Forschungsbericht 2018 - Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft

Chemische Reaktionen in eingegrenzten Räumen

Autoren
Prieto, Mauricio J.; Schmidt, Thomas; Shaikhutdinov, Shamil; Freund, Hans-Joachim
Abteilungen
Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, Abteilung Chemische Physik, Berlin
Zusammenfassung
Die Untersuchung chemischer Reaktionen in eingegrenzten Räumen hat jüngst an Attraktivität gewonnen. Silika-Doppellagen eignen sich besonders gut für solche Studien. Sie sind auf Metallen nur durch Dispersionskräfte an die Substratoberfläch gebunden. Dadurch entsteht ein Zwischenraum, in dem sich chemische Reaktionen beobachten und mit denselben Reaktionen ohne räumliche Begrenzung vergleichen lassen. Unsere Gruppe am Fritz-Haber-Institut hat die Reaktion von auf Ru(0001) adsorbierten Sauerstoffatomen mit molekularem Wasserstoff mit Hilfe von niederenergetischer Elektronenmikroskopie verfolgt.

Die Möglichkeit, chemische Reaktionen zu beeinflussen, indem sie in eingegrenzten Räumen durchgeführt werden, hat in letzter Zeit die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Gemeinschaft auf sich gezogen [1]. Für unsere Untersuchungen haben wir SiO2-Doppellagen auf Ru(0001) verwendet. Dieses System hat sich hinsichtlich der Anzahl der vorhandenen Polymorph-Strukturen als vielseitig erwiesen. Zum Beispiel kann eine frei schwebende Silika-Bilage auf Ruthenium zwei unterschiedliche Formen ausbilden, nämlich kristallin und glasartig [2]. Diese beiden Polymorphe sind chemisch vom Ruthenium-Substrat entkoppelt und wechselwirken mit ihm nur über Van-der-Waals-Kräfte. Abbildung 1 zeigt die Ansichten und Elektronenbeugungsbilder sowohl eines kristallinen als auch eines glasartigen Films. Beide Polymorphe bestehen aus der Verbindung von SiO4-Tetraedern. Im Falle der kristallinen Phase wurde eine homogene Verteilung von sechsgliedrigen Ringen (entweder O oder Si) mit Rastertunnelmikroskopie beobachtet, während die Glasphase eine charakteristische Verteilung der verschiedenen Ringgrößen typischerweise im Bereich von vier bis zehn Elementen aufweist [2].

Interkalation und Wasserbildungsreaktion

Interkalationsexperimente bieten die Möglichkeit, chemische Spezies im Bereich zwischen Silika-Bilage und Ru(0001)-Metalloberfläche zu manipulieren [3]. Mit niederenergetischer Elektronenmikroskopie an der Berliner Synchrotron-Strahlungsquelle BESSY II gelang es, eine einfache Reaktion von auf Ru(0001) adsorbierten O-Atomen mit H2 aus der Gasphase in-situ zu verfolgen [4]. Abbildung 1 zeigt schematisch die Reaktion. Das in unserer Abteilung entwickelte Gerät erlaubt es, mit Hilfe von Elektronenstreuung die Reaktionsfronten abzubilden und mit Röntgen-Photoelektronenspektroskopie (XPS) die chemischen Zustände der Oberfläche zu identifizieren.

Abbildung 2 zeigt eine Serie von mikroskopischen Aufnahmen als Funktion des Fortschritts der Reaktion. Zu jedem Zeitpunkt kann die Reaktion durch Drosselung der H2-Zufuhr angehalten und das System mit lokaler XPS charakterisiert werden. Der helle Teil repräsentiert die mit Sauerstoff bedeckte Fläche, der dunkle die freie Fläche. Diese Experimente können nun sowohl in Anwesenheit der Silika-Bilage als auch auf der Silika-freien Ru(0001)-Oberfläche durchgeführt werden. Die Wasserbildungsreaktion auf der reinen Ru-Oberfläche wurde bereits 1996 sehr detailliert untersucht [5], so dass ausgezeichnete Vergleichsdaten vorliegen.

Aktivierungsenergie

Um die Temperaturabhängigkeit der Frontgeschwindigkeit vFront zu ermitteln und deren Aktivierungsenergie zu extrahieren, wurde die Verschiebung der Front in Echtzeit bei verschiedenen Temperaturen aufgezeichnet. Die Geschwindigkeitswerte wurden aus der Intensitätsentwicklung über die Zeit berechnet, um über lokale Unterschiede aufgrund von Defekten oder Stufen auf der Ru(0001)-Oberfläche zu mitteln. Abbildung 2 zeigt das Ergebnis in der Arrhenius-Darstellung. Die Analyse ergibt eine Aktivierungsenergie von 0,27 ± 0,02 eV für die Frontbewegung, wenn die Reaktion unter dem Silika-Film stattfindet. Dies ist nach unserem Wissen der erste Wert für eine chemische Reaktion, die physikalisch unter einem 2D-Material eingeschlossen ist.

Zusätzlich haben wir das gleiche Experiment ohne Silika-Bedeckung auf der mit einer Sauerstofflage bedeckten Ru(0001)-Oberfläche durchgeführt, um die daraus gewonnene Aktivierungsenergie mit schon zuvor veröffentlichen Ergebnissen [5] vergleichen zu können. Auch in diesem Fall wurde eine fortschreitende Reaktionsfront mit ähnlichen Eigenschaften wie auf der mit SiO2 bedeckten Ru-Oberfläche beobachtet [4]. Der mit der Arrhenius-Analyse ermittelte Wert von 0,59 ± 0,04 eV stimmt sehr gut mit dem 1996 veröffentlichten überein [5].

Offene Fragen

Zwei wichtige Punkte bleiben zu berücksichtigen. Einerseits wurde nicht nur ein deutlicher Rückgang der Aktivierungsenergie für die Reaktion unter dem Silika gefunden, sondern auch eine starke Abnahme des präexponentiellen Faktors um etwa 104. Die gesamte Wasserbildungsreaktion ist jedoch ein komplexer Prozess mit vielen Parametern, die durch die Anwesenheit des Silika-Films modifiziert werden kann. Deshalb ist der Ursprung der unterschiedlichen Aktivierungsenergien für die Reaktion auf den unbedeckten und bedeckten Ru(0001)-Oberflächen immer noch nicht völlig klar.

Dennoch können wir einige Hinweise auf die Prozesse geben, die durch das Vorhandensein der SiO2-Abdeckung beeinträchtigt werden könnte, wenn der folgende Reaktionsmechanismus für die Wasserbildung auf Ru(0001) betrachtet wird:

H2(g)⇌2H(ads)                                   (1)

H(ads)+O(ads)⇌OH(ads)                  (2)

OH(ads)+H(ads)⇌H2O(ads)             (3)

2OH(ads)⇌H2O(ads)+O(ads)        (4)

H2O(ads)⇌H2O(g)                       (5)

Man kann davon ausgehen, dass die Anwesenheit der Silika-Bilage den Reaktionsschritt (5) stark beeinflusst, da die Wasserdiffusion aus dem eingegrenzten Raum heraus aufgrund sterischer Faktoren behindert wird und folglich sich die Verweilzeit von Wasser an der Ruthenium-Grenzfläche erhöht. Die in der Reaktion gebildeten H2O-Moleküle müssen in der Nähe der fortschreitenden Front entfernt werden. Es besteht deshalb eine Möglichkeit darin, dass der geschwindigkeitsbestimmende Schritt für die Reaktion im eingegrenzten Raum nicht mehr die Bildung von OHAds-Molekülen (Reaktion 2) ist, sondern ihre Entfernung.

Damit haben wir gezeigt, dass das SiO2/Ru(0001)-System ein interessanter Kandidat für ein Modellsystem ist, in dem grundlegende Fragen hinsichtlich Interkalation und Durchlässigkeit von Gasen und Chemie im eingegrenzten Raum geklärt werden können. Sie spielen zum Beispiel auch bei der katalytischen Chemie in Zeoliten eine wesentliche Rolle.

Wir danken der BESSY-II-Crew (HZB) für die technische sowie dem BMBF (Vertr. Nr. 05KS4WWB/4), der DFG (CRC 1109; UniCat) und dem ERC (CRYVISIL - REP-669179) für die finanzielle Unterstützung.

Literaturhinweise

Jones, A. J.; Zones, S. I.; Iglesia, E.

Implications of Transition State Confinement within Small Voids for Acid Catalysis.
The Journal of Physical Chemistry C 118, 17787-17800 (2014)
DOI: 10.1021/jp5050095
Büchner, C.; Heyde, M.
Two-Dimensional Silica Opens New Perspectives

Progress in Surface Science 92, 341-374 (2017)
DOI: 10.1016/j.progsurf.2018.09.001

Emmez, E.; Yang, B.; Shaikhutdinov, S.; Freund, H. J.
Permeation of a Single-Layer Sio2 Membrane and Chemistry in Confined Space
The Journal of Physical Chemistry C 118, 29034-29042 (2014)
DOI: 10.1021/jp503253a
Prieto, M. J.; Klemm, H. W.; Xiong, F.; Gottlob, D. M.; Menzel, D.; Schmidt, T.; Freund, H. J.
Water Formation under Silica Thin Films: Real-Time Observation of a Chemical Reaction in a Physically Confined Space
Angewandte Chemie International Edition in English 57, 8749-8753 (2018)
DOI: 10.1002/anie.201802000
Koch, M. H.; Jakob, P.; Menzel, D.
The Influence of Steps on the Water-Formation Reaction on Ru(001)
Surface Science 367, 293-306 (1996)
DOI: 10.1016/S0039-6028(96)00811-4
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