Eine Hausordnung für Haushaltsgene

Max-Planck-Forscher zeigen, wie die DNA für die Transkription wichtiger Gene zugänglich gemacht wird

4. März 2019

Für unsere Zellen ist es wichtig, dass die Gene auf den Chromosomen in der für den Zelltyp richtigen Dosis exprimiert werden. Dies gilt auch für die sogenannten Haushaltgene, die für die Aufrechterhaltung grundlegender Funktionen einer jeden Zelle erforderlich sind. Forscherinnen und Forscher am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik haben gezeigt, wie speziell bei Haushaltsgenen die Transkription gestartet wird und das erforderliche Level der Gendosis gehalten werden kann. Die Studie zeigt am Beispiel der Fruchtfliege Drosophila, wie ein hochkonservierter Proteinkomplex mit dem Namen NSL die Nukleosomen so positioniert, dass es für die Zelle möglich wird, die Gene abzulesen und das Niveau der Genexpression zu kontrollieren.

In unserem Körper gibt es mehr als 200 verschiedene Zelltypen. Zellen nehmen ihre jeweilige Identität an, indem sie unterschiedliche Gruppen von Genen aktivieren. Eine Leberzelle beispielsweise aktiviert so diejenigen Gene, die mit Eigenschaften von Leberzellen verknüpft sind. Das Gleiche machen auch alle anderen Zelltypen. Es gibt aber auch eine Reihe von Genen, die in jeder Zelle exprimiert werden müssen. Die Forschung bezeichnet sie als „Haushaltsgene“, weil sie zur Unterstützung der grundlegenden Zellfunktionen wie etwa dem Stoffwechsel oder der Zellteilung benötigt werden. Egal ob Haushaltsgen oder nicht, jede Zelle braucht eine unterschiedliche Dosis jedes aktiven Gens, um ihren individuellen Anforderungen gerecht zu werden. Fehlsteuerungen dieser Prozesse können zu schweren Gesundheitsproblemen oder gar Krebs führen.

Trotz jahrzehntelanger Forschung ist immer noch nicht ganz klar, welche molekularen Mechanismen die Steuerung der Gendosis regulieren und diese präzise auf dem korrekten Level halten. Forscherinnen und Forscher im Labor von Asifa Akhtar, Direktorin am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik, haben sich genau dieser Fragen angenommen und zeigen in ihrer aktuellen Studie, wie speziell bei Haushaltsgenen die Transkription gestartet wird und das erforderliche Level der Gendosis gehalten werden kann.

Geordnete Nukleosomen für eine optimale Gen-Transkription

Im Fokus steht dabei der Proteinkomplex NSL. Die Daten des Teams belegen, dass der Komplex die Gene für die Aktivierung vorbereitet. In den Zellen ist die DNA, auf der sich die Gene befinden, um sogenannte Histonproteine gewickelt wie ein Faden um eine Spule. Jede dieser Spulen wird als Nukleosom bezeichnet. Nukleosomen verpacken und schützen die DNA. Aber jedes Mal, wenn die Erbinformation abgelesen werden muss, müssen die Spulen neu arrangiert werden, um die DNA zugänglich zu machen. Der NSL-Komplex hilft dabei, die „Spulen“ um die DNA herum entsprechend so anzuordnen, dass diese richtig abgelesen werden können. „Der Komplex stiftet dabei Ordnung genau an der Stelle, die für den Start des Transkriptionsprozesses wichtig ist“, erklärt Ken Lam, Erstautor der Studie. „Man muss sich vorstellen, dass Tausende von diesen „Spulen“ präzise positioniert werden müssen, damit die DNA richtig abgelesen werden kann. Durch den NSL-Komplex werden die „Spulen“ entsprechend angeordnet, so dass die DNA dazwischen verwendet werden kann und auch der Platz optimal genutzt wird. Auf diese Weise ist es für die Zelle einfacher, die Transkription zu starten und das genaue Niveau der Genexpression zu kontrollieren. Ohne den NSL-Komplex sind die „Spulen“ fast überall auf der DNA verteilt und es wird für die Zelle unklarer, welcher Teil der DNA verwendet werden soll.“

Beitrag zum Verständnis menschlicher Erkrankungen

Ein besseres Verständnis, wie der NSL-Komplex das Lesen der DNA ermöglicht, könnte auch die Erforschung von genetisch verursachten Erkrankungen wie dem Koolen-de-Vries-Syndrom voranbringen, hoffen die Freiburger Max-Planck-Forscher. Das Syndrom ist eine seltene genetische Erkrankung. Schätzungen besagen, dass eins von 16.000 Kindern mit dem Koolen-de-Vries-Syndrom geboren werden. Patientinnen und Patienten zeigen Sprach- und Entwicklungsstörungen. Sie haben Lernschwierigkeiten und oftmals auch andere gesundheitliche Probleme wie Epilepsie oder Herzfehler.

Das Syndrom wird durch den Verlust eines Teils des Chromosoms 17 (Mikrodelektion), einschließlich des KANSL1-Gens, oder durch eine Mutation des KANSL1-Gens verursacht. Jedoch sind die molekularen Auswirkungen dieses Gendefekts, der zur Erkrankung führt, bis noch weitgehend unbekannt.

„Das KANSL1-Gen ist Teil des NSL-Komplexes. Wenn durch ein defektes Chromosom eine Kopie des Gens verloren geht, kann die Zelle nicht mehr die dessen richtige Gendosis produzieren und folglich der gesamte NSL-Komplex nicht mehr richtige arbeiten“, sagt Asifa Akhtar. Der NSL-Komplex ist ein wichtiger Regulator für die Transkription einer Vielzahl von Haushaltgenen und ist somit entscheidend für die Aufrechterhaltung grundlegender Zellfunktionen. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass ihre Ergebnisse dessen molekularer Funktionsweise auch für das Verständnis von Krankheiten entscheidend sein könnten. „Wir hoffen, dass unsere Arbeit es Wissenschaftlern und Medizinern zukünftig ermöglicht, molekulare Folgen des Verlusts oder der Fehlfunktion des NSL-Komplexes bei Krankheiten wie etwa dem dem Koolen-de-Vries-Syndrom besser zu verstehen“, sagt Asifa Akhtar.

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