Die Rekonstruktion der Wirklichkeit

Eine neue Software berechnet mittels Künstlicher Intelligenz aus unvollständigen Daten Bilder der Realität

Fortschritte in der Messtechnik haben zu ganz neuen Instrumenten geführt, deren Rohdaten in für Menschen begreifbare Bilder überführt werden müssen. Die Gruppe von Torsten Enßlin am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching beschäftigt sich daher seit zehn Jahren mit der Informationsfeldtheorie. Aufbauend auf dieser Theorie, entwickelt das Team eine bildgebende Software namens NIFTy. Sie kann Daten von verschiedenen Instrumenten und von unterschiedlicher Qualität verarbeiten und dabei Struktureigenschaften der Beobachtung erlernen. So etwa hat NIFTy5 aus Daten des Satelliten Gaia die räumliche Verteilung von Staubwolken in der Milchstraße ermittelt.

Astronomen beobachten mittlerweile in fast allen Wellenlängen das Universum. Radioteleskope liefern aber die Messdaten in anderer Form als etwa Teleskope im Röntgen- oder Gammabereich. Die Bilder dieser Instrumente sind meist das Ergebnis komplexer Rechenverfahren, die für das jeweilige Teleskop entwickelt wurden.

Doch gerade der Vergleich vieler Daten aus unterschiedlichen Bereichen erzeugt ein vollständiges Bild eines Himmelskörpers. Daher ist es wünschenswert, die Bildgebung all dieser Instrumente zu vereinheitlichen.

Diese Möglichkeit bietet ein Konzept namens Informationsfeldtheorie.  Dieses funktioniert auf folgenden Weise: Angenommen, man möchte die Temperaturverteilung der Atmosphäre über Deutschland darstellen. Dann entspricht diese Verteilung theoretisch einer unendlich großen Zahl an Temperaturwerten. Praktisch lässt sich aber nur eine begrenzte Zahl an Werten messen.

Aus dieser lückenhaften Überdeckung berechnet ein Computer das gesamte Temperaturfeld. Damit dies gut gelingt, teilt man ihm zusätzlich zu den Daten bekannte Gesetze mit – etwa, dass Temperaturunterschiede nur selten von einem Ort zum nächsten springen.

Nach diesem Prinzip funktioniert NIFTy (Numerical Information Field Theory), mit dem Torsten Enßlin und seine Kollegen die räumliche Verteilung von Staubwolken in der Milchstraße ermitteln konnten. Hierfür nutzten sie Daten des europäischen Astrometriesatelliten Gaia. Der misst die Entfernungen von Sternen und nimmt diese durch mehrere Farbfilter hindurch auf.

Die Helligkeit in diesen Filterbereichen ermöglicht es, die Staubmenge abzuschätzen, die das Sternlicht auf dem Weg zur Erde durchquert hat. „Aus den Positionen der Sterne und Staubmengen zwischen diesen und uns konnten wir die räumliche Struktur der Staubwolken berechnen“, sagt Enßlin.

Das Besondere an dieser Aufgabe war, dass für eine eindeutige Rekonstruktion eigentlich zu wenige Daten vorlagen. „Wir haben deswegen vorausgesetzt, dass die Variation der Staubdichte von Pixel zu Pixel nicht beliebig sein kann, sondern statistischen Gesetzen gehorcht“, so Enßlin. Physiker sprechen von einer Korrelation.

Allerdings ist diese Korrelationsfunktion oft nicht bekannt, sondern muss mitbestimmt werden. „Deswegen überprüfen wir während der gesamten Rechnung, welche Korrelationsfunktion letztendlich am besten zu den Daten passt und nutzen diese für die Bildgebung“, sagt der Max-Planck-Forscher. „Mit dieser Methode der nicht-parametrischen Selbstanpassung des Verfahrens sind wir weltweit führend.“

Dank der Korrelationsinformation erstellt NIFTy5 nicht nur eine Karte der Staubwolke, sondern liefert gleichzeitig eine Karte mit, in der es für jeden Bildpunkt (Pixel) angibt, mit welcher Unsicherheit das Modell dort die Wirklichkeit wiedergibt.

Unser Gehirn arbeitet nach einem ganz ähnlichen Prinzip. Wenn wir etwa eine Landschaft betrachten, dann entwickelt es Hypothesen über die Struktur des Gesehenen. Gleichzeitig verwendet es diese Hypothesen für Handlungsanweisungen – zum Beispiel, welchen Weg wir durch einen Ort am besten gehen sollten.

Dass NIFTy5 wirklich funktioniert, konnte das Team um Torsten Enßlin an einem künstlich hergestellten System beweisen. Hierfür schufen die Wissenschaftler im Computer ein Feld von Wellen, die von Zufallsereignissen erzeugt werden. Dann setzten sie darin lückenhafte Messpunkte, die also nur einen Teil des gesamten Wellensystems abdeckten. Das Programm rekonstruierte nun aus den Daten und ohne vorherige Kenntnis der Wellendynamik das gesamte Wellenfeld. Die Dynamik wurde dafür mitgelernt.

Weitere mathematische Neuerungen haben NIFTy5 zudem beschleunigt. Dazu gehört die Implementierung eines Verfahrens namens „Variationale Inferenz mittels metrischem Gauß“, welches für die Rechnungen wesentlich weniger Speicherplatz als bisher benötigt.

„Das macht NIFTy5 nicht nur schneller als seine Vorgänger, sondern es kommt auch mit schlechteren Daten aus“, erklärt Enßlin. Damit ließe sich eventuell die Dosis der Röntgenbestrahlung bei computertomografischen Aufnahmen verringern – bei gleichbleibender Bildqualität.

NIFTy5 wurde bereits für eine Reihe von astronomischen Bildgebungsproblemen genutzt. Eine geplante Kooperation mit Medizinern der TU München könnte die Allround-Software in den Alltag überführen.

TB

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