Forschungsbericht 2018 - Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung

Malaria- und Krebswirkstoffe aus Pflanzenabfall, Licht und Luft

Autoren
Seeberger, Peter H.
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam-Golm
Zusammenfassung
Artemisinin, Grundlage der derzeit wirksamsten Malariawirkstoffe, wird aus dem einjährigen Beifuß (Artemisia annua) gewonnen. Die Aufreinigung ist aber ineffizient und teuer, so dass die Hälfte des Medikamentenmarktes mit wirkungslosen Fälschungen bedient wird. Wir haben ein umweltfreundliches Verfahren entwickelt, welches ein von der Pflanze produziertes Abfallprodukt mit Hilfe von durch Licht aktiviertemSauerstoff effizient zum Medikament umwandelt. Das sehr umweltfreundliche, patentierte Verfahren wird nunin den USA durch die Ausgründung ArtemiFlow zur industriellen Anwendung entwickelt.

Malaria ist nach wie vor ein großes, globales Gesundheitsproblem, welches jedes Jahr mehr als eine halbe Million Menschen tötet. Die von einem Parasiten verursachte Infektion wird am effektivsten mit Artemisinin-Kombinationspräparaten (ACTs) behandelt. Aus der traditionellen chinesischen Medizin war bekannt, dass Tees des einjährigen Beifußes (Artimisia annua) gegen Malaria wirken. Für die Entdeckung des Wirkstoffes Artemisinin erhielt Youyou Tu 2015 den Nobel Preis. Das Artemisinin ist auch gegen eine Vielzahl von Krebsarten wirksam. Da jedoch nicht einmal der Malariamarkt mit genügend Wirkstoff versorgt werden kann, wird das Medikament derzeit nicht gegen andere Krankheiten angewandt. Einfache, effiziente und kostengünstige Herstellungsmethoden, mit denen sich hundert Tonnen des Wirkstoffs produzieren lassen, wären eine Möglichkeit, jährlich hunderttausende von Leben zu retten.

Der einjährige Beifuß wird derzeit hauptsächlich in China und Vietnam angebaut, wo Artemisinin (0,5 Prozent der Pflanzenmasse) mit umweltschädlichen Methoden extrahiert und dann in einem chemischen Verfahren zu Artemether oder Artesunate umgewandelt wird. Die fragmentierte Wertschöpfungskette wird von Zwischenhändlern dominiert, welche die Produkte verteuern. Da die wichtigen Medikamente für viele Menschen in armen, Malaria-endemischen Ländern zu teuer sind, wird die Hälfte des Marktes mit unwirksamen Fälschungen versorgt.

Die angeregte Form des Sauerstoffs (Singulett-Sauerstoff) ist ein hochreaktives Reagenz, das auch von der Beifusspflanze zur Herstellung von Artemisinin verwendet wird. Wir waren an der Herstellung von Singulett-Sauerstoff interessiert, um diesen als Reagenz in der chemischen Synthese einzusetzen. Dafür erfanden wir einen Photoreaktor, in dem Lichtenergie mit Hilfe eines Farbstoffes auf den Sauerstoff übertragen wird. Anstelle eines großen Kessels, den das Licht nicht durchdringen kann, verwenden wir eine Lampe, die mit einem dünnen Schlauch umwickelt wurde. So kann das Licht alle Moleküle erreichen und die Produktion von hochreaktivem Singulett-Sauerstoff verläuft schnell und mit guter Ausbeute.

Bereits 2012 konnten wir die Reaktion, der im Beifuss gebildeten Dehydroartemisininsäure (DHAA) mit Singulett-Sauerstoff nutzen, um Artemisinin herzustellen. DHAA wird von der Pflanze in ähnlicher Menge wie Artemisinin hergestellt, bisher aber als Pflanzenabfall verworfen. Der von der MPG patentierte Prozess erlaubte es, schnell und effizient Pflanzenabfall in den Naturstoff Artemisinin zu überführen. Da jedoch nicht Artemisinin, sondern dessen Abkömmlinge als Wirkstoffe verwendet werden, entwickelten wir in Zusammenarbeit mit Prof. A. Seidel-Morgenstern vom MPI Magdeburg eine kontinuierliche Synthese zur Herstellung verschiedener Wirkstoffe aus Pflanzenabfall. Durch den Einsatz von LEDs ließ sich die Reaktionseffizienz steigern, und die preisgünstige Anlage ermöglichte die Herstellung von 200 Gramm Wirkstoff pro Tag als ersten Schritt zur Industrialisierung.

In Zusammenarbeit mit den Chemikern in Potsdam und den Chemieingenieuren in Magdeburg wurde der gesamte Prozess nochmals überarbeitet und untersucht, ob der teure und giftige Farbstoff durch Bestandteile der Pflanze ersetzt werden könnte. Anstelle des als Reinsubstanz eingesetzten DHAA wurde nun der gesamte Pflanzenextrakt verwendet, der große Mengen des grünen Farbstoffs Chlorophyll enthält. Die Belichtung des Pflanzenextrakts in der Gegenwart von Sauerstoff und dem Zusatz von Säure produzierte innerhalb von 15 Minuten Artemisinin in guter Ausbeute. Der effiziente Prozess kann hundertmal mehr DHAA umsetzen, so dass auch durch synthetische Biologie gewonnenes DHAA dem Extrakt beigefügt werden kann, sobald diese Art der Herstellung wettbewerbsfähig ist.

Um diesen aus der Grundlagenforschung hervorgegangenen Prozess für die Herstellung günstiger Malaria-Medikamente einzusetzen, wurde die ArtemiFlow GmbH gegründet, welche die beiden Patente von der MPG lizensierte. Die Firma hat sich zum Ziel gesetzt, 100 Tonnen Artemisinin pro Jahr herzustellen und damit ein Drittel des derzeitigen Malaria-Marktes zu versorgen. Um genügend Pflanzenextrakt für die Herstellung von Artemisinin zu haben, hat das Unternehmen neue Pflanzensorten sowie Anbaumethoden auf ehemaligen Tabakfeldern im US-Bundesstaat Kentucky getestet, auf denen der einjährige Beifuss hervorragend wächst.

Ein neuartiges und wesentlich effizienteres Extraktionsverfahren wurde entwickelt und mit dem photochemischen Syntheseprozess kombiniert. Nach gelungenem Testanbau und einer guten ersten Ernte 2018 werden die Anbauflächen 2019 erweitert. Erste Verkäufe sind für 2021 eingeplant, wenn die großtechnischen Extraktions- und Syntheseanlagen betriebsbereit sind.

Artemisininderivate sind ohne Nebenwirkungen gegen verschiedene Krebsarten (unter anderem Brust, Prostata, Darm) aktiv. Bisher wurde von einem breiteren Einsatz abgesehen, um nicht die ungenügenden Malariamedikamentenvorräte weiter zu schmälern. Mit einem skalierbaren Syntheseverfahren lassen sich die Produktionsmengen erhöhen. Um die Wirksamkeit gegen Lungenkrebs zu zeigen, beginnt 2019 eine klinische Studie am Markey Cancer Center in Lexington Kentucky. Auf Feldern, auf denen vormals Tabak angebaut wurde, gedeihen nun Pflanzen, welche die Rohstoffe für neuartige Krebsmedikamente produzieren. Max Planck hatte also recht, als er sagte, dass das Erkennen der Anwendung vorausgehen müsse.

Literaturhinweise

Levesque, F.; Seeberger, P.H.
Continuous flow synthesis of the antimalarial drug artemisinin
Angew. Chem. Int. Ed. 51, 1706-1709 (2012)
Gilmore, K.; Kopetzki, D.; Lee, J.W.; Horvath, Z.; Horosanskaia, E.; McQuade, D.T.; Lorenz, H.; Seidel-Morgenstern, A.; Seeberger, P.H.
Continuous Synthesis of Artemisinin-Based Medicines

Chem. Comm. 50, 12652-12655 (2014)

Triemer, S.; Gilmore, K.; Truong Vu, G.; Seeberger, P.H.; Seidel-Morgenstern, A.
Literally green chemical synthesis of artemisinin from plant extracts
Angew.Chem.Int.Ed. 57, 5525-5528 (2018)

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