Forschungsbericht 2018 - Max-Planck-Institut für Neurobiologie des Verhaltens - caesar
Neuronale Kontrolle der Flugsteuerung in Drosophila
Bewegung braucht Orientierung
Um die Welt zu erkunden, sind Tiere auf sensorische Reize angewiesen, die zum Beispiel auf Hindernisse, Nahrungsquellen, potenzielle Paarungspartner oder Raubtiere hinweisen können. Wie ein Tier auf solche Reize reagiert, hängt stark von seinem Verhaltens- und Motivationszustand ab. Das Hauptinteresse meiner Forschungsgruppe besteht darin herauszufinden, wie das Nervensystem eine angemessene Reaktion auf sensorische Reize auswählt und steuert.
Um dieser Frage nachzugehen, analysieren wir als Modellsystem die Flugmanöver der Fruchtfliege Drosophila melanogaster. Fliegen haben einen besonderen Flugstil aus Strecken geraden Flugs mit eingestreuten, schnellen Richtungswechseln, die man Sakkaden nennt. Um wiederum eine gerade Flugbahn auch bei Störungen, zum Beispiel durch Wind, zu stabilisieren, stützen sich Fliegen auf visuelle Informationen, die durch ihre eigene Flugbewegung entstehen; dies bezeichnen wir als den optischen Fluss: Mithilfe optomotorischer Reaktionen gleichen Fliegen Abweichungen von der geraden Flugbahn aus, indem sie sich mit der Richtung visuell wahrgenommener Bewegung drehen. Drehungen um die vertikale Körperachse als Reaktion auf horizontale Bewegung können im stationären Flug gemessen werden, indem man den Unterschied zwischen der Amplitude des Flügelschlags des linken und rechten Flügels misst.
Auch Richtungsänderungen können durch visuelle Reize hervorgerufen werden. Bewegungsbedingte, scheinbar größer werdende Objekte können zum Beispiel die Annäherung möglicher Raubtiere oder eine bevorstehende Kollision signalisieren und ausweichende Wendemanöver hervorrufen. Dies kann im Experiment durch sich vergrößernde Balken oder Kreise nachgeahmt werden.
Das visuelle System der Fliege
![Abb. 1: Schematische Darstellung der Apparatur für die gleichzeitige Messung von Verhaltens- und neuronaler Aktivität (modifiziert nach [2]). Aufnahmen der fliegenden Fliege (rechts) werden genutzt, um die Amplitude des linken (L) und rechten (R) Flügelschlages zu ermitteln. Die Differenz (L-R) ist ein Maß für versuchte Drehungen der Fliege um die vertikale Körperachse.](/12610270/original-1558100686.jpg?t=eyJ3aWR0aCI6MjQ2LCJvYmpfaWQiOjEyNjEwMjcwfQ%3D%3D--ceb071e1a6de14957ce45554d82a50f6df9a6a66)
Abb. 1: Schematische Darstellung der Apparatur für die gleichzeitige Messung von Verhaltens- und neuronaler Aktivität (modifiziert nach [2]). Aufnahmen der fliegenden Fliege (rechts) werden genutzt, um die Amplitude des linken (L) und rechten (R) Flügelschlages zu ermitteln. Die Differenz (L-R) ist ein Maß für versuchte Drehungen der Fliege um die vertikale Körperachse.
Große Teile des Fliegengehirns, die optischen Loben, sind der Verarbeitung visueller Informationen gewidmet [1]. Spezielle Zellen in den optischen Loben, die sogenannten Lobula-Platten-Tangentialzellen (LPTZ), wurden bereits ausführlich untersucht. Sie verfügen über weite rezeptive Felder und reagieren richtungsselektiv auf großflächige Bewegungen [2]. Es wird daher angenommen, dass sie Teil derjenigen neuronalen Schaltkreise sind, die optomotorische Reaktionen steuern. LPTZ bilden Synapsen mit absteigenden Neuronen, die Informationen vom Gehirn an die Flugmuskulatur weiterleiten. Während in neueren Studien viele dieser absteigenden Neurone anatomisch beschrieben wurden [3, 4], ist die Funktion von nur wenigen dieser Zellen bekannt. Diese Zellen sind aber besonders interessant, da wir aus ihrer Aktivität Aufschluss darüber gewinnen können, wie Information in den vorgeschalteten Schaltkreisen im Gehirn verarbeitet wird. Daher untersucht meine Gruppe die Funktion derjenigen absteigenden Neurone, die an der Flugsteuerung in der Fruchtfliege beteiligt sind. Dazu messen wir gleichzeitig die Aktivität dieser Nervenzellen mittels elektrophysiologischer Ableitung und das Flugverhalten der Tiere, die zwar fixiert sind, aber noch ihre Flügel bewegen können (Abb. 1). In unseren Experimenten präsentieren wir sensorische Reize, unter anderem sich bewegende visuelle Muster, um Lenkmanöver im Flug auszulösen.
Ein absteigendes Neuron steuert Sakkaden
![A) Gleichzeitige Messung des Drehverhaltens (L-R) und des Membranpotentials eines absteigenden Neurons. Beide Signale sind stark miteinander korreliert. B) Rekonstruktion der Anatomie des abgeleiteten Neurons. Die Zelle projiziert vom Zentralgehirn (oben) zum Thorakalganglion (unten) und ist somit ein absteigendes Neuron. Der Balken entspricht 50 µm. Modifiziert nach [5].](/12610293/original-1558100686.jpg?t=eyJ3aWR0aCI6MjQ2LCJvYmpfaWQiOjEyNjEwMjkzfQ%3D%3D--b06f44e48173fab3eb00f99b60a2d991e5e7fdb5)
Während meiner Zeit als Postdoktorandin im Labor von Michael Dickinson, University of Washington, Seattle, USA, habe ich damit begonnen, absteigende Neurone, die an der Flugsteuerung beteiligt sind, zu charakterisieren. Als absteigende Neurone werden Nervenzellen bezeichnet, die Informationen vom Gehirn an die motorischen Zentren im Thorakalganglion weiterleiten und damit äußerst wichtig für die Verhaltenssteuerung sind. Mit Hilfe der Zwei-Photonen-Kalzium-Mikroskopie und elektrophysiologischen Ableitungen im Verlauf eines fixierten Flugs konnte ich ein bislang noch nicht beschriebenes absteigendes Neuron identifizieren, dessen Aktivität mit Richtungsänderungen im Flug korreliert ist (Abb. 2; [5]). Die Zelle ist sowohl bei spontanen als auch bei visuell ausgelösten Sakkaden, gemessen als Änderung der Flügelschlagamplitude, aktiv, jedoch nicht, wenn die Fliege gerade kein Wendemanöver durchführt. Die Aktivität dieses Neurons während der Präsentation horizontaler Bewegungsreize kann die bei der optomotorischen Reaktion beobachtete Variabilität des Verhaltens vermutlich wie folgt erklären: Wenn die Zelle auf der rechten Seite des Gehirns aktiv ist, führt dies zu einer besonders starken Reaktion auf visuelle Bewegung nach rechts. Ist die rechte Zelle dagegen aktiv, wenn Bewegung nach links gezeigt wird, führt dies nur zu einer schwachen Reaktion oder sogar zu einer Drehung entgegen der Bewegungsrichtung. Des Weiteren, so zeigten Experimente, ist die künstliche Aktivierung der Zelle mithilfe gentechnischer Methoden ausreichend, um ebenfalls derartige Verhaltensreaktionen hervorzurufen.
Die hier beschriebenen Arbeiten stellen den Beginn für die Erforschung derjenigen Schaltkreise dar, die Entscheidungsprozessen im Fliegengehirn zugrunde liegen, und die bestimmen, ob die Fliege auf einen externen Reiz reagiert oder nicht. Die Steuerung der Fortbewegung ist eine zentrale Aufgabe eines jeden Gehirns, die ein komplexes Zusammenspiel zwischen ausgleichenden Reflexen zur Stabilisierung des Kurses und Befehlen, die zu einem Richtungswechsel führen, voraussetzt. Ziel ist es herauszufinden, wie dieses Zusammenspiel funktioniert, indem ich zusammen mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nun detailliert analysiere, wie Lenkbefehle auf der Ebene der absteigenden Neurone in Drosophila kodiert werden und wie sensorische Informationen in die Einleitung spontanen Verhaltens einfließen.