Forschungsbericht 2018 - Max-Planck-Institut für Quantenoptik

Quantenelektrodynamik und die Größe des Protons

Autoren
Udem, Thomas
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Quantenoptik, Garching
Zusammenfassung
Durch sehr genaue Messungen am Wasserstoffatom und dem Vergleich mit den theoretischen Vorhersagen im Rahmen der Quantenelektrodynamik lässt sich der Radius des Protons am genauesten bestimmen. Allerdings waren die auf diese Weise ermittelten Werte widersprüchlich, was auf unbekannte physikalische Effekte hindeutetet. Jetzt haben Arbeiten am Max-Planck-Institut für Quantenoptik gezeigt, dass die Diskrepanzen wohl auf Messfehler in früheren Daten zurückzuführen sind.

In der Grundlagenphysik werden die fundamentalen Wechselwirkungen und Teilchen erforscht, aus denen sich die beobachtete Welt zusammensetzt. Dabei werden Theorien aufgestellt und diese im Experiment einer strengen Prüfung unterzogen. Diskrepanzen zwischen Theorie und Experiment spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Die am besten überprüfte physikalische Theorie ist die der Quantenelektrodynamik. Eine entscheidende Rolle bei ihrer Überprüfung spielt das Wasserstoffatom. Es ist das einfachste Atom im Periodensystem und besteht aus nur einem Elektron und einem sehr viel schwereren Proton im Kern. Aufgrund dieser sehr einfachen Struktur lassen sich die möglichen Bahnen, die das Elektron im Umlauf um den Kern nehmen kann, extrem genau berechnen. Es gibt nur sehr wenige theoretische Vorhersagen in der Physik, die eine ähnliche Präzision erlauben.

Allerdings lassen sich die berechneten Elektronenbahnen nur sehr schwer experimentell messen. Sehr genau untersuchen lässt sich hingegen die Frequenz des Lichts, welches das Elektron beim Wechseln zwischen den Bahnen aussendet. In der Praxis geht man allerdings besser den umgekehrten Weg: Man bestrahlt Wasserstoffatome mit dem Licht eines Präzisionslasers und beobachtet, ob das Elektron seine Bahn ändert (Abbildung 1). Das Elektron im Wasserstoffatom ist dabei extrem wählerisch. Bestimmte Übergänge lassen sich auf diese Weise nur anregen, wenn die Frequenz des Laserlichts auf 15 Dezimalstellen korrekt ist. Dieser Umstand liefert eine extrem genaue experimentelle Methode.

Ein wichtiges Werkzeug ist dabei der sogenannte optische Frequenzkamm, für den Theodor Hänsch vom vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik im Jahre 2005 den Physik-Nobelpreis erhalten hat. Die Idee dahinter ist, die Schwingungen der Lichtwelle, die das Wasserstoffatom anregt, einzeln zu zählen. Allerdings sind diese Schwingungen extrem schnell, so dass auch die schnellsten elektronischen Zähler dabei hoffnungslos überfordert wären. Der optische Frequenzkamm verwendet selbst Laserlicht. Weil man die Frequenz des Lichts, das heißt die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde, wissen möchte, benötigt man noch eine extrem genaue Atomuhr, die den Frequenzkamm steuert und ihm gewissermaßen sagt, wann er aufhören soll zu zählen. Uhren, und insbesondere Atomuhren, sind die genauesten Instrumente, die es gibt. Nichts lässt sich so genau messen wie die Zeit. Damit sind die präzisesten Werkzeuge am Start, um die Quantenelektrodynamik mit der Realität zu konfrontieren.

Die Beschreibung des Wasserstoffatoms durch die Quantenelektrodynamik ist so weit vorangeschritten, dass selbst winzige Effekte, wie der Radius des Kerns, berücksichtigt werden müssen. Obwohl das Proton etwa 100.000-mal kleiner als die Bahn des Elektrons ist, beeinflusst es diese geringfügig. Der Protonenradius lässt sich bislang nicht mit der benötigten Genauigkeit berechnen. Was also tun, um mit dem Testen der Quantenelektrodynamik weiter voranzukommen? Man dreht den Spieß um und benutzt die Messungen am Wasserstoffatom, um den Protonenradius zu bestimmen. Dabei muss man allerdings das voraussetzen, was man überprüfen möchte, nämlich die Gültigkeit der Quantenelektrodynamik.

Abhilfe schafft die Vermessung von mindestens zwei Übergängen im Wasserstoffatom. Aus jeder der ermittelten Laserfrequenzen lässt sich ein Wert für den Protonradius bestimmen. Ist die Theorie richtig, so sollten diese beiden Werte übereinstimmen. Der Test der Quantenelektrodynamik besteht nun nicht mehr im direkten Verglich zwischen Theorie und Experiment, sondern im Vergleich der ermittelten Werte des Protonradius. Man verwendet dabei nicht nur zwei, sondern 15 Hochpräzisionsmessungen der letzten 30 Jahre (Abbildung 2). Diese Messungen waren bis zum Jahr 2010 konsistent und lieferten einen Protonradius von 0,875 fm (1 fm = 1 Femtometer = 10-15 m).

Im Jahr 2010 gelang es erstmals, unter Beteiligung von Wissenschaftlern des Max-Planck Instituts für Quantenoptik Laserspektroskopie am myonischem Wasserstoff durchzuführen [1]. Bei diesem kurzlebigen exotischen Atom wird das Elektron durch seinen großen, schwereren „Bruder“, das Myon, ersetzt. Das Myon lebt nur etwa 2,2 millionstel Sekunden und lässt sich mit einem Teilchenbeschleuniger erzeugen. Innerhalb der Lebensdauer muss damit ein myonisches Wasserstoffatom hergestellt und dieses mit einem Laser untersucht werden.

Nach der Quantenelektrodynamik sollte sich das Myon exakt so verhalten wie das Elektron, bis auf die etwa 207-mal größere Masse des Myons. Dadurch ist seine Bahn um den gleichen Faktor kleiner. Das Myon kommt dem Kern also wesentlich näher als das Elektron und ist daher von diesem stärker beeinflusst.

Die Auswertung der myonischen Daten ergab überraschend einen wesentlich kleineren Wert für den Protonenradius von 0,841 fm. Verhält sich das Myon also doch anders als das Elektron, was bis dahin als unmöglich galt?

In diesem Proton Radius Puzzle sahen viele einen Hinweis auf eine neue, unbekannte Physik. Theoretiker entwickelten Modifikationen der Quantenelektrodynamik, die den neuen experimentellen Befund erklären sollten, doch kein Ansatz funktionierte richtig. Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse zum myonischen Wasserstoff begannen wir mit einer Neuvermessung eines Wasserstoffübergangs. Hierfür nutzten wir technische Neuerungen mit dem Ziel, die Messgenauigkeit weiter zu steigern. Im Jahre 2017 hatten wir einen Wert für den Protonenradius, der so genau war wie alle bisherigen Wasserstoffdaten zusammengenommen. Dieser stimmt vorzüglich mit dem Wert des myonischen Wasserstoffs überein [2]. Ist damit das Proton Radius Puzzle gelöst und die schwere Krise der Quantenelektrodynamik überwunden? Genau genommen nicht, denn es gibt noch keine stimmige Erklärung für die Diskrepanz der alten Wasserstoffdaten. Wir arbeiten auch an diesem Problem, zum Beispiel, indem wir die neuen experimentellen Techniken auf weitere Übergänge anwenden.

Literaturhinweise

Randolf Pohl, Aldo Antognini, François Nez, Fernando D. Amaro, François Biraben, João M. R. Cardoso, Daniel S. Covita, Andreas Dax, Satish Dhawan, Luis M. P. Fernandes, Adolf Giesen, Thomas Graf, Theodor W. Hänsch, Paul Indelicato, Lucile Julien, Cheng-Yang Kao, Paul Knowles, Eric-Olivier Le Bigot, Yi-Wei Liu, José A. M. Lopes, Livia Ludhova, Cristina M. B. Monteiro, Françoise Mulhauser, Tobias Nebel, Paul Rabinowitz, Joaquim M. F. dos Santos, Lukas A. Schaller, Karsten Schuhmann, Catherine Schwob, David Taqqu, João F. C. A. Veloso Franz Kottmann
The size of the proton
Nature 466, 213 (2010)
Axel Beyer, Lothar Maisenbacher, Arthur Matveev, Randolf Pohl, Ksenia Khabarova, Alexey Grinin, Tobias Lamour, Dylan C. Yost, Theodor W. Hänsch, Nikolai Kolachevsky, Thomas Udem
The Rydberg constant and proton size from atomic hydrogen
Science 358, 79 (2017)

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