KI-generiertes Bild der Naturforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian, von Gesine Born, mit den folgenden englischen Prompts: - oil painting of [Portrait of Sibylla Merian] from 1700, in the style of Dutch tradition, with paintings by Maria Sibylla Merian]

Die Schmetterlingsfrau

Florencia Campetella vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie über Maria Sibylla Merian - Künstlerin, Naturforscherin und Pionierin der Entomologie und Ökologie

Maria Sibylla Merian wird 1647 in Frankfurt als Tochter von Matthäus Merian, einem berühmten Kupferstecher und Verleger, und Johanna Sibylla Heim geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters, als Merian drei Jahre ist, und der erneuten Heirat ihrer Mutter, unterrichtet sie ihr Stiefvater Jacob Marrell im Zeichnen und bringt ihr die Blumenmalerei bei. Er fördert auch ihr Interesse am Sammeln lebender Insekten: schon im frühen Mädchenalter, mit 13 Jahren, hält und züchtet Merian Seidenraupen und andere Schmetterlinge. Sie ist fasziniert von der Verwandlung von Raupen in Schmetterlinge und erstellt präzise gezeichnete Bilder, um den Lebenszyklus von Insekten zu dokumentieren.

Nach ihrer Heirat im Jahr 1665 und der anschließenden Geburt von zwei Töchtern veröffentlicht sie zwischen 1675 und 1680 drei illustrierte Bücher über Blumen und einheimische Raupen, darunter Der Raupen wunderbare Verwandlung und sonderbare Blumennahrung, die die Metamorphose von Motten und Schmetterlingen darstellen.

1685 verlässt Merian ihren Mann und zieht nach der Scheidung im Jahre 1691 in das weltoffene Amsterdam. Im Juni 1699 bricht sie mit ihrer jüngsten Tochter Dorothea Maria mit 52 Jahren auf eine Forschungsreise nach Surinam auf, zu dieser Zeit eine niederländische Kolonie, um die Lebenszyklen exotischer Schmetterlinge in den Tropenwäldern zu erforschen – allein als Frau, gegen alle Konventionen der Zeit. Nach zwei Jahren zwingt eine Malariaerkrankung sie zur Rückkehr nach Amsterdam.

1705 veröffentlicht sie das bahnbrechendstes Werk ihrer Karriere, Metamorphosis Insectorum Surinamensium, auf Niederländisch und Latein, mit 60 naturgetreuen Bildtafeln, die den gesamten Lebenszyklus von tropische Insekten und anderen Tieren innerhalb eines Habitats zeigen. Das Buch sorgte in ganz Europa für Aufsehen. Vor Merian hatte noch niemand den Lebenszyklus von Insekten in allen Entwicklungsstadien mitsamt ihrer Wirtspflanzen dargestellt. Als eine der ersten untersucht sie die Interaktionen zwischen den von ihr untersuchten Arten - die Grundlage der Ökologie.

Merian stirbt am 13. Januar 1717 in Amsterdam. Ihr Ruf als Botanikerin und Insektenexpertin im 18. Jahrhundert war so groß, dass Goethe Merian für ihre Fähigkeit lobte, sich "in ihren Darstellungen zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Naturbeschauung und mahlerischen Zwecken" hin und her zu bewegen. Im 19. Jahrhundert wurde sie weitgehend als Malerin von Blumen-Aquarellen abgetan. Erst in den letzten Jahrzehnten wird ihre Bedeutung wiederentdeckt.

Frau Campetella, Was fasziniert Sie an Maria Sibylla Merian? Gibt es in ihrem Leben und in ihrem Werk Aspekte, die Sie besonders bemerkenswert finden?

Was mich an Maria Sibylla Merian am meisten fasziniert, ist, dass sie Kunst und Wissenschaft auf brillante und exakte Weise miteinander verbinden konnte. Sie wusste schon sehr früh, dass sie zeichnen und die Lebensweise von Insekten untersuchen wollte. In ihren ersten fünfzig Lebensjahren untersuchte sie hauptsächlich europäische Insekten. Sie beobachtete und dokumentierte Hunderte in Europa heimischer Insekten, von Raupen bis hin zu Spinnen. Durch ihre Arbeit oft von Sammlern und Kunsthändlern aufgesucht, die ihr tote Insekten zur Untersuchung vorlegten. Und jedes Mal erwiderte sie, dass ihr dies nicht genüge und sie lieber  selbst sehen wolle, wie diese Insekten leben, was sie fressen, wie sie sterben und wie ihr natürlicher Lebensraum aussieht. 

Im  Alter von zweiundfünfzig Jahren beschloss sie dass es an der Zeit sei, selbst in die Welt hinauszuziehen und tropische Insekten zu erforschen und zu dokumentieren. Das war 1699.  Sie schiffte sie sich für eine zweijährige wissenschaftliche Expedition nach Surinam ein - und das zu einer Zeit, in der es noch gar keine wissenschaftlichen Expeditionen gab, und für eine Frau der damaligen Zeit ein wagemutiges Unterfangen. Ihre Entschlossenheit ist bewundernswert. In Surinam  sammelte sie Insekten in ihrer natürlichen Umgebung, dokumentierte akribisch ihren Körperbau und kommentierte ihre Ernährungsgewohnheiten, ihre Fressfeinde und ihr Verhalten. Ihren detailreichen Zeichnungen und Schilderungen verdanken wir unser heutiges Wissen über diese Insekten. Da einige davon womöglich bereits ausgestorben sind, stellen Merians Aufzeichnungen die einzige Quelle darüber dar.

Welche Geschlechterrollen herrschten zu Merians Lebenszeit?

Merian wurde früh verheiratet und hatte zwei Töchter. Doch 1685 verließ sie ihren Mann und zog in die Niederlande. Das war im Goldenen Zeitalter der Niederlande.

Damals wurde von Frauen erwartet, dass sie sich um häusliche Angelegenheiten kümmerten. Allerdings ist für die Niederlande in Merians Zeit schriftlich belegt, dass manche Frauen ihr eigenes Geschäft betrieben und eigenes Geld verdienten, was vielleicht zusätzliche Motivation gewesen sein könnte, Deutschland den Rücken zu kehren  .

Wie gelang es ihr trotz der vielen Beschränkungen, die damals für Frauen galten, sich durchzusetzen und Erfolg zu haben?

Sie konnte ihre Arbeit weiterführen, weil sie ihren Lebensunterhalt selbst verdiente. Sie finanzierte den Druck ihrer eigenen Bücher, die sie dann verkaufte. Auch für ihre Zeichnungen und Stiche fand sie Käufer.. Ich glaube, dass erst diese finanzielle Unabhängigkeit es ihr erlaubte, ihre Interessen und Ideen zu verfolgen.

Ihre Werke fanden große Beachtung. Der russische Zar Peter der Große ließ alle Gemälde aus Merians Nachlass kaufen.

Wie wichtig sind Merians Beiträge zur Entomologie und Biologie heute noch?

Merian war eine genaue Beobachterin der Natur und versuchte, alles so naturgetreu  und detailliert, wie es ihr künstlerisches Geschick zuließ, zu zeichnen – ganz ohne Verzierungen und schmückendes Beiwerk, wie es damals üblich war. Mit diesen sorgfältigen, geduldigen Beobachtungen war sie die Erste, die die Wechselwirkungen zwischen Insekten derselben Art oder unterschiedlicher Taxa, sowie zwischen Insekten und ihren Wirtspflanzen festhielt. Unzählige Beispiele dafür finden wir in ihrem Buch Metamorphosis. Als eine der ersten beschrieb sie die Interaktionen zwischen Arten, Nahrungsketten und den Kampf ums Überleben in der Natur, ebenso die Auswirkungen der Umwelt auf Entwicklung und Verhalten. Diese Themen, die heute zum Untersuchungsgegenstand der Ökologie zählen, existierten damals noch gar nicht und wurden gewissermaßen von ihr aus der Taufe gehoben.  

Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass die Menschen jener Zeit, auch Wissenschaftler, an „Spontanzeugung“ glaubten. Manche meinten, Raupen kämen aus dem Wasser gekrochen, während Schmetterlinge aus verendeten Raupen hervorgingen. Was heute lächerlich anmuten mag, war damals allgemein anerkannt. Merian hingegen unterschied sehr präzise zwischen Insektenmännchen und -weibchen und zeichnete die Eier, aus denen die Raupen schlüpften. Damit war sie eine der ersten, die Beweise zur Widerlegung der Spontanzeugung sammelten.

Seit dem 17. und 18. Jahrhundert hat sich für Frauen in der Wissenschaft natürlich viel verbessert. Welche Dinge haben sich Ihrer Meinung und Erfahrung nach für Wissenschaftlerinnen gewandelt?

Obwohl vieles besser geworden ist, muss auch vieles noch besser und anders werden. Betrachtet man die weltweite Topographie des Wandels, stellt man fest, dass dieser Wandel in manchen Teilen der Welt gar nicht stattgefunden hat. Noch immer gibt es Länder, in denen Frauen in der Wissenschaft kein hohes Ansehen genießen.

Die größte Veränderung ist, dass Frauen heute überhaupt Wissenschaftlerinnen werden können. Wir können an Universitäten studieren, Promotionsstellen erlangen und Forschung betreiben. Doch bis Anfang des 20. Jahrhunderts war das noch keineswegs so.

Obwohl sich vieles zum Positiven verändert hat, gibt es in den MINT-Fächern nach wie vor weniger Frauen als Männer. Welche Faktoren tragen Ihrer Meinung nach zu dieser Diskrepanz bei? (Zum Beispiel anhaltende kulturelle Vorurteile, Geschlechterstereotype, „Mathe und Wissenschaft sind nichts für Frauen“, das Fehlen weiblicher Vorbilder usw.)

Ich denke, dass dieses Problem Teil eines viel größeren Problems ist. Die Art und Weise, wie Wissenschaft heutzutage betrieben wird, ist nämlich in mancherlei Hinsicht immer noch sehr archaisch. Ich sehe einen wachsenden Bedarf danach, die Organisationsstruktur wissenschaftlicher Institutionen zu diskutieren und neu zu bewerten. Wir haben eine Struktur, ein funktionierendes System, aus früheren Zeiten geerbt und hier und da einige kleinere Anpassungen vorgenommen. Die Geschlechterlücke ist nur eines der Symptome dafür. Im Vergleich zu anderen Disziplinen gibt es auch weniger Menschen aus Familien mit niedrigem Einkommen, die ein wissenschaftliches Fach studieren. Warum ist das so? Wir müssen uns und die Gesellschaft fragen: Ist das derzeitige System das beste denkbare?

In den letzten Jahren gab es Anstrengungen, Frauen in der Wissenschaft zu fördern, aber mitunter verfehlen solche Anstrengungen ihr Ziel. Das Problem muss ganzheitlicher und konsequenter angegangen werden. Es geht nicht nur um Gleichheit, sondern um Fairness. Zum Beispiel kann man bei Stellenbewerbungen oft beobachten, dass bei gleicher Qualifikation Bewerberinnen der Vorzug gegeben wird. Gleichzeitig bieten Arbeitgeber aber oft keinen Mutterschafts- oder Erziehungsurlaub, keine Kinderbetreuungseinrichtungen am Arbeitsplatz und keine Urlaubstage bei Erkrankung des Kindes an. Dadurch wird der Wissenschaftsbetrieb zu einem harten Wettbewerb, bei dem viele ausgezeichnete Forscherpersönlichkeiten auf der Strecke bleiben. Leider sind viele oder die meisten davon Frauen. Die Frage lautet also: Wollen wir dieses Modell weiterhin fördern oder streben wir inklusivere Methoden, Wissenschaft zu betreiben, an?

Die MINT-Berufe, Mathematik, Ingenieurswesen, Naturwissen- und Technikwissenschaften, sind immer noch männerdominiert. Was ist Ihrer Meinung nach notwendig, damit sich mehr Mädchen dafür begeistern und damit mehr Frauen auch in diesen Berufen arbeiten?

Zunächst einmal müssen wir Mädchen die Chance geben, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden. Auch in frühen Jahren schon sollten sie die Wahl haben, ob sie lieber mit Puppen spielen oder einen Computer auseinandernehmen wollen. Feste Vorannahmen sind da fehl am Platz. Wir sollten Mädchen die Gelegenheit geben, die Wissenschaft zu entdecken und Wege zu finden, ihre Neugier zu stillen – vielleicht sogar Wege, die uns bislang noch gar nicht in den Sinn gekommen sind. Außerdem  ist es wichtig, den jüngeren Generationen zuzuhören. Anstatt ihnen vorzugeben, was Wissenschaft und das Wissenschaftlersein bedeuten, sollten wir sie fragen, wie sie sich die Wissenschaft und das Wissenschaftlersein wünschen.

Durch das Aufkommen neuer Technologien und sozialer Netzwerke sind sich Kinder heute ihrer Möglichkeiten bewusster. Wir müssen die Wissenschaft für sie zugänglich und attraktiv gestalten, und die Vielfalt unter Wissenschaftlern fördern. Es muss klar sein, dass die Wissenschaft allen offensteht und dass jeder Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin werden kann. Wissenschaft ist nicht nur für „verrückte“ Wissenschaftler oder für Mädchen in Kampfstiefeln und Khaki-Hosen da, Wissenschaft ist auch für Mädchen in rosa Kleidern und Absatzschuhen da.

Halten Sie Mentorenprogramme für sinnvoll?

Ich halte sie für sehr sinnvoll, aber da sie viel Zeit kosten und normalerweise auf ehrenamtlicher Basis durchgeführt werden, erreichen sie viele Menschen und Wissenschaftler nicht.

Welche Vorbilder sehen Sie für Frauen in der Wissenschaft?

Ich orientiere mich in der Regel an modernen Vorbildern, die mir in Erinnerung rufen, dass sich Frausein und Wissenschaftlersein nicht ausschließen, und aus deren Lebenserfahrung ich Erkenntnisse und Anregungen ziehen kann: Jane Goodall, Leslie Vosshall und meine eigene Supervisorin, Silke Sachse.

Welchen Rat würden Sie jungen Frauen geben, die eine wissenschaftliche Laufbahn in Erwägung ziehen?

Ich würde ihnen raten, sich selbst treu zu bleiben. Um Wissenschaftlerin zu werden, muss man keine Stereotype erfüllen. Man darf sich von niemandem einreden lassen, dass man es nicht schaffen kann.

Möchten Sie noch etwas zu Maria Sibylla Merian ergänzen, was mit den vorherigen Fragen nicht abgedeckt wurde?

Was ich an Merians Arbeit mit am meisten bewundere, ist die Tatsache, dass es ihr gelang, Brücken zu schlagen, wo es zuvor keine Brücken gab. Sie schlug eine Brücke zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Entomologie und Botanik, zwischen Insekten und Verhalten

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