Forschungsbericht 2018 - Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung
Übergewicht fördert die Entstehung von Darmkrebs
Einleitung
Die Fettleibigkeit in westlichen Staaten nimmt mittlerweile erhebliche Ausmaße an und erhöht für Betroffene nicht nur das Risiko für Adipositas-assoziierte Krankheiten wie die Entwicklung eines Typ 2-Diabetes mellitus, sondern auch die Inzidenz für einige Krebsarten wie das kolorektale Karzinom [1]. Somit stellt die Adipositas eine der größten sozialen, medizinischen und wirtschaftlichen Herausforderungen an unsere Gesellschaft dar. Vor einem Vierteljahrhundert wurde erstmals ein Zusammenhang zwischen Fettleibigkeit, chronisch niedriggradiger Entzündung und Insulinresistenz gefunden [2]. Mittlerweile ist die Adipositas-assoziierte Entzündung und ihr Einfluss auf die Entstehung einer Insulinresistenz weitestgehend akzeptiert. Beim Vorliegen einer Adipositas speichert das Fettgewebe überschüssige Nährstoffe, was zu einer lokalen Stressreaktion und Immunzellinfiltration führt. Die im Fettgewebe lokalisierten Immunzellen aktivieren die Immunfaktoren TNFa und IL-6, welche die Insulinsensitivität aller metabolischen Organe verschlechtern, da sie im Blutkreislauf zirkulieren [3].
Auch gastrointestinale Epithelzellen entwickeln eine Adipositas-assoziierte Insulinresistenz
Während der Mechanismus, wie Zytokine die Insulin-Signaltransduktion in Stoffwechselorganen inhibieren, weitestgehend aufgeklärt ist, war bislang nicht bekannt, ob auch die gastrointestinalen Epithelzellen (IEC) von Insulinresistenz betroffen sind. Das einzellagige IEC-Epithel bildet eine erste Verteidigungslinie gegen mit der Nahrung aufgenommene Pathogene und verhindert den Kontakt der Darmbakterien mit dem intestinalen Immunsystem. Um den Einfluss der Adipositas auf die intestinale Insulin-Signaltransduktion zu untersuchen, isolierten wir IECs aus dicken und dünnen Mäusen und stimulierten sie mit Insulin. Diese Experimente zeigten, dass die AKT-Kinase in IECs von dicken Mäusen nicht mehr von Insulin aktiviert werden konnte, weshalb der insulinsensitive FoxO1-Transkriptionsfaktor vermehrt im Kern lokalisiert war (Abb. 1 a, b).
Genetische Insulinresistenz in IECs verschlechtert die Darmbarriere und fördert die Entstehung intestinaler Adenome
Um den Effekt einer intestinalen Insulinresistenz auf die AOM/DSS-induzierte Darmkarzinogenese zu untersuchen, nutzten wir Mausmutanten, die über das Cre/loxP-System den Insulin- und IGF1-Rezeptor spezifisch in IECs inaktiviert hatten. Diese IR/IGF1R-defizienten Tiere wiesen eine schlechtere Regeneration der Darmbarriere sowie eine verstärkte Entzündung auf und entwickelten mehr kolorektale Adenome als Kontrollmäuse (Abb. 2, a-c). Dass die Insulin-regulierte Transkription über FoxO1 dafür ursächlich war, ließ sich in Parallelexperimenten mit Mäusen, die ein nukleäres FoxO1ADA-Transgen in IECs exprimierten, belegen (Abb. 2, d-f). Auf Ebene der Genexpression gab es zwischen Tumoren von dicken und FoxO1ADA-Mäusen genau ein überlappendes Gen: Desmocollin3 (Dsc3). DSC3 ist ein desmosomales Cadherin. Es bildet durch Protein-Protein Interaktionen mit Desmoglein die Desmosomen, die stärksten interzellulären Kontakte von Epithelien. Wir konnten zeigen, dass ein Insulin-vermittelter nukleärer FoxO1-Export die Expression von Dsc3 in IECs erhöht und Mäuse mit einer IEC-spezifischen DSC3-Defizienz mehr kolorektale Tumore ausbilden. Die Insulinresistenz in IECs führt also zu einer verminderten Adhäsion des Darmepithels und einer erhöhten Durchlässigkeit, was eine darmspezifische Entzündung und die maligne Transformation von IECs und damit die Entstehung eines kolorektalen Karzinoms fördert [4].
In einer weiteren Studie wollten wir der Rolle des Adipositas-induzierten IL-6 bei der Darmkarzinogenese auf den Grund gehen. Dazu induzierten wir Darmkrebs in dünnen und dicken Mäusen, die den IL-6 - Rezeptor in verschiedenen Zellarten inaktiviert hatten. Eine IL-6 Rezeptor-Defizienz in allen Zellen schützte die Tiere gegen die Darmkrebsentwicklung, wobei aber überraschenderweise die IEC-spezifische IL-6 Rezeptor-Inaktivierung keinen Einfluss auf die Darmkarzinogenese hatte. Allerdings waren makrophagenspezifische IL-6 Rezeptor-knock out-Tiere auch gegen die Darmkarzinogenese geschützt. In weiteren Experimenten fanden wir heraus, dass Makrophagen durch IL-6 in sogenannte tumorassoziierte Makrophagen polarisiert werden, die das Chemokin CCL20 im Tumor exprimieren. Das CCL20 im TME führt zur Rekrutierung von CCR6+-Lymphozyten, die den CCL20-Rezeptor CCR6 exprimieren und deren Präsenz die kolorektale Tumorentstehung fördert. Übereinstimmend verhinderte eine genetische CCR6-Defizienz die Darmkrebsentwicklung in dünnen und dicken Mäusen. Weiterführende Experimente zeigten, dass eine Beeinträchtigung der CCR6+-Lymphozyten die Darmkrebsentstehung verhindert [5]. Durch die Adipositas erhöhtes IL-6 beeinflusst das kolorektale Tumormikromilieu: Makrophagen exprimieren CCL20, um CCR6+-Lymphozyten in den Tumor zu rekrutieren, deren Anwesenheit wiederum die Tumorgenese verstärkt.
Fazit
Zusammenfassend konnten wir zeigen, dass die Adipositas-induzierte Entzündung( IL-6) als auch die dadurch verursachte Insulinresistenz im Darmepithel eine fördernde Wirkung auf die Darmkrebsentwicklung haben. Das molekulare Verständnis dieser Prozesse könnte ein Ansatzpunkt für neuartige Therapien gegen diese fatale Folgeerkrankung der Adipositas sein.
Literaturhinweise
Nature Metabolism 1, 371–389 (2019)