eigenschaften lassen sich die unterschiedlich geladenen Atome seines Kristallgitters mit einem von außen angelegten elektrischen Feld verschieben. Durch die verzerrte Ordnung baut sich in dem Material ein elektrisches Feld auf, das auch dann noch bestehen bleibt, wenn das äußere Feld abgeschaltet wird. Dieses Feld trennt nun die Elektronen und Löcher, die vom Licht erzeugt werden. „Wie hoch dabei die Spannung steigt, unterliegt keinen prinzipiellen Beschränkungen, sondern hängt vor allem davon ab, wie die individuelle Probe beschaffen ist“, so Marin Alexe.

Das könnte nicht nur da hilfreich sein, wo wenige Solarzellen nennenswerte Spannungen und Stromstärken bereit stellen sollen. „Dieser Effekt könnte sich auch für holografische Filme nutzen lassen“, sagt Marin Alexe. Denn eine Bedingung für solche dreidimensionalen Filme besteht darin, den Brechungsindex des Speichermaterials durch Lichteinfluss lokal stark ändern zu können. Das geht nur mit hohen lokalen Spannungen – und genau die liefert der fotovoltaische Effekt in ferroelektrischen Materialien wie Bismutferrit.

(PH)

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