Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für Ökonomik (1993 bis 2014)

Ökonomische Glücksforschung

The economics of happiness

Autoren
Binder, Martin; Coad, Alex
Abteilungen
Evolutionsökonomik (Witt)
Max-Planck-Institut für Ökonomik, Jena
Zusammenfassung
Erkenntnisse aus Biologie und Psychologie erlauben es, den ökonomischen Nutzenbegriff hedonistisch, im Sinne von subjektivem Wohlergehen oder „Glück“ zu verstehen. Daraus ergibt sich eine fruchtbare Perspektive auf die ökonomisch relevanten Determinanten von subjektivem Wohlergehen und ihre komplexe Ko-Evolution. Faktoren wie Einkommen, Arbeitslosigkeit, Familie und Gesundheit beeinflussen nicht nur das Lebensglück der Individuen, sondern werden auch wiederum von diesem selbst beeinflusst.
Summary
Inspired by research in biology and psychology, the central economic concept of “utility” has received a hedonistic interpretation with the advent of happiness research. An individual’s happiness (subjective well-being) is influenced by a complex web of determinants such as income, (un)employment, health and social factors. But in turn, happiness also influences all these factors, with happier individuals more successful in all domains.

Wenn Ökonomen über den „Nutzen“ sprechen, den der Konsum von Gütern einem Individuum beschert, dann verstehen sie darunter gewöhnlich eine abstrakte Größe, eine Indexzahl, ohne jegliche psychologische Konnotation. Dies war nicht immer so, denn für die klassischen Ökonomen wie Jeremy Bentham oder John Stuart Mill war Nutzen klar verbunden mit Freude und Leid und damit eine psychologisch fundierte Größe. Die ökonomische Glücksforschung setzt an diesem Punkt an und möchte das ökonomische Nutzenkonzept wieder stärker psychologisch interpretieren. Angetrieben durch Erkenntnisse der Biologie und der Psychologie der letzten Dekaden lässt sich Nutzen nach dieser Argumentation hedonistisch verstehen, entweder als „Erfahrungsnutzen“ [1] oder eben als  „subjektives Wohlergehen“, „Glück“ oder „Lebenszufriedenheit“ [2].

Ökonomische Relevanz der Glücksforschung

Auf deskriptiver Ebene bietet dieser neue Ansatz der Ökonomik die Möglichkeit, ihren Modellen ein realistischeres Menschenbild zugrunde zu legen und zu bestimmen, was  genau (über die bloße Präferenzbefriedigung hinaus) Nutzen stiftet und oder glücklich macht, warum das so ist, und wie sich dieser Prozess im Verlauf der Zeit verändert. So zeigt die empirische Glücksforschung beispielsweise, dass Einkommenserhöhungen sich nicht einfach linear in Erhöhungen individuellen Wohlergehens übersetzen lassen (außer in Fällen großer Armut). Mit zunehmenden Einkommen werden relative Aspekte für die Lebenszufriedenheit wichtiger, etwa der Vergleich mit anderen oder mit den eigenen Erwartungen. Ebenso unterstreichen Ergebnisse der ökonomischen Glücksforschung die Bedeutung nicht monetärer Einflüsse für menschliches Wohlergehen. Wichtige Determinanten sind der soziale Bereich, also Freunde und Familie, aber auch gesundheitliche Aspekte. Auch Arbeit und Beschäftigung wirken sich sehr auf das individuelle Wohlergehen aus. Es wurde nachgewiesen, dass Arbeitslosigkeit die Lebenszufriedenheit weit stärker und nachhaltiger senkt, als dies durch den bloßen Verlust von Einkommen erklärt werden könnte.

Aber auch im Bereich der normativen Ökonomik lassen sich diese Erkenntnisse verwenden: Forscher am Max-Planck-Institut für Ökonomik haben dargelegt, wie ein hedonistischer Begriff von subjektivem Wohlergehen eingesetzt werden kann, um Wohlfahrtsdynamiken und gesellschaftlichen Fortschritt zu bewerten [3]. Dabei profitieren die normative Bewertung und die Analyse der wirtschaftspolitischen Implikationen ebenso von einem reicheren, besser fundierten Menschenbild.

Die Ko-Evolution von Wohlergehen und Lebensereignissen

Im Rahmen eines Forschungsprojektes am Max-Planck-Institut für Ökonomik untersuchten Forscher die empirischen Zusammenhänge zwischen subjektivem Wohlergehen und wichtigen Lebensereignissen der Individuen [4]. Anhand eines sehr informativen britischen Längsschnitt-Datensatzes, des British Household Panel Surveys (BHPS), wurden die komplexen Wirkweisen und Interaktionen sowie der Verlauf der Ko-Evolution zwischen diesen Lebensereignissen und Glück analysiert. Der Datensatz basiert auf Angaben, die die Befragungsteilnehmer über mehr als fünfzehn Jahre hinweg regelmäßig zu ihrem subjektiven Wohlbefinden anhand einer detaillierten psychometrischen Skala machten. Darüber hinaus gaben sie Auskunft über Faktoren wie Einkommen, Familienstand, Gesundheit oder beruflichen Erfolg.

Um nun das komplexe Zusammenspiel von Wohlbefinden und diesen Lebensbereichen zu analysieren, nutzten die Forscher ein spezielles statistisches Verfahren, sogenannte Panel-Vector-Autoregressionen. Diese bilden die Ko-Evolution der Einflussfaktoren über verschiedene Zeiträume ab und zeigen die Struktur der zugrunde liegenden Zusammenhänge in einer globalen interdependenten Perspektive. Das Besondere an dieser statistischen Analyse ist, dass Faktoren nicht unabhängig voneinander untersucht werden, sondern man mit ihrer Hilfe aufdeckt, wie sich alle Faktoren auch gegenseitig beeinflussen.

In dieser Untersuchung stellten die Forscher zwei sehr robuste Zusammenhänge fest: Individuen erleben nach einer Steigerung des eigenen Wohlbefindens auch positive Veränderungen der anderen Faktoren. Wer glücklicher wurde, konnte in der Folge auch über bessere Gesundheit und höheres Einkommen berichten. Ebenfalls robust ist das Ergebnis, dass dies im Umkehrschluss aber nicht der Fall ist, denn positive Veränderungen in den verschiedenen Bereichen führten in den Jahren danach zu sinkendem Wohlbefinden. Dieses Phänomen ist in der Forschungsliteratur als hedonische Anpassung bekannt. Menschen gewöhnen sich also im Verlauf der Zeit an positive wie negative Lebensereignisse.

Die Extreme der Glücksverteilung

Ein weiteres Forschungsprojekt zeigt auf, dass die Ökonomik des Glücks nicht nur in der Ko-Evolution ihrer Determinanten komplex ist, sondern dass diese Einflussfaktoren unterschiedlich wirken, abhängig davon, wie glücklich eine Person überhaupt ist [5]. Viele Ergebnisse der empirischen Glücksforschung gelten immer nur für das durchschnittliche Individuum, weil sie mit einer herkömmlichen Regressionsmethodik erzielt wurden. Was ist aber mit besonders glücklichen oder unglücklichen Individuen? Diese Extreme der Glücksverteilung spielen gerade unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten eine erhebliche Rolle.

Mittels Quantilregressionen lässt sich das volle Spektrum der Glücksverteilung einer Gesellschaft analysieren, und es lassen sich damit auch unterschiedliche Einflüsse auf Individuen in den Extremen der Glücksverteilung aufzeigen. Dabei wird nicht der Effekt einer Größe wie zum Beispiel Einkommen auf das durchschnittliche Individuum gemessen, sondern der Effekt einer Größe in Abhängigkeit der Position des Individuums in der Glücksverteilung. Die Forscher haben für die Analyse ebenfalls den British Household Panel Survey genutzt. Sie kamen zu Ergebnissen, die sich gut veranschaulichen lassen (Abb. 1): Einkommen, Gesundheit und soziale Bindungen wirken sich umso stärker positiv auf das Wohlbefinden aus, je unglücklicher der Einzelne ist (linker Bereich der Diagramme; zum Beispiel beim .1-Quantil die unglücklichsten 10 Prozent der Individuen betreffend). Während Einkommen nahezu in keinem Zusammenhang mit dem Lebensglück der Glücklichsten steht (1a), ist der Effekt bei Gesundheit (1b) und sozialen Bindungen (1c) zwar schwächer, aber nicht ganz verschwunden (jeweils rechter Bereich der Diagramme). Besonders bei sozialen Bindungen ist er auch bei den Glücklichsten noch stark ausgeprägt. Im Falle von Bildung (1d) gibt es sogar eine verblüffende Umkehrung des Vorzeichens: Unglückliche Individuen profitieren positiv von Bildung, dagegen hat Bildung einen negativen Einfluss auf das Glück der Glücklichsten. Anhand der horizontalen Linien, die das Ergebnis einer „normalen“ Regressionsanalyse sind, wird in allen Fällen der Erkenntnisgewinn einer Quantilregression deutlich. Im Falle von Bildung zeigt sich sogar, wie eine herkömmliche Regression, die auf den konditionalen Mittelwert abzielt, einen zugrunde liegenden Zusammenhang übersehen kann: In der normalen Regression mitteln sich der positive Effekt für die Unglücklichen und der negative Effekt für die Glücklichen aus, sodass im Durchschnitt kein Effekt nachgewiesen werden kann!

D. Kahneman, P. P. Wakker, R. K. Sarin:
Back to Bentham? Explorations of experienced utility.
Quarterly Journal of Economics, 112(2), 375–405 (1997).
B. S. Frey, A. Stutzer:
Happiness and Economics.
Princeton University Press, Princeton 2002.
M. Binder:
Elements of an Evolutionary Theory of Welfare – Assessing Welfare When Preferences Change.
Routledge, London 2010.
M. Binder, A. Coad:
An examination of the dynamics of well-being and life events using vector autoregressions.
Journal of Economic Behavior & Organization 76, 352–371 (2010).
M. Binder, A. Coad:
From Average Joe’s happiness to Miserable Jane and Cheerful John: Using quantile regressions to analyze the full subjective well-being distribution.
Journal of Economic Behavior & Organization, im Erscheinen, 2011.

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