Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern

Geschicktes Glücksspiel

Autoren
Towfigh, Emanuel; Glöckner, Andreas
Abteilungen
Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern
Zusammenfassung
Das deutsche Glücksspielrecht knüpft an der Differenzierung zwischen Glücks- und Geschicklichkeitsspiel an: Das Glücksspiel unterliegt staatlicher Regulierung und ist damit praktisch monopolisiert, Geschicklichkeitsspiele können auch von privaten Anbietern veranstaltet werden. Vor allem bei Sportwetten stellt sich die Frage, ob diese Unterscheidung sinnvoll ist und ob es nicht sachgerechter wäre, allein das Kriterium der Gefährlichkeit des Spiels zu bewerten.

Der Glücksspielmarkt in Deutschland ist hart umkämpft. Neben den Ländern als Veranstaltern von Glücksspiel drängen vermehrt private Anbieter auf den Markt. Dabei ist der Staat auch im Bereich der Sportwetten derzeit noch durch das Glücksspielmonopol geschützt. Nicht zuletzt weil der Europäische Gerichtshof unlängst das Sportwettenmonopol der Länder für europarechtswidrig erklärt hat, wird über neue Regelungsmodelle diskutiert.

Glücksspiel versus Geschicklichkeitsspiel

Die Regulierung – und die faktische Monopolisierung des Glücksspiels – sieht ihre Rechtfertigung bislang in der von bestimmten Spieltypen ausgehenden Gefahr. Gefährlich sind danach Spiele, die zu Spielsucht führen können oder die es dem Veranstalter ermöglichen, die menschliche Spielleidenschaft zu kommerziellen Zwecken auszunutzen. Die gesetzliche Regelung geht dabei davon aus, dass Glücksspiele – also Spiele, bei denen die Entscheidung über Gewinn oder Verlust allein oder überwiegend vom Zufall abhängt – in diesem Sinne gefährlich sind. Geschicklichkeitsspiele hingegen – wenn der Spielausgang also wesentlich von den geistigen oder körperlichen Fähigkeiten, den Kenntnissen, der Aufmerksamkeit oder der Übung des Spielers beeinflusst werden kann – schätzt der Gesetzgeber als „harmlos“ ein. Die gefährlichen Glücksspiele bedürfen nach Ansicht des Staates der Regulierung, um vom Spiel ausgehende Gefahren abzuwehren. Sie sind daher in der Hand des Staates monopolisiert. Geschicklichkeitsspiele können dagegen auch von privaten Anbietern veranstaltet werden [1].

Sind Sportwetten nun als Glücks- oder Geschicklichkeitsspiel zu qualifizieren, und entspricht diese Unterscheidung überhaupt der tatsächlichen Gefährlichkeit von Glücks- oder Geschicklichkeitsspielen? Da es bislang keine an den Rechtsfragen orientierte, empirisch gestützte Antwort auf diese Fragen gab, wurden in einer Studie [2] insgesamt 214 Versuchspersonen gebeten, auf den Ausgang realer Fußballspiele (Partien jeweils eines Spieltages der 1. Fußball-Bundesliga) zu wetten. Dabei gab es für die in drei Gruppen aufgeteilten Probanden unterschiedliche Vorhersagehorizonte: Die erste Gruppe hat die Wetten drei Wochen vor dem eigentlichen Spiel abschließen müssen, die zweite Gruppe drei Tage vor dem Spiel und eine dritte Gruppe musste sowohl kurz- wie langfristige Vorhersagen abgeben. Ferner wurden die Probanden um eine Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten gebeten. Sie mussten zwanzig Fragen eines Fußball-Quiz beantworten, und sie wurden gebeten zu erklären, ob sie zuvor bereits Fußballwetten abgeschlossen hatten. Zusätzlich wurden die Probanden gebeten, für jede abgegebene Wette jeweils mithilfe einer Skala anzugeben, zu welchem Grad die zutreffende Vorhersage des Spielausgangs vom Zufall oder vom eigenen Geschick abhängt, und wie sicher sie sich bei ihrer Vorhersage sind. Die Probanden der dritten Gruppe wurden außerdem noch gebeten anzugeben, wie viele ihrer abgegebenen Voraussagen ihrer Einschätzung nach zutreffend sein werden.

Geschickte Spieler – Glückliche Wetter?

Die Auswertung der Daten ließ eine klare Antwort auf die Frage, ob Sportwetten dem Glücks- oder dem Geschicklichkeitsspiel zuzuordnen sind, nicht zu: Je nach Vorhersagehorizont hatte das Geschick der Probanden mehr (kurzer Vorhersagehorizont) oder weniger (langer Vorhersagehorizont) Einfluss auf den Wetterfolg, und bei einer Gesamtbetrachtung ohne Berücksichtigung der Vorhersagehorizonte ließ sich ein Einfluss des Geschicks gar nicht mehr nachweisen. Dies bedeutet zunächst einmal einen nicht eindeutigen Befund für die Qualifikation der Sportwette als Glücks- oder Geschicklichkeitsspiel, die Sportwette erscheint als „gemischtes Spiel“. Damit lässt sie sich der gegenwärtigen Regelung „Glücksspiel – Geschicklichkeitsspiel“ nicht eindeutig unterwerfen. Vieles spricht dafür, ein Spiel schon dann als Glücksspiel zu qualifizieren, wenn nicht völlig unbedeutende Ausprägungen des Spiels als Glücksspiel zu bewerten sind. Bildlich gesprochen vergiftet also ein Tropfen Glücksspiel den Brunnen des Geschicklichkeitsspiels. Umgekehrt ließe sich aus juristischer Perspektive – gleichsam in dubio pro libertate – ebenso vertreten, gemischte Spiele als Geschicklichkeitsspiele von den engen Anforderungen der Glücksspielregulierung freizustellen. Entscheidend für die Beantwortung der Frage nach der Einordnung der Sportwette muss letztlich sein, ob gemischte Spiele wie die Sportwetten gefährlich sind, und ob damit ein Grund für ihre Regulierung besteht.

Sportwetten können süchtig machen

In klinischen Studien [3] wurde bereits ein im Vergleich etwa zum Zahlenlotto erheblich erhöhtes Suchtpotenzial von Sportwetten nachgewiesen. Die Kognitionswissenschaften gehen davon aus, dass die sogenannte Kontrollillusion ein zentraler suchtvermittelnder Faktor ist: Hat ein Spieler den Eindruck, dass er das Spielgeschehen beeinflussen kann, dann verleitet ihn dies dazu, verstärkt zu spielen. Wo ein solcher Einfluss tatsächlich aber nicht oder nicht in dem vom Spieler empfundenen Maße besteht, führt die Illusion – vor allem, wenn der Spieler anfänglich gewonnen hat – überzufällig häufig zu pathologischem Spielverhalten [4]. Daher liegt die Hypothese nahe, dass das pathologische Spielverhalten auch bei Sportwetten durch Kontrollillusionen ausgelöst wird. Auch dieser Frage ist die Studie nachgegangen [5]. In der Tat zeigte sich bei den Probanden: Je mehr Geschick ein Proband aufwies, desto stärker schätzte er den Einfluss des Geschicks auf den Wettausgang ein, obwohl sich dies in seinen Wettergebnissen nicht widerspiegelte. Die Suchtgefahr bei Sportwetten liegt also gerade in der Erforderlichkeit des Geschicks – oder anders gesagt: Geschicktere Spieler sind potenziell suchtgefährdeter.

Gefährlich ist ein Spiel dem Gesetzgeber zufolge aber auch dann, wenn es dem Veranstalter erlaubt, die Spielleidenschaft der Teilnehmer auszunutzen. Das ist etwa der Fall, wenn sich die Spieler bei ihren Wetten sicherer sind, als sie es sein sollten, denn dann schließen sie höhere Wetten ab [6]. Auch dieser Effekt zeigte sich im Verhalten der Probanden der Studie: Je mehr Geschick ein Proband aufwies, desto höher war seine Sicherheit, richtig geantwortet zu haben, ohne dass sich das höhere Geschick in gleichem Maße in besseren Wettergebnissen niederschlug. Besonders deutlich konnte dieser Effekt bei den Probanden der dritten Gruppe gezeigt werden: Sie wurden direkt gefragt, wie viele ihrer Fußballwetten sie zu gewinnen glaubten. Dies erlaubte den direkten Vergleich zwischen den als richtig eingeschätzten und den tatsächlich richtigen Wetten. Es zeigte sich, dass jene Spieler mit geringem Geschick sich nur in geringem Maße überschätzten, während mit steigendem Geschick die Selbstüberschätzung überproportional wuchs.

Die Studie zeigt, dass Sportwetten aus zwei Gründen gefährlich sind: Zum einen erzeugen sie eine Kontrollillusion, die Sucht vermittelt. Zum anderen können kognitive Schwächen der Spieler – insbesondere ihre systematische Selbstüberschätzung, die zu überhöhten Wetteinsätzen führt – ausgenutzt werden. Die Regulierung von Sportwetten scheint daher angebracht.

Gleichzeitig, und viel fundamentaler, erweist sich aber auch die Differenzierung zwischen Glücks- und Geschicklichkeitsspiel als glücksspielrechtliche Demarkationslinie als gänzlich ungeeignet, um gefährliche von harmlosen Spielen zu unterscheiden. Nur weil Geschick überhaupt erforderlich ist, können die Teilnehmer einer Kontrollillusion erliegen, und nur weil es plausibel erscheint, dass ein gewisses Geschick sich auf den Wetterfolg auswirkt, überschätzen sich die geschickteren Spieler.

Empfehlungen für den Gesetzgeber

Aufgrund der Urteile des Europäischen Gerichtshofs muss das deutsche Glücksspielrecht neu geordnet werden. Aus den empirischen Ergebnissen der Studie lassen sich  Empfehlungen hierzu für den Gesetzgeber ableiten:

  • Sportwetten bergen für die zentralen Schutzgüter des Glücksspielrechts ein erhebliches Gefährdungspotenzial und sollten reguliert werden.
  • Die Differenzierung zwischen Glücks- und Geschicklichkeitsspiel ist nicht geeignet, zwischen gefährlichen und harmlosen Spielen zu unterscheiden. Die Kategorie des Geschicklichkeitsspiels sollte daher aufgegeben werden. Entweder ein Spiel ist gefährlich und kann daher als Glücksspiel qualifiziert werden – oder nicht.
  • Letztlich scheint es nicht möglich zu sein, anhand eines einzigen Kriteriums pauschal zwischen gefährlichen und harmlosen Spielen zu unterscheiden. Stattdessen werden sich Landesgesetzgeber und Verwaltungen die Mühe machen müssen, aufgrund empirischer Erkenntnisse das konkrete Gefährdungspotenzial eines Spiels und seiner Varianten zu bewerten – und dann zu entscheiden, ob ein Spiel von privaten Anbietern öffentlich veranstaltet werden darf.
A. Voßkuhle, C. Bumke:
Rechtsfragen der Sportwette.
Duncker & Humblot, Berlin 2001, 40ff.
A. Glöckner, E. Towfigh:
Geschicktes Glücksspiel: Die Sportwette als Grenzfalls des Glücksspielrechts.
JuristenZeitung 21, 1027–1035 (2010).
G. Meyer, T. Hayer:
Problematisches und pathologisches Spielverhalten bei Glücksspielen: Epidemiologie und Prävention.
Bundesgesundheitsblatt 53 (4), 295–305 (2010).
A. Blaszczynski, L. Nower:
A pathways model of problem and pathological gambling.
Addiction 97, 487–499 (2002).
E. Towfigh, A. Glöckner:
Game Over: Empirical Support for Soccer Bets Regulation.
Preprint 2010/33. Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Bonn 2010.
D. Dunning, D. W. Griffin, J. D. Milojkovic, L. Ross:
The Overconfidence Effect in Social Prediction.
Journal of Personality and Social Psychology 58, 568–581 (1990).
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