Sich vermehren oder sich nicht vermehren

Form neuraler Vorläuferzellen beeinflusst die Gehirngröße

21. März 2019
Die Gehirne verschiedener Säugetiere unterscheiden sich in ihrer Größe deutlich. Im Laufe der menschlichen Evolution nahmen die Größe des Gehirns und die Anzahl der Nervenzellen darin erheblich zu, besonders in einer bestimmten Hirnregion, die als Neokortex bezeichnet wird und der Sitz unserer höheren kognitiven Fähigkeiten ist. Nervenzellen werden von neuralen Vorläuferzellen gebildet: mehr neurale Vorläuferzellen bedeuten mehr Nervenzellen und ein größeres Gehirn. Vorangegangene Studien hatten einen bestimmten Typ neuraler Vorläuferzellen, die sogenannten basalen Vorläuferzellen, als wesentlichen Motor für die Expansion des Neokortex in den Vordergrund gerückt. Es war jedoch weitgehend unklar, was genau der Grund für die dafür notwendige Fähigkeit dieser Vorläuferzellen war, sich in ihrer Zahl zu vermehren. Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden haben nun einen der zugrunde liegenden Mechanismen identifiziert. Sie fanden heraus, dass die Form dieser Zellen bestimmt, wieviel sie sich vermehren. Dies legt nahe, dass die Form dieser Vorläuferzellen ein wichtiges Merkmal ist, das zur evolutionären Expansion des Neokortex beiträgt.

Warum konnte sich der menschliche Neokortex im Laufe der Evolution so stark vergrößern? Ein größerer Neokortex enthält mehr Nervenzellen und ermöglicht so höhere kognitive Fähigkeiten. Nervenzellen werden während der fötalen Gehirnentwicklung von Vorläuferzellen gebildet. Neokortikale Vorläuferzellen im Menschen sind vermehrungsfähiger als bei anderen Säugetieren, das heißt, sie teilen sich häufiger und bilden dadurch zusätzliche Vorläuferzellen, bevor sie schließlich Nervenzellen produzieren. Dadurch wird die Gesamtzahl der neokortikalen Nervenzellen erhöht. Unter den verschiedenen Typen neokortikaler Vorläuferzellen gelten die sogenannten basalen Vorläuferzellen als treibende Kraft für ein größeres Gehirn. Bisher war bereits bekannt, dass es basale Vorläuferzellen in verschiedenen Formen, mit und ohne Zellfortsätzen, gibt. Allerdings wusste man bislang nicht, was die Funktion dieser Zellfortsätze ist und ob eine Vorläuferzelle, je nach Säugetierart, unterschiedlich viele hat.

Forscher der Gruppe von Wieland Huttner am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik sind nun dieser Frage auf den Grund gegangen. Mit Unterstützung von Kollegen des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus in Dresden und des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin in Göttingen verglichen und quantifizierten die Wissenschaftler die Form basaler Vorläuferzellen im sich entwickelnden Neokortex von Mäusen, Frettchen und Menschen. Sie fanden heraus, dass menschliche basale Vorläuferzellen mehr Zellfortsätze haben die von Mäusen und Frettchen. Das war neu für die Wissenschaft. Könnte das etwas mit der höheren Vermehrungsfähigkeit menschlicher basaler Vorläuferzellen zu tun haben? Nereo Kalebic, der Erstautor der Studie, erklärt: „Zuerst wollten wir wissen, warum menschliche basale Vorläuferzellen mehr Fortsätze haben, und entdeckten, dass das Protein PALMDELPHIN, das auf der Innenseite der Zellmembran sitzt, das Wachstum zusätzlicher Zellfortsätze ermöglicht. Das musste er sein – der bisher unbekannte Mechanismus, der die Form der basalen Vorläuferzellen beeinflusst!“ Nereo fährt fort: „Zweitens haben wir herausgefunden, dass eine basale Vorläuferzelle mit mehr Fortsätzen sich häufiger vermehren kann, was letztlich zur Bildung von mehr Nervenzellen führt.“

Die Forscher konnten diesen Mechanismus nachweisen, indem sie menschliches PALMDELPHIN in den embryonalen Neokortex von Mäusen und Frettchen einbrachten. Das führte dazu, dass den basalen Vorläuferzellen mehr Fortsätze wuchsen und sich die Zellen verstärkt vermehrten. Auf der anderen Seite, wenn die Produktion von PALMDELPHIN in fötalem menschlichen neokortikalen Gewebe gehemmt wurde, reduzierte sich sowohl die Anzahl der Fortsätze von basalen Vorläuferzellen als auch deren Vermehrung. Aufgrund ihrer Ergebnisse konnten die Forscher eine neuartige These aufstellen: eine größere Anzahl von Zellfortsätzen ermöglicht es basalen Vorläuferzellen, solche Signale aus ihrer Umgebung besser zu empfangen, die ihre Vermehrung auslösen.

Diese Studie zeigt erstmals, dass die Form einer Vorläuferzelle eine Veränderung ihrer Vermehrungsfähigkeit hervorruft. Wieland Huttner, der die Studie leitete, fasst zusammen: „Unsere Ergebnisse sind das fehlende Bindeglied zwischen der Form der basalen Vorläuferzellen und ihrer Fähigkeit zur Vermehrung. Damit kann ein größerer Pool an Vorläuferzellen gebildet werden, der für die Bildung einer größeren Anzahl von Nervenzellen benötigt wird. Dies deutet darauf hin, dass Veränderungen in der Form der basalen Vorläuferzellen zur evolutionären Expansion des menschlichen Neokortex beigetragen haben könnten.“

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