Gute Kunst wirkt nach

Gemälde können Reaktionen in Hirnrealen auslösen, die normalerweise der Reflexion dienen

Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik untersuchte die Hirnaktivität von Probanden beim Betrachten verschiedener Kunstwerke. Im Mittelpunkt standen die Gehirnaktivitäten während der Zeitspanne, in der sich ästhetische Erfahrungen entfalten. Dabei machten die Wissenschaftler die überraschende Entdeckung, dass  ansprechende Kunstwerke nicht nur sensorische Gehirnregionen aktivieren.

Stellen wir uns vor, wir betrachten van Goghs „Sternennacht“ zum ersten Mal. Wie ist diese Erfahrung? Vielleicht fällt uns zuerst das Vorherrschen der Farbe Blau auf. Dann schauen wir genauer hin und entdecken die Sterne und die Farbringe um sie herum. Schließlich nehmen wir das kleine Dorf und seine Details wahr. Dabei wirkt das Blau des Himmels immer noch nach. Während wir das Gemälde erkunden, verändert sich unsere Wahrnehmung und damit einhergehend auch die Reaktion des Belohnungszentrums im Gehirn.

Ästhetische Erfahrungen entfalten sich über eine gewisse Zeitspanne hinweg, auch wenn das Kunstwerk dabei unverändert bleibt. Der Frage, wie das Gehirn diese dynamischen Erfahrungen erzeugt, hat sich ein internationales Forscherteam gewidmet, dessen Forschungsergebnisse nun in der Fachzeitschrift NeuroImage erschienen sind. Die Ergebnisse legen nahe, dass ein Schlüssel zu dieser Dynamik in der Unterscheidung derjenigen Hirnareale liegt, die einerseits auf die Außenwelt, andererseits auf unser Innenleben gerichtet sind.

Gemälde können Wirkung aufs Innenleben entfalten

Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), einer bildgebenden Technik zur Beurteilung der Hirnaktivität, hat das Forscherteam untersucht, wie das Gehirn reagierte, während Studienteilnehmer Abbildungen von Kunstwerken bis zu 15 Sekunden lang auf Bildschirmen betrachteten. Im Fokus der Forschung stand ein System von Hirnarealen, das als „Default Mode Network" (DMN) bezeichnet wird und reflektierende mentale Prozesse unterstützt – sozusagen unser Innenleben. Das DMN versetzt uns in die Lage, unabhängig von äußeren Reizen zu denken, zum Beispiel in Form von Tagträumen oder Zukunftsplänen.

Normalerweise sinkt die Aktivität des DMN, wenn wir ein Bild betrachten, und sensorische Gehirnregionen werden stattdessen aktiver. Die neue Studie zeigte jedoch Überraschendes, wie Edward Vessel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik erklärt: „Finden wir ein Kunstwerk ästhetisch ansprechend, werden Teile des DMN wieder aktiv, obwohl der Fokus auf der Außenwelt – dem Kunstwerk – liegt“. Ästhetisch ansprechende Kunstwerke aktivieren somit einen außergewöhnlichen Prozess im menschlichen Gehirn, der sowohl äußere Reize als auch mentale und emotionale Reaktionen verarbeitet.

Attraktivität von Kunstwerken ist ausschlaggebend

Betrachteten Studienteilnehmer ein Kunstwerk am Bildschirm, das sie nicht attraktiv fanden, so wurde die DMN nicht wirksam. Im Gegensatz dazu blieb die DMN bei attraktiven Kunstwerken so lange aktiv, bis das Bild vom Bildschirm verschwand. „Wir konnten beobachten, dass dieser Hirnzustand relativ selten eintrat und wahrscheinlich ein Merkmal für bewegende ästhetische Erfahrungen ist“, führt Vessels Co-Autorin Amy Belfi von der Missouri University of Science and Technology weiter aus.

Dass Kunstwerke es vermögen, uns nachhaltig zu beeindrucken, scheint stark vom Zusammenwirken des nach innen gerichteten DMN und unseren nach außen gerichteten Sinnen abhängig zu sein.

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