Forschungsbericht 2018 - Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung

Die Eigenheimidee – Garant für Stabilität oder Krisenmotor?

Autoren
Kohl, Sebastian
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln
Zusammenfassung
Bis zur Finanzkrise 2007 herrschte in vielen Ländern die politische Idee vor, dass Gesellschaften mit möglichst vielen Hauseigentümern wünschenswert seien. Historisch war diese Idee als konservative Reaktion auf die Industrialisierung entstanden. Sie wurde in manchen Ländern aber auch bis weit in das linke Parteienspektrum hinein geteilt. Erst nach der Krise wurde klar, dass die Förderung von mehr Wohneigentum vielerorts eher zu kreditinduzierten Hauspreisblasen und wirtschaftlicher Rezession denn zu einer Verbreiterung der Hauseigentümerbasis im Rahmen einer stabilen Demokratie geführt hat.

Die Eigenheimidee – historisch betrachtet

Das politische Ziel, einen großen Anteil der Bevölkerung in Wohneigentum zu bringen, ist keineswegs neu. Schon in Agrargesellschaften gab es die Idee, dass breit gestreuter Landbesitz das Gemeinwesen stabilisiert und Tugenden wie Sparsamkeit oder Familiensinn fördert. Industrialisierung, Urbanisierung und Verelendung großer Bevölkerungsteile im frühen 19. Jahrhundert ließen konservative Reformer nach einer Lösung für die soziale Frage suchen: Sie erkannten sie im Konzept des Einfamilienhauses mit Garten, zunächst in ländlichen Agrarsiedlungen und später in suburbanen Siedlungen.

Im späten 19. Jahrhundert unterstützte eine Reihe konservativer wie auch progressiver gesellschaftlicher Gruppierungen – Bodenreformer, Bevölkerungspolitiker, Sozialkatholiken oder Gartenstadtanhänger – das Ideal, die Arbeiterschaft durch allgemein zugängliches Boden- und Wohneigentum zu befrieden und damit in die kapitalistische Gesellschaft zu integrieren. Aber auch im sozialistischen Ideenrepertoire, etwa bei dem sozialistischen Denker Pierre-Joseph Proudhon, findet sich die Idee, dass Kleineigentum zu haben für Arbeiter keineswegs verwerflich sein muss. Die konservative Eigenheimidee fand zwischen 1889 und 1918 auch Eingang in die ersten nationalen Wohnungsgesetze von nord- und südeuropäischen Ländern, in denen zumeist staatliche Hilfen für den Eigenheimerwerb festgeschrieben wurden. In Ländern wie Deutschland, Österreich, Dänemark, den Niederlanden, aber auch in Großbritannien entwickelte sich in der Zeit zwischen den Weltkriegen hingegen überwiegend eine wohnungspolitische Alternative: der mit Staatsmitteln geförderte soziale Mietwohnungsbau.

Die Eigenheimidee nach zwei Weltkriegen

Nach 1945 kann man die „Karriere“ der Eigenheimidee anhand der Wahlprogramme politischer Parteien verfolgen. Die ursprünglich konservative Idee war weit verbreitet: Insbesondere christdemokratische Parteien vertraten in den Nachkriegsjahren die Eigenheimposition geradezu missionarisch, aber auch die Agrarparteien und später die Zentrumsparteien im skandinavischen Raum befürworteten das Eigentum für Landarbeiter.

Konservative Parteien in neunzehn OECD-Ländern vertraten fast ausnahmslos den Standpunkt, dass Eigentum der Miete vorzuziehen sei. Sie machten sich für staatlich geförderte, besser zugängliche Kredite stark und forderten, die Eigentumsförderung im Sozialwohnungsbau voranzutreiben sowie bestehende soziale Mietwohnungen günstig an Mieter zu verkaufen. Differenzierter waren die wohnungspolitischen Positionen der Parteien auf der linken Seite des politischen Spektrums. Hier bewegten sich die Positionen grob zwischen Befürwortern eines starken Mietrechts und sozialen Mietwohnungsbaus und Befürwortern der Förderung von Hauseigentum – oder eigentumsähnlichen Formen im skandinavischen Raum. Lediglich in deutschsprachigen Ländern sahen Sozialdemokraten das Eigenheim skeptisch.

Die Eigenheimidee kommt hingegen am häufigsten in Parteiprogrammen angelsächsischer Länder vor. Außer in Großbritannien waren hier die Wohneigentumsquoten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts so außergewöhnlich hoch, dass ein Großteil der Wahlbevölkerung häufig bereits Hauseigentum besaß und dieses als typische Wohnform verstand. Darüber hinaus machte es die Konkurrenz im Zweiparteiensystem den liberalen Parteien wie den US-Demokraten schwer, im Kampf um Wählerstimmen die Hauseigentümer zu vernachlässigen. Oft überboten sie gar die Konservativen mit Versprechungen von Eigenheimkrediten. Nur in Ländern mit Mehrparteiensystemen findet man größere Parteien, die, wenn nicht gegen, so doch nicht aktiv für das Eigenheim sind. Grüne Parteien hingegen warben wie kommunistische Parteien nur in sehr seltenen Fällen für Hauseigentum.

Eigenheimidee und Hypothekenverschuldung

Bis zur Hauspreisblase und Finanzkrise im Jahr 2007 lässt sich feststellen, dass die eigenheimaffinen Positionen unter den Parteien stetig anwachsen. Da konservative Parteien durchweg für den Besitz eines Eigenheims eingetreten sind, liegt die Ursache für diese Zunahme zumeist im Umschwenken linker Parteien hin zu einer aktiven Befürwortung – und nicht länger bloß koalitionärer Billigung – von breit gestreutem Wohneigentum. Hierdurch und durch die in Verruf geratene, kapitalintensivere Objektförderung des sozialen Wohnungsbaus kam es in vielen Ländern zu einem steten Anstieg der Hypothekenverschuldung privater Haushalte. Denn Wohneigentum kaufen vor allem junge, kapitalarme Haushalte, für die die eigenen vier Wände oft die größte Ausgabe im Lebenszyklus darstellen. Neben staatlichen Subventionen bedarf es daher auch des privaten Kapitalmarktes, um den Wunsch nach einem Eigenheim zu realisieren. Dies gilt auch für finanziell unabhängigere Haushalte, die sich die Wohnungsleiter nach und nach „hochkaufen“. Die dadurch geschaffene zusätzliche Nachfrage nach Wohneigentum führte vor 2007 in vielen Ländern zu steigenden Hauspreisen – zwar nicht in Deutschland, aber in den USA und vor allem in jenen Ländern, in denen die Eigenheimidee bis in das linke Parteienspektrum hinein allgemein geteilt wurde. Höhere Hauspreise wiederum erforderten höhere Hypothekenkredite, die dann wieder mehr Geld in den Wohnungsmarkt fließen ließen und so die Kaufpreise weiter erhöhten. Bei einer gleichzeitigen Niedrigzinspolitik führte diese Spirale dann zu Hauspreis-Einbrüchen, Zwangsversteigerungen und dem größten Rückgang der Wohneigentumsquote in den betroffenen Ländern seit Aufzeichnung dieser Daten.

Das Versprechen vieler Parteien, mehr Haushalte mittels einer erleichterten Kreditvergabe mit Hauseigentum zu versorgen, kehrte sich somit oft ins Gegenteil. Wenn eine starke Ausweitung der privaten Hypothekenverschuldung keine zusätzliche Wohneigentumsausweitung nach sich zog, inflationierte die Kreditausweitung lediglich die Hauspreise, brachte aber nicht mehr Haushalte in Eigentum. Wenn aber die Ausweitung des Wohneigentums nicht proportional mit einer höheren Hypothekenverschuldung einherging, konnte Wohneigentum mit maßvolleren Preisen, durch eine starke Kaufkraftentwicklung und mithilfe von direkten staatlichen Krediten oder Bauansparhilfen gebildet werden. Die kreditfinanzierte Überhitzung von Wohnungsmärkten blieb somit aus und störte damit auch nicht die gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichte. Wenn wie derzeit in Deutschland unter Parteien das Desiderat einer höheren Eigentumsquote diskutiert wird, dann zeigt die Geschichte, dass diese oft so konsensfähige Idee nicht unbedingt nur ein Garant für makröokonomische Stabilität sein muss.

Literaturhinweise

Kohl, S.
Homeownership, Renting and Society: Historical and Comparative Perspectives
Routledge, London (2017)
Kohl, S.
More Mortgages, More Homes? The Effect of Housing Financialization on Homeownership in Historical Perspective
Politics & Society 46 (2), 177–203 (2018)
Kohl, S.
The Political Economy of Homeownership: A Comparative Analysis of Homeownership Ideology through Party Manifestos
Socio-Economic Review: mwy030 (2018)

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