Minderjährig, verheiratet, getrennt

Ein deutsches Gesetz hebt Kinderehen generell auf – nicht immer im Interesse der Betroffenen

Das „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ soll Mädchen vor einer verfrühten Ehe schützen. Die Regelung, die 2017 in Kraft trat, stärkt damit ein wesentliches Prinzip der Emanzipation: das Recht von Frauen auf ein freies und selbstbestimmtes Leben. Trotzdem gibt es Kritik an dem Gesetz. Juristinnen und Juristen aus verschiedenen Max-Planck-Instituten sehen ein Problem in der rigiden Regelung und fordern, das Thema differenzierter anzugehen. Derzeit prüft auch das Bundesverfassungsgericht das Gesetz.

Text: Christian Rath

Ausgangspunkt der Diskussion war ein Fall aus Bayern. Im August 2015 kam ein junges Paar aus Syrien in Aschaffenburg an. Der Mann war 21, seine Ehefrau erst 14 Jahre alt. Sie hatten in Syrien vor einem Scharia-Gericht geheiratet, bevor sie wegen des Bürgerkriegs nach Deutschland flohen. Dort wurden sie zunächst gemeinsam untergebracht, doch nach einem Monat nahm das Jugendamt das Mädchen in Obhut und brachte sie in einer Einrichtung für unbegleitete weibliche Flüchtlinge unter. Der Ehemann wusste zunächst nicht, wo das Mädchen war, später bekam er ein „Umgangsrecht“ für die Wochenenden. Das Oberlandesgericht Bamberg hob die Trennung im Mai 2016 wieder auf. Die syrische Ehe sei anzuerkennen. Es gebe keine Hinweise auf eine Zwangsheirat.

Der Fall führte zu empörten Reaktionen. Kinder gehörten in die Schule und nicht ins Ehebett, betonten Vertreter von CDU und CSU. Kinder sollten spielen, lernen und selbstständig werden, sagte der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD). Erst, wenn sie erwachsen seien, sollten sie frei entscheiden, ob und wen sie heiraten. Unter den NGOs setzte sich vor allem die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes für ein Gesetz gegen Kinderehen ein. „Für junge Mädchen kann eine große Feier im schönen Kleid mit vielen Geschenken verlockend sein, so dass sie einer Heirat zustimmen,“ legt die Organisation dar. „Was eine Ehe dann aber tatsächlich für sie bedeutet, Schulabbruch, die Arbeit im Haushalt, sexuelle Gewalt, frühe Schwangerschaft, das Ende der Kindheit, erahnen sie häufig nicht einmal ansatzweise.“

Mit den Flüchtlingen kamen früh Verheiratete 

Der Fall aus Aschaffenburg war nur die Spitze des Eisbergs. Das Ausländerzentralregister zeigte zu der Zeit 1475 verheiratete Minderjährige an, 361 davon sogar unter 14 Jahren. Inzwischen hat die Bundesregierung eingeräumt, dass die Zahlen aufgrund von Mehrfachzählungen wohl zu hoch waren. Aber niemand bestreitet, dass die starke Zuwanderung von Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan in den Jahren 2015/2016 die Zahl der Minderjährigen-Ehen stark steigen ließ. Viele Eltern verheirateten ihre Töchter vor der Flucht in der Hoffnung, sie so vor Übergriffen zu schützen.

Im Sommer 2017 beschloss der Bundestag ein Gesetz, das die deutsche Rechtslage massiv verschärfte. Bis dahin war es möglich, dass das Familiengericht eine Minderjährigen-Ehe erlaubte, wenn das Kindeswohl ihr nicht entgegenstand. Und eine ausländische Heirat wurde nur dann nicht anerkannt, wenn der Eheschluss im Einzelfall grundlegenden deutschen Wertvorstellungen – dem „ordre public“ – widersprach. Seit Juli 2017 gilt eine Ehe ausnahmslos als unwirksam und damit nichtig, wenn ein Partner zum Zeitpunkt der Heirat unter 16 Jahre alt war. War ein Partner zwischen 16 und 18 Jahre alt, soll die Ehe in der Regel aufgehoben werden. Dies gilt sowohl für Ehen, die in Deutschland geschlossen wurden, als auch für Ehen aus dem Ausland.

Kritik aus Max-Planck-Instituten

Jürgen Basedow, emeritierter Direktor am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, kritisiert das Gesetz als „nicht durchdacht“. Es werde unterstellt, dass die Nichtanerkennung der Ehe für die Mädchen eine Hilfe sei. Aber nicht alle Mädchen wollten diese Hilfe, weil für sie die Heirat auch eine Anerkennung sein könne. Falls das Mädchen in Deutschland in einem islamisch geprägten Umfeld lebe, könne die Nichtanerkennung ihrer Ehe zu Schikanen führen. „Was als Schutz für das Mädchen gedacht war, fügt ihm dann noch weiteren Schaden zu“, so Basedow. Wenn das Mädchen schwanger oder gar Mutter ist, werde auch das Kind unter der Aberkennung der Ehelichkeit leiden. Und falls der Mann stirbt, verliere das Mädchen sogar seine Ansprüche als Witwe.

Am gleichen Institut leitet Nadjma Yassari die Forschungsgruppe „Das Recht Gottes im Wandel“, die das Familienrecht in islamischen Ländern untersucht. Gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Lena-Maria Möller plädiert sie für eine „einzelfallorientierte Betrachtung des Kindeswohls durch die Familiengerichte“, so wie sie bisher üblich war.

Bundesverfassungsgericht prüft das Gesetz

Am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht hat sich auch die Türkei- und Iran-Expertin Silvia Tellenbach mit dem Kinderehen-Gesetz beschäftigt. Für in Deutschland geschlossene Ehen hält sie die Verschärfung des Ehealters für möglich. In der deutschen Bevölkerung hätte das Gesetz wohl wenig Bedeutung, denn bei dem früher wichtigsten Grund, eine frühe Ehe zu schließen, nämlich, dass man heiraten "musste", hätten sich die gesellschaftlichen Anschauungen gewandelt. So sei ein uneheliches Kind keine Schande mehr, auch das Zusammenleben ohne Trauschein sei heute akzeptiert. Dagegen hält Tellenbach es für problematisch, wenn eine im Ausland geschlossene Ehe automatisch als unwirksam eingestuft wird, falls ein Partner beim Eheschluss jünger als 16 war. Für betroffene junge Frauen aus dem Nahen Osten könne es "ein Schock und der Verlust des ehelichen Schutzes" sein, "wenn man ihre Ehe einfach als Nicht-Ehe einstuft". Tellenbach fordert daher eine Möglichkeit, in manchen Fällen auch ausländische Ehen unter 16 Jahren anzuerkennen.

Die Max-Planck-Juristinnen und -Juristen stehen mit ihrer Haltung nicht allein. Während des Gesetzgebungsverfahrens äußerten sich auch zahlreiche Fachverbände vom Familiengerichtstag über den Deutschen Juristinnenbund bis zum Kinderhilfswerk kritisch zum Automatismus des Kinderehengesetzes.

Jetzt hat im Dezember 2018 auch der Bundesgerichtshof (BGH) in die gleiche Kerbe geschlagen. In der Revision hatte er über den Fall des syrischen Paars aus Aschaffenburg zu urteilen. Nach dem neuen Gesetz hätte der BGH nur die Unwirksamkeit der Ehe feststellen können. Doch die Richter hielten die strikte Neuregelung des Gesetzgebers für einen Verstoß gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen das dort geschützte Kindeswohl. Dieses gebiete eine Prüfung der Situation im Einzelfall. Auch der Schutz der Ehe sei verletzt, so der BGH. Ob das Gesetz tatsächlich verfassungswidrig ist, prüft jetzt das Bundesverfassungsgericht. Vor wenigen Tagen hat das Gericht angekündigt, dass es den Fall noch 2019 entscheiden will.

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