Nicht nur Argumente zählen

Die Rolle von sozialem Interaktion bei der Polarisierung von Meinungen

Das Phänomen polarisierender Meinungen ist in den letzten Jahren, insbesondere im politischen Kontext, immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Mathematik in den Naturwissenschaften zeigen anhand netzwerkbasierter und spieltheoretischer Methoden einen ausgeprägten Einfluss sozialer Interaktion auf die Meinungsbildung auf. Entsprechende Mechanismen erlauben eine präzise Analyse des gesamten Meinungsbildungsprozesses und könnten unter anderem zum besseren Verständnis von Meinungstendenzen in sozialen Netzwerken beitragen.

Wir alle reagieren sehr sensibel auf zustimmende oder ablehnende Signale im Verhalten unseres Gegenübers und beziehen dieses Feedback unbewusst in unsere eigene Entscheidungsfindung mit ein. Motiviert durch die psychologische Forschung zu impliziten Prozessen der Einstellungsänderung untersuchen die Wissenschaftler im Rahmen des von der EU geförderten ODYCCEUS-Projektes (Opinion Dynamics and Cultural Conflict in European Space) einen neuen Mechanismus der Meinungsbildung, in welchem Agenten innerhalb eines ausreichend großen Netzwerkes alternative Sichtweisen auf Basis des erhaltenen sozialen Feedbacks evaluieren. Trifft eine vom Agenten favorisierte Meinung auf hohe Zustimmung im sozialen Umfeld, wird dies als positives Feedback gewertet. Für das Umfeld verstärkt dies wiederum den mit dieser Meinung assoziierten Wert. Dies gilt auch natürlich auch im umgekehrten Fall bei negativem Feedback. In miteinander verbundenen Netzwerken mit ausreichend hoher Modularität können verschiedene Gruppen von Agenten so sehr starke Überzeugungen herausbilden. 

Bildung von Meinungsclustern

Zwei grundlegende Eigenschaften tragen in Kombination zur Entstehung und Beständigkeit von Polarisation im vorgeschlagenen Modell bei. Auf der einen Seite führt der beschriebene Verstärkungsmechanismus zu eine Gruppenpolarisationsverfahren, welches als ein sich wiederholendes stochastisches Spiel betrachtet werden kann. In Folge von Rückkopplung neigt eine anfänglich bereits kohäsive Untergruppe innerhalb des Systems dazu, sich im Laufe der Zeit mehr und mehr einer einzigen Meinung zuzuwenden, was diese Meinung sogar in eine extreme Richtung führen kann. Dieser Prozess führt zur Bildung von Meinungsclustern.   

Andererseits sind reale soziale Netzwerke nie vollständig, sondern weisen eine eher komplexe Struktur mit gewissen Lücken auf. Diese haben eine sogenannte "Gate-Keeping"-Funktion, die verhindert, dass sich vereinzelte widersprüchliche Meinungen über strukturelle Lücken innerhalb der Gruppen hinwegsetzen und sich somit über das gesamte Netzwerk ausbreiten können.

„Im Gegensatz zu anderen Modellen hebt unser Modell einen affektiven und emotionalen Zugang zum Phänomen der Polarisierung hervor. Diese Mechanismen gewinnen gerade in Bezug auf neue Medien an Bedeutung und das Modell ist ein erster Schritt, den intrinsischen Motivationen, Meinung auszudrücken, stärker Rechnung zu tragen. Mechanismen des verstärkenden Lernens sind meines Erachtens dafür in besonderen Maße geeignet, da sie zum Einen psychologisch fundiert und soziologisch anschlussfähig sind und zum Anderen die Verbindung zu spieltheoretischen Konzepten und damit die mathematische Analyse erlauben“, so Sven Banisch, wissenschaftlicher Mitarbeiter im von den Leipzigern koordinierten Odycceus-Projekt.

Kohäsive Untergruppen erzeugen Polarisierung

Im gegebenen Fall erlaubt diese Kombination eine präzise Bestimmung der Strukturmerkmale, welche Bedingung für die Stabilität polarisierter Meinungsmuster sind. Sie zeigen, dass die Existenz von kohäsiven Untergruppen eine hinreichende Bedingung ist, um eine stabile Polarisierung zu erzeugen, selbst wenn diese Untergruppen die Möglichkeit haben, miteinander zu interagieren. 

Mit ihrer Arbeit möchten die Wissenschaftler einen Beitrag leisten, das Phänomen polarisierender Meinungen, wie wir sie heute im politischen Diskurs häufig beobachten, besser zu deuten und tiefere Einblicke in die Mechanismen, die diesen Prozessen zugrunde liegen, zu erhalten. Die Wissenschaftler der Odycceus-Forschungsgruppe sehen ein großes Potential, entsprechende Prozesse auch auf digitale Medien abzubilden um Mechanismen der Meinungsbildung und des Austauschs in sozialen Netzwerken besser zu analysieren und zu verstehen.

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