Forschungsbericht 2018 - Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb

Von den Zünften zur künstlichen Intelligenz: Die Renaissance von Geschäftsgeheimnissen

Autoren
Desaunettes, Luc
Abteilungen
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht
Zusammenfassung
Am Anfang jeder Innovation steht ein Geheimnis. Jede Rezeptur, jede technische Entwicklung, jeder neue Algorithmus ist zunächst geheim, Unternehmen müssen ihr Wissen nicht offenlegen. Die Geheimhaltung erlebt gerade in Zeiten von Big Data und künstlicher Intelligenz eine Renaissance, vor allem, da der wirtschaftliche Vorsprung zunehmend auf Daten basiert. Diese lassen sich allerdings nicht durch Patente oder andere Immaterialgüterrechte schützen. Doch welcher rechtliche Schutz ist für Geschäftsgeheimnisse gerechtfertigt und wie sieht eine sinnvolle Regulierung aus?

Im Mittelalter waren die Zünfte für ihre rigide Geheimhaltungsstrategie bekannt. Die Glasbläser Venedigs mussten sich auf der kleinen Insel Murano vor Venedig niederlassen. Im Fall von Geheimnisverrat drohten drastische Strafen, die von Zunftausschluss bis hin zum Tod reichten. Mit der Liberalisierung der Wirtschaft im 19. Jahrhundert wurde der Ruf nach Gewerbefreiheit laut und der Zunftzwang endete. Fortan wurde Wissen in Form von Erfindungen und geistigen Schöpfungen über Patente und andere Immaterialgüterrechte geschützt.

Immaterialgüterrechte dienen als Anreiz, Geheimwissen offenzulegen. Wer sein Wissen offenlegt, erhält dafür ein Schutzrecht und darf Dritten die Nutzung verbieten. Wer das Wissen nutzen möchte, benötigt dafür eine Erlaubnis. Trotz der Einführung von Immaterialgüterrechten bleibt die Geheimhaltung seit jeher die einfachste Art, faktische Kontrolle über eine Information auszuüben und daraus einen wirtschaftlichen Vorteil zu ziehen. Solange jemand über Wissen verfügt, das nicht frei zugänglich ist, kann er Profit erzielen, indem er das Wissen selbst nutzt oder verkauft.

Offenlegungsanreiz und Geheimhaltungsstrategie in Zeiten der Digitalisierung

Mit der Einführung von Immaterialgüterrechten sind Geschäftsgeheimnisse als Mechanismus zum Schutz von Wissen zwar in den Hintergrund getreten, doch nie ganz verschwunden. Denn Marktteilnehmer können frei entscheiden, ob sie sich etwa Patente überhaupt erteilen lassen und damit ihr Wissen offenlegen oder aber ihre Erfindung ohne Patent lieber geheim halten. Und ein weiterer Aspekt tritt hinzu: Immaterialgüterrechte schützen nur einen Teil des unternehmerisch verwertbaren Wissens. So betrifft etwa das Patent nur „Lehren zum technischen Handeln“, nicht jedoch Kundenlisten oder Computer-Software.

In Zeiten von Big Data und künstlicher Intelligenz erfährt der rechtliche Schutz von Geschäftsgeheimnissen eine Renaissance. Der Grund hierfür liegt im Schutzobjekt. Denn das Immaterialgüterrecht schützt nicht die Daten selbst, wie etwa den Klick auf einen Treffer im Google-Suchergebnis oder aber die Echtzeitposition von Autos über GPS. Das Gleiche gilt für Algorithmen, etwa für den Betrieb eines intelligenten persönlichen Assistenten. Dabei sind gerade Daten und Algorithmen Haupttreiber für die fortschreitende Digitalisierung. Die Geheimhaltung ist zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor für Unternehmen der datengetriebenen Wirtschaft geworden.

Diese neue Relevanz von Geschäftsgeheimnissen hat der Gesetzgeber mittlerweile erkannt – sowohl in der Europäischen Union als auch in den USA. Auf beiden Seiten des Atlantiks änderten sich die Rechtsvorschriften, erste Urteile werden bald folgen. Neben den klassischen Immaterialgüterrechten ist die Untersuchung des Geheimnisschutzes deswegen eine wichtige Aufgabe des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb.

Theoretischer Klärungsbedarf: Wie lässt sich rechtlicher Geheimnisschutz rechtfertigen?

In der juristischen Forschung führten Geschäftsgeheimnisse bislang im Vergleich zu den Immaterialgüterrechten ein Schattendasein. Grundlegende Fragen sind nach wie vor unbeantwortet: Was ist die ökonomische und philosophische Rechtfertigung für den rechtlichen Geheimnisschutz? Wie sollte das Recht angepasst werden?

Rechtsvergleichende Untersuchungen zeigen etwa, dass die wahren Gründe für rechtlichen Schutz oft innerhalb der jeweiligen Rechtsordnung unklar bleiben und divergieren. So erstreckt sich das Motivationsspektrum vom Eigentumsschutz über die Sicherung der wettbewerblichen Lauterkeit bis hin zum Schutz der „unternehmerischen Privatsphäre“. Wir möchten für mehr Klarheit sorgen – sowohl in Bezug auf das geltende Recht, um dessen kohärente Anwendung zu ermöglichen, als auch mit Blick auf die Ausgestaltung von Rechtssystemen in der Zukunft.

Analyse im Kontext der datengetriebenen Wirtschaft

Unsere Forschungsarbeit beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Theorie. Denn das Recht soll die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Änderungen widerspiegeln. Geschäftsgeheimnisse sind daher im gesamten Regulierungskontext zu untersuchen. Sie sind Gegenstand weitreichender Forschung, darunter auch die Frage, welche Rolle Schutz- und Zugangsrechte für datengetriebene Innovation spielen. Ein Teil der Forschungstätigkeit besteht daher darin, technologische und ökonomische Entwicklungen genauer zu analysieren. Dazu zählen grundlegende Vorfragen: Wie funktioniert künstliche Intelligenz? Worin sehen Unternehmen ihre strategischen Wettbewerbsvorteile in der Zukunft?

Wissen gewinnen wir auch durch Hintergrundgespräche mit Experten und Branchenkennern. Auf Grundlage der gesammelten Erkenntnisse sprach sich das Institut zuletzt gegen die Einführung eines Ausschließlichkeitsrechts an Daten aus, da es die Entwicklung der datengetriebenen Wirtschaft nicht fördern, sondern eher behindern könnte. Im Bereich des Geheimnisschutzes haben wir zudem einen Mangel an Rechtssicherheit ausgemacht: Trotz der hohen Bedeutung von Geheimnisstrategien für die datengetriebene Wirtschaft war lange Zeit unklar, ob die europäische Geschäftsgeheimnisse-Richtlinie zum Schutz von Daten gar anwendbar ist. Auf diese Unsicherheit hat unser Forscherteam in Positionspapieren hingewiesen.

Entstehung und Umsetzung der Geschäftsgeheimnisse-Richtlinie

Wir am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb haben daher die europäische Rechtsetzung analysiert und begleiten die rechtliche Umsetzung in nationales Recht. Dabei geht es vor allem darum, Gesetzentwürfe auszuwerten und dem Gesetzgeber die Ergebnisse etwa durch Positionspapiere zu vermitteln. Relevant ist dabei, ob die Gesetze hinreichend klar formuliert sind. Wichtig ist auch, ob Richter bei ihrer Entscheidung ausreichend Ermessensspielraum haben, um missbräuchliche Entwicklungen zu beurteilen und zu verhindern. Dafür ist ein präzises Monitoring der neuen Rechtsprechung und der Marktentwicklung bedeutsam. Ob für den Bereich der Geschäftsgeheimnisse eine weitergehende Regulierung notwendig ist, wird sich in Zukunft zeigen.

Literaturhinweise

Drexl, J.; Hilty, R. M.; Desaunettes, L.; Greiner, F.; Daria, K.; Richter, H.; Surblytė, G.; Wiedemann, K.

Data Ownership and Access to Data – Position Statement of the Max Planck Institute for Innovation and Competition of 16 August 2016 on the Current European Debate

Max Planck Institute for Innovation and Competition Research Paper No. 16-10 (2016)

Knaak, R.; Kur, A.; Hilty, R. M.

Comments of the Max Planck Institute for Innovation and Competition of 3 June 2014 on the Proposal of the European Commission for a Directive on the Protection of Undisclosed Know-How and Business Information (Trade Secrets) against their Unlawful Acquisition, Use and Disclosure of 28 November 2013, Com(2013) 813 Final (June 3, 2014)
International Review of Intellectual Property and Competition Law (IIC) 45 (8), 953–967 (2014); Max Planck Institute for Innovation and Competition Research Paper No. 14-11 (2014)

Desaunettes, L.; Hilty, R. M.; Knaak, R.; Kur, A.

Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung vom 17. April 2018 (Position Paper on the German Transposition Proposal of Directive (EU) 2016/943 on the Protection of Trade Secrets) (May 18, 2018)
Max Planck Institute for Innovation and Competition Discussion Paper No. 10 (2018)
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