Forschungsbericht 2010 - Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft

Korrelierte Materialien im Lichte ultrakurzer Laserpulse

Autoren
Kampfrath, Tobias; Stähler, Julia; Wolf, Martin
Abteilungen
Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin
Zusammenfassung
Materialien, in denen starke Kopplungen zwischen Elektronen, Spins und Gitter auftreten, haben faszinierende Eigenschaften, wie etwa den sprunghaften Übergang von einem elektrischen isolierenden in einen leitenden Zustand bei einer kritischen Temperatur. Hier werden mit Hilfe von Femtosekunden-Laserpulsen solche Phasenübergänge ausgelöst und deren Dynamik auf ultrakurzen Zeitskalen untersucht. Dies erweitert das mikroskopische Verständnis von Materialien mit stark korrelierten Freiheitsgraden – hilfreich für die Suche nach Materialien mit neuen und optimierten elektronischen Eigenschaften.

Viele der uns bekannten festen Materialien sind sogenannte kristalline Festkörper, in denen die Atome auf einem räumlich periodischen Gitter angeordnet sind. Beispiele sind Diamant und Saphir, aber auch Kupfer und Silizium. Die große Anzahl an Elektronen und Atomkernen (≈ 1023 cm-3), die einen Festkörper aufbauen, sorgt für eine Vielfalt von faszinierenden physikalischen Effekten wie das Auftreten von metallischem, isolierendem oder supraleitendem Verhalten. Andererseits erschwert die große Teilchenzahl eine theoretische Beschreibung. Grund dafür ist die starke Korrelation der Ladungsträger untereinander: Durch die elektrostatische Abstoßung hat beispielsweise der Zustand eines Elektrons Auswirkungen auf die Bewegung der anderen Elektronen (Abb. 1(a)). Neben dieser klassischen Wechselwirkung verursacht auch das quantenmechanische Pauli-Prinzip Korrelationen: Zwei Elektronen können sich nicht gleichzeitig im selben Zustand befinden. Um trotz dieser komplizierten Wechselwirkungen zu einer mathematisch beherrschbaren Theorie des Festkörpers zu kommen, vernachlässigen viele Ansätze die Teilchen-Teilchen-Korrelationen zunächst weitgehend [1].

Ein Beispiel für eine solche "unkorrelierte" Theorie ist das sehr erfolgreiche Modell der unabhängigen Elektronen. Hier bewegt sich jedes Elektron in einem räumlich periodischen, effektiven Potenzial, das von den Atomkernen und allen anderen Elektronen erzeugt wird. Damit wird sowohl die Wechselwirkung eines Elektrons mit den anderen Elektronen als auch die Wechselwirkung mit den Atomkernen durch ein und dasselbe mittlere Potenzial erfasst. Die Elektronen bewegen sich unkorreliert (Abb. 1(a) rechts). Dieses Modell führt direkt auf das Konzept der elektronischen Bandstruktur E(k) von Festkörpern: Für jedes Elektron steht ein bestimmter Satz von Zuständen mit Elektronenimpuls k zur Verfügung. Jeder Zustand ist mit einer bestimmten Elektronenenergie E(k) verknüpft ist. Wenn die Funktion E(k) nicht alle Energien abdeckt, treten für die Elektronen energetisch verbotene Bereiche (Bandlücken) auf. Im Grundzustand (bei Temperaturen nahe 0 K) sind alle Zustände bis zu einer bestimmten Energie mit je einem Elektron besetzt (Pauli-Prinzip). Oberhalb dieser Energie (der sogenannten Fermi-Energie EF) sind keine Zustände besetzt. Ein Metall liegt dann vor, wenn die Fermi-Energie in einen Bereich erlaubter Energien fällt (Abb. 1(b)). Legt man eine Spannung an, so werden die Elektronen in unbesetzte Zustände mit minimal höherer Energie angeregt und ein Strom beginnt zu fließen. Liegt die Fermi-Energie hingegen in der Bandlücke, so ist der Festkörper ein Isolator (Abb. 1(b) rechts). Eine angelegte Spannung ist in der Regel zu schwach, um Elektronen anzuregen, da sie dazu die Bandlücke überspringen müßten. Es tritt kein Stromfluß auf.

Das Modell unabhängiger Elektronen kann also erfolgreich die Existenz von elektrischen Leitern und Isolatoren erklären. Da es jedoch Korrelationen aufgrund der elektrostatischen und anderer Wechselwirkungen vernachlässigt, kann es Phänomene wie Supraleitung und Ferromagnetismus nicht vorhersagen. So führt in einem Ferromagneten das Wechselspiel von elektrostatischer Abstoßung der Elektronen und dem Pauli-Prinzip zur spontanen Parallelausrichtung aller Spins, d. h. der magnetischen Momente der Elektronen (Abb. 1(c)). Haben zwei Elektronen denselben Spin, können sie nicht denselben räumlichen Zustand einnehmen (Pauli-Prinzip); sie "gehen sich aus dem Weg". Bei antiparallel eingestellten Spins gibt es diese räumliche Einschränkung nicht (Abb. 1(c) rechts). Das bedeutet aber auch, dass die gemittelte elektrostatische Abstoßung von Elektronen mit parallelen Spins kleiner ist, als mit antiparallelen Spins. Damit sind unter bestimmten Bedingungen parallel eingestellte Spins, also Ferromagnetismus, energetisch begünstigt. Das Absenken der elektrostatischen Wechselwirkungsenergie wird auch als Austauschwechselwirkung bezeichnet. Erwärmt man nun einen Ferromagneten, so wird dessen magnetische Ordnung mehr und mehr aufgeweicht, bis bei einer bestimmten kritischen Temperatur Tc ein sogenannter Phasenübergang in einen magnetisch ungeordneten Zustand stattfindet.

Korrelationen und Kopplungen treten nicht nur zwischen Elektronen, sondern auch zwischen Elektronen und den Atomkernen auf. So vernachlässigt das Modell unabhängiger Elektronen in seiner einfachsten Form die Rückwirkung der Elektronen auf das Kristallgitter. Daher kann beispielsweise ein Material, je nach Anordnung des Gitters und der Elektronen, sowohl metallisch als auch isolierend sein. Ähnlich wie bei den Ferromagneten findet dieser Übergang in vielen Materialien in Abhängigkeit von der Temperatur statt. Ein Beispiel dafür sind Materialien mit einer sogenannten Peierls-Instabilität, die oberhalb einer kritischen Temperatur metallisch sind, wobei die Atome in bestimmten Gitterabständen a angeordnet sind (Abb. 1(d)). Kühlt man das Material ab, kommt es aufgrund der Kopplung zwischen Elektronen und Atomkernen zu einer Minimierung ihrer Gesamtenergie, indem sich das Gitter verzerrt (Abb. 1(d) rechts). Durch das Zusammenrücken der Atome zu Paaren mit Gitterabstand 2a öffnet sich eine Bandlücke, und die Elektronen sinken energetisch ab. Das Material wird zum Isolator. Die Korrelation von Elektronen und Gitter führt also zu einer energetisch günstigeren Situation, die ihrerseits die Materialeigenschaften stark beeinflusst.

Zusammenfassend gesagt können in Materialien mit starken Korrelationseffekten temperaturinduzierte Phasenübergänge stattfinden, bei denen sich bestimmte Materialeigenschaften sprunghaft und drastisch ändern. In den zugehörigen Experimenten wird das System gewöhnlich einer langsamen, quasistatischen Temperaturerhöhung unterworfen, so dass sich das System zu jedem Zeitpunkt im thermodynamischen Gleichgewicht befindet.

Was passiert nun, wenn man diese Materialien auf extrem kurzen Zeitskalen mit Licht anregt, also Energie sehr schnell einbringt? Schnell bedeutet hierbei, dass die Anregung deutlich schneller erfolgt als die Zeit, die das Material benötigt, um nach der Störung wieder ins Gleichgewicht zu gelangen. Da sich solche Relaxationsprozesse teilweise auf der extrem kurzen Zeitskala im Femtosekundenbereich (1 Femtosekunde = 1fs = 10-15 s) abspielen, kommt als Störung nur der derzeit kürzeste verfügbare Stimulus in Betracht, nämlich ein Femtosekunden-Laserpuls. Zur Veranschaulichung: Licht legt in 100 fs nur eine Haaresbreite an Weg zurück.

Eine sehr oft benutzte experimentelle Technik zur Untersuchung ultraschneller Prozesse ist das Pump-Abfrage-Schema (Abb. 2): Ein erster Laserpuls (der Pumppuls) trifft auf die zu untersuchende Probe und regt sie an, heizt etwa die Elektronen auf oder lenkt die Elektronenspins aus ihrer Gleichgewichtslage aus. Um nun den Zustand der Probe nach Anregung zu untersuchen, trifft nach einer einstellbaren Verzögerungszeit Δt ein zweiter Laserpuls (der Abfragepuls) an der Probe ein und findet einen Zustand des Ungleichgewichtes vor, den der Pumppuls verursacht hat. Dieses Ungleichgewicht verändert die Materialeigenschaften der Probe und beeinflusst somit den Abfragepuls, welcher nach Reflexion von, oder Transmission durch die Probe Information über den aktuellen Probenzustand enthält. Durch Variieren von Δt kann man nun Schritt für Schritt die Dynamik der angeregten Probe verfolgen.

Im Folgenden betrachten wir drei verschieden korrelierte Materialien, die einer ultraschnellen Störung ausgesetzt werden. Erstes Beispiel ist der Antiferromagnet NiO, in dem mithilfe von ultrakurzen Magnetfeldpulsen im Terahertz-Bereich Elektronenspins kollektiv über exakt sechs Perioden zu einer Präzessionsbewegung angeregt werden. Im zweiten Beispiel wird in TbTe3 mit einem intensiven Laserpuls ein Isolator-Metall-Übergang induziert und dessen Mechanismus durch Beobachtung der transienten Änderungen der elektronischen Bandstruktur bestimmt. Schließlich wird mittels Femtosekunden-Laseranregung ein ultraschneller struktureller Phasenübergang in VO2 ausgelöst und die damit verbundenen Gitterschwingungen analysiert.

Ultraschnelle Spinkontrolle in antiferromagnetischem NiO

Wir wenden uns zunächst dem Festkörper Nickeloxid (NiO) zu, einem Isolator, der sich aus Ni2+- und O2--Ionen zusammensetzt. Durch die Austauschwechselwirkung (s. o.) sind die Spins von zwei benachbarten Ni2+-Ionen im Grundzustand antiparallel ausgerichtet (Abb. 3). Oberhalb der kritischen Temperatur von 623 K wird diese antiferromagntische Ordnung zerstört und es findet ein Übergang in eine magnetisch ungeordnete Phase statt.

Wie kann man möglichst schnell und gezielt die Spinordnung in NiO verändern? Die natürlichste Art der Störung ist dabei ein äußeres Magnetfeld, das ein Drehmoment auf die Spins ausübt, so wie man es von einer Kompassnadel her kennt. Um möglichst effektiv Energie ins Spinsystem zu bringen, sollte die Frequenz des Magnetfeldes mit einer Resonanz des Spinsystems überlappen. Bei Anregen solch einer Spinresonanz präzedieren die Spins dann um ihre Gleichgewichtslage, ähnlich einem rotierenden Kreisel, dessen Rotationsachse man leicht zur Seite stößt (Abb. 3). Je höher die Resonanzfrequenz ist, desto schneller können die Spins gestört werden.

Antiferromagneten sind hier besonders attraktiv, denn ihre Spins weisen extrem hohe Resonanzfrequenzen auf. In NiO liegt eine Spinresonanz etwa bei 1 THz = 1012 Hz. Grund für diese hohen Frequenzen ist wiederum die Austauschwechselwirkung, die die Antiparallelstellung der Spins erzwingt. Ein äußeres Magnetfeld, das die Spins in eine parallele Konfiguration zu treiben versucht, sieht die Spins somit einer extrem großen rücktreibenden Kraft ausgesetzt. Große rücktreibende Kräfte bedeuten aber (analog zu einer sehr harten Feder) hohe Resonanzfrequenzen.

Ziel des folgenden Experiments ist das ultraschnelle Einschalten und Beobachten einer Präzession der Ni2+-Spins in NiO gemäß dem Pump-Abfrage-Schema in Abbildung 2. Als Probe dient ein NiO-Einkristall, und der Pumppuls ist ein intensiver Terahertz-Puls mit einer Pulsdauer von etwa 1 ps = 1000 fs. Der zeitliche Verlauf seines Magnetfeldes ist in Abbildung 4(a) zu sehen. Man beachte die sehr hohe Spitzenfeldstärke von etwa 0,15 T, die mit einem elektrischen Feld von etwa 0,5 MV/cm einhergeht. Das sehr breite Frequenzspektrum (Abb. 4(b)) deckt den Bereich von 0,5 bis 2,5 THz ab und damit auch die Spinresonanz von NiO bei 1 THz.

Der zeitliche Verlauf der pumpinduzierten Spindynamik wird durch den Abfragepuls gemessen. Dazu bedienen wir uns des Faraday-Effektes, der zu einer Drehung der Polarisationsebene des Abfragepulses führt. Diese Faraday-Rotation ist ein direktes Maß für die momentane Magnetisierung, also des Gesamtspins der Probe. In Abbildung 4(c) ist die so gemessene Probenmagnetisierung als Funktion der Zeit zu sehen. Direkt nach Ankunft des Pumppulses erscheint ein oszillierendes Signal mit einer Periode von 1 ps. Dies entspricht exakt der erwarteten Spinresonanzfrequenz von 1 THz. Der Pumppuls löst also unmittelbar eine Spinpräzession aus, die auf einer Zeitskala von 30 ps wieder abklingt (Abb. 4(c)). Die Spins bewegen sich dabei auf einer spiralförmigen Bahn wieder in ihre Ausgangsposition zurück. Weitergehende Messungen als Funktion der Anregungsfeldstärke zeigen, dass die Spins in der Tat durch das magnetische Feld des Terahertz-Lichtpulses und nicht durch dessen elektrisches Feld angetrieben werden. Dies ist bemerkenswert, da in der Regel angenommen wird, dass Magnetfelder bei Frequenzen oberhalb 1 GHz einen vernachlässigbaren Effekt auf Materie haben und die Licht-Materie-Kopplung bei diesen Frequenzen meist durch das elektrische Feld dominiert wird.

Bisher wurde das ultraschnelle Einschalten einer Spinpräzession mittels eines Lichtpulses demonstriert (Abb. 4(c)). Wie kann man solch eine Präzession wieder abschalten? Dazu bedienen wir uns eines zweiten Magnetfeldpulses, der 6,5 Präzessionszyklen nach dem ersten Puls in der Probe eintrifft (Abb. 4(d)). Dieser Puls stößt die Spins genau dann an, wenn ihre Bewegung der äußeren Kraft entgegengerichtet ist. Durch die gegenphasige Kraft kommt die Bewegung zum stehen, und die Spins stoppen sofort ihre Präzession, vergleichbar dem Anhalten einer Kinderschaukel. Dieses "Abschalten" der Spinpräzession kann man an den Messdaten in Abbildung 4(d) sehr gut erkennen [2].

Ähnliche Pulssequenzen, jedoch bei deutlich niedrigeren Frequenzen, werden auch in der Kernspinresonanz eingesetzt, um die Struktur von Molekülen aufzuklären. Eine anspruchsvolle zukünftige Entwicklung wäre es, diese Konzepte in den Terahertzbereich zu übertragen, was neue spektroskopische Möglichkeiten eröffnen würde. Dazu müssen aber die bisher verfügbaren Feldstärken der Terahertzpulse um einen Faktor 100 gesteigert werden.

Zeitaufgelöste elektronische Strukturänderung beim Isolator-Metall-Übergang in TbTe3

Im Folgenden wird die Dynamik der elektronischen Struktur von Festkörpern während eines lichtinduzierten Isolator-Metall-Überganges diskutiert. Ein Lehrbuchbeispiel für Festkörper mit einer Peierls-Instabilität (s. o.) stellt die Materialklasse der Tri-Telluride dar. In diesen Materialien tritt unterhalb einer kritischen Temperatur Tc in einer bestimmten Kristallrichtung eine Verzerrung des Kristallgitters auf (Abb. 1(d) rechts), die mit dem Auftreten einer Bandlücke einhergeht. Deshalb ist für Elektronen mit einem Impuls in dieser Richtung kein elektrischer Transport möglich, d. h. die elektrische Leitfähigkeit verschwindet. Dagegen verhält sich das Material oberhalb von Tc wie ein Metall; es tritt also ein Phasenübergang von einem Isolator (T < Tc) zu einer metallischen Phase (T Tc) auf. Die kritische Temperatur und die Größe der Bandlücke kann durch Substitution der Lanthanid-Komponente der Tri-Telluride (RTe3, R = Lanthanid) und der damit verbundenen Variation der Gitterkonstanten gezielt verändert werden. Für TbTe3 ist Tc = 340 K.

Eine interessante Frage ist dabei, wie die Dynamik des Phasenübergangs auf ultrakurzen Zeitskalen abläuft. Zunächst ist dabei zu berücksichtigen, dass die Ausbildung einer Bandlücke primär ein elektronisches Phänomen darstellt und daher "ultraschnell" auf typischen Zeitskalen elektronischer Anregungen erfolgen sollte. Aufgrund der geringen Masse und typischen Energien von Elektronen in Atomen und Festkörpern liegen diese Zeitskalen im Bereich von wenigen Femtosekunden. Falls aber die Änderung der elektronischen Struktur durch eine Gitterverzerrung (d. h. durch eine Bewegung der Atome des Kristallgitters) bestimmt ist, diktiert die entsprechende Geschwindigkeit (Frequenz) der Kernbewegung die Zeitskala des Phasenübergangs. Aufgrund der deutlich höheren Masse der Atomkerne im Vergleich zu den Elektronen bewegen sich die Atome deutlich langsamer; typischerweise auf einer Zeitskala von einigen 100 fs. Durch ein ausreichend schnelles, zeitaufgelöstes Experiment können daher die Dynamik des Phasenübergangs direkt beobachtet und der zugrundeliegende Mechanismus aufgeklärt werden. Im Falle der zuvor beschriebenen "Peierls-Instabilität" ist insbesondere die Frequenz der Gitterschwingung, die den Übergang treibt, von Interesse.

Im Experiment bedienen wir uns wieder des Pump-Abfrage-Schemas (Abb. 2), in dem ein ultrakurzer Pumppuls die Elektronen im Festkörper anregt und eine kurzzeitige Änderung der elektronischen Struktur auslöst. Die Intensität des infraroten Anregungspulses wird dabei so gewählt, dass die Dichte angeregter Elektronen ausreicht, um den Isolator-Metall-Übergang auszulösen. Um die elektronische Struktur der Probe zu studieren, detektieren wir hier nicht den Abfragepuls selbst, sondern die Elektronen, die der Abfragepuls aus der Probe herausschlägt (Abb. 5(a)). Dazu messen wir die kinetische Energie der Elektronen als Funktion des Emissionswinkels bzgl. der Festkörperoberfläche [3]. Diese winkelaufgelöste Photoelektronenspektroskopie erlaubt es uns, die momentane Bandstruktur der Probe zu bestimmen. Wie in einem Film kann man so "stroboskopisch" die Dynamik der elektronischen Bandstruktur E(k) als Funktion der Zeit aufnehmen.

In Abbildung 5(c) sind fünf Bilder aus einer solchen Filmsequenz dargestellt. Für verschiedene Zeitverzögerungen Δt nach Probenanregung kann damit direkt die Änderung der elektronischen Bandstruktur E(k) in der Nähe der Fermi-Energie EF bobachtet werden. Erst 100 fs nach der Laseranregung tritt eine signifikante Änderung des Bandes am Fermi-Niveau auf, das dann ein charakteristisches metallisches Verhalten quasi-freier Elektronen im Festkörper aufweist. Die elektronische Bandlücke der isolierenden Phase ("gap" in Abb. 5(b)) schließt sich also verzögert, was eindeutig den Einfluss einer Kernbewegung und eine Peierls-Instabilität als Mechanismus des Isolator-Metall-Übergangs in TbTe3 belegt [4]. Eine genaue Analyse der gemessenen transienten elektronischen Strukturänderungen erlaubt es außerdem, die Frequenz der entsprechenden Schwingungsmode der Ladungsdichtewelle in TbTe3 zu bestimmen, die den Übergang auslöst. Die Frequenz dieser Mode von etwa 2,5 THz stimmt sehr gut mit der beobachteten Zeitverzögerung von 100 fs für das Verschwinden der Bandlücke überein [4]. Die zeit-, energie- und winkelaufgelöste Photoelektronen-Spektroskopie ermöglicht somit einen direkten Einblick in die Dynamik der elektronischen Struktur und die Beobachtung elementarer Prozesse wie Elektron-Phonon-Kopplung in Festkörpern.

Der photoinduzierte Phasenübergang in VO2: Das Umfeld bestimmt das Geschehen

Ein weiteres Material, in dem Korrelationseffekte auftreten, ist Vanadiumdioxid (VO2), das entweder in einer tetragonalen oder monoklinen Struktur vorliegt (Abb. 6(a)). Neben dieser strukturellen Änderung erfolgt in VO2 beim Aufheizen über 67°C ein Übergang von einer isolierenden in eine metallische Phase. Es ist jedoch nicht ohne weiteres klar, ob diese Änderung der Leitungseigenschaften auf den strukturellen Übergang zurückzuführen ist. Neben der Kopplung von Kristallgitter und elektronischem System weist VO2 nämlich zudem starke Korrelationen der Elektronen untereinander auf, d. h. die Ladungsträger beeinflussen sich gegenseitig erheblich. Eine solche Korrelation kann zu einer Lokalisierung von Elektronen führen, die ein normalerweise metallisches Material isolierend werden lassen (Mott-Isolator).

Die Untersuchung von VO2 mit Femtosekunden-Zeitauflösung ist aus verschiedenen Gesichtspunkten interessant: Zum einen bietet sie die Möglichkeit, dem System in kürzester Zeit sehr viel Energie zuzuführen, so dass der normalerweise quasistatische Phasenübergang abrupt ("mit einem Schlag") ausgelöst wird, anlog zum vorherigen Beispiel TbTe3. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob das bloße intensive Heizen mit dem Laser zum Phasenübergang führt oder ob durch die starke Anregung des Elektronensystems beispielsweise die Korrelation der Elektronen untereinander bzw. mit dem Gitter zerstört wird.

Unstrittig ist im Falle des VO2 jedoch, dass sowohl der Phasenübergang von der monoklinen zur tetragonalen Struktur als auch der Isolator-Metall-Übergang photoinduziert (d. h. durch Laserlicht ausgelöst) werden kann. Insbesondere die Frage, inwieweit die Kopplung zwischen Elektronen und Kristallgitter Einfluss auf den Isolator-Metall-Übergang hat, wurde intensiv bearbeitet. Dabei werden zur zeitaufgelösten Untersuchung von Strukturänderungen typischerweise Beugungsmethoden verwendet, deren Zeitauflösung im Bereich einiger 100 fs liegt. Diese Experimente liefern äußerst aufschlussreiche Ergebnisse über die mittlere Anordnung der Atome im Festkörper und ihre Dynamik, da sich diese in der Regel vergleichsweise "langsam" verändert (innerhalb von Pico- und Nanosekunden anstelle von Femtosekunden). Die Ursache des photoinduzierten Phasenübergangs liegt jedoch in der ultraschnellen Anregung des elektronischen System und es stellt sich die Frage, ob die vergleichsweise langsame Änderung der mittleren Atompositionen nicht durch einen sehr viel schnelleren Prozess im Festkörper ausgelöst wird.

Um die Gitterdynamik auf der Femtosekundenzeitskala zu beobachten, bedienen wir uns eines Tricks: Anstatt direkt die mittlere Position der Atome zu bestimmen, beobachten wir deren Struktur indirekt, über die Beobachtung von kollektiven Schwingungen des Kristallgitters, die durch die Laseranregung ausgelöst werden. Dies ist ähnlich wie bei einem Rockkonzert, bei dem man durch Betrachten des tanzenden Publikums den Rhythmus der gespielten Musik erkennen kann, ohne sie zu hören. In einem kristallinen Festkörper wie VO2 sind die Atome auf einem periodischen Gitter angeordnet und die Elektronen definieren die Kräfte zwischen den Atomkernen. Dabei können die Atome um ihre Gleichgewichtslage schwingen, wenn man sie geeignet, beispielsweise durch eine Femtosekundenlaseranregung, anstößt. Die Absorption von Licht (Abb. 6(f) und 6(g)) führt zu einer Schwingung um die Gleichgewichtslage. Erfolgt diese Anregung abrupt und werden die Atome des periodischen Kristallgitters gleichzeitig zum Schwingen angeregt, spricht man von kohärenten Phononen. Eine stärkere Anregung – angedeutet durch den rot-gestrichelten Pfeil in Abbildung 6(g) – führt zunächst zu einer größeren Amplitude der Schwingung; die Frequenz bleibt unverändert. Erst wenn die Stärke der Anregung eine bestimmte Schwelle überschreitet, kann sich die Situation wie in Abbildung 6(h) ändern: Wird die Schwingung durch eine sehr hohe Anregungsdichte verbunden mit einer sehr großer Krafteinwirkung ausgelöst, "leiert" die Sprungfeder gewissermaßen aus, und das System kann nicht mehr um die ursprüngliche Gleichgewichtslage schwingen. Vielmehr entwickelt es sich auf einen neuen Gleichgewichtszustand zu.

Im Experiment lassen sich Schwingungen des Kristallgitters beobachten, indem man mittels eines zeitverzögerten Abfragepulses (Abb. 2) die Reflektivität der Probe misst. Wie stark ein Material Licht reflektiert, kann sowohl durch die Dynamik des Gitters als auch der Elektronen beeinflusst werden. Aus diesem Grund können bestimmte Schwingungen der Atome im Festkörper (Phononen) mit Hilfe von Reflektivitätsmessungen sichtbar gemacht werden. Im Falle von VO2 führt eine schwache Anregung mit einem Laserpuls zu vier charakteristischen Schwingungen, die mittels eines zeitverzögerten Abfragepulses beobachtet werden können. Abbildungen 6(b) und 6(c) zeigen das dazugehörige Frequenzspektrum und wie sich die Schwingungen auf Femtosekundenzeitskala zeitlich überlagern. Durch die Photoanregung der isolierenden Struktur (Abb. 6(a) links) beginnen die Atome, um ihre Gleichgewichtslage zu schwingen. Das gezeigte Experiment erlaubt durch die Beobachtung der Schwingungsfrequenzen, Aussagen über die Kräfte im Material zu machen.

Im Fall der Photoanregung von VO2 lässt sich ein Schwellenwert in der Anregungsdichte beobachten oberhalb dessen sich die Eigenschaft der Sprungfedern im Kristall stark ändern (Abb. 6(f)–(h)]. Wird mit einem besonders intensiven Lichtpuls (F > 6 mJ/cm2) angeregt, geht das System, wie oben erwähnt, in einen metallischen Zustand über und erreicht über einen Zeitraum in der Größenordnung von Nanosekunden die strukturelle Ordnung der Hochtemperaturphase (Abb. 6(a) rechts). Die ersten Anzeichen für eine solche strukturelle Änderung lassen sich allerdings mittels Elektronen- und Röntgenbeugung [5,6] nach einigen 100 fs beobachten, nämlich dann, wenn die Atome sich in Richtung ihrer neuen Gleichgewichtsposition bewegt haben. Mit dem vorliegenden Experiment jedoch gewinnen wir Einblick in die originären Prozesse direkt nach der ultraschnellen Anregung, indem wir die Gitterschwingungen beobachten, nicht das Gitter selbst: Ähnlich wie die kohärenten Phononen der monoklinischen Struktur (Abb. 6(a) links), die sich bei schwacher Anregung beobachten lassen (Abb. 6(b) und 6(c)), werden im Fall der starken Anregung (Abb. 6(d) und 6(e)) ebenfalls kurzzeitig Gitterschwingungen ausgelöst, jedoch mit einer Zeitkonstanten von nur 100 fs unterdrückt. Diese ultraschnelle Änderung der Schwingungseigenschaften wird durch die abrupte Änderung der Symmetrie des Kristallpotenzials aufgrund der starken Anregung des elektronischen Systems ausgelöst [7]. Die Photoanregung verändert dabei oberhalb des Schwellenwerts die Umgebung der Atome so stark, dass die charakteristischen Gitterschwingungen der monoklinen Struktur verschwinden und die Kräfte zwischen den Atomen das Gitter in Richtung einer neuen Gleichgewichtslage treiben.

Zusammenfassend zeigen die hier vorgestellten Experimente, wie mittels zeitaufgelöster Laserspektroskopie elementare Prozesse und Phasenumwandlungen in Festkörpern, die durch Korrelationen und Kopplungen zwischen Elektronen, Spins und dem Kristallgitter bestimmt werden, aufgeklärt werden können. Durch Beobachtung der zeitlichen Abfolge komplexer Vorgänge können, wie bei einem Film, neue Informationen gewonnen werden, die durch Messung der statischen Eigenschaften nicht zugänglich sind. Das Forschungsgebiet der Dynamik korrelierter Materialien zielt auf ein grundlegendes Verständnis komplexer Phänomene in Festkörpern, um darauf aufbauend die Entwicklung von Materialien mit neuen und optimierten elektronischen Eigenschaften voranzutreiben.

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