Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen

Besteuerung und Finanzierungsstruktur von Unternehmen

Autoren
Dwenger, Nadja
Abteilungen
Finanzwissenschaft
Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München
Zusammenfassung
Jüngste Debatten über eine mögliche, durch die Finanzkrise verursachte „Kreditklemme“ haben die Diskussion, wie die Eigenfinanzierung deutscher Unternehmen über die Besteuerung gestärkt werden kann, neu entfacht. Während die empirische Forschung lange Zeit Schwierigkeiten hatte, überhaupt einen Zusammenhang zwischen Finanzierungsstruktur und Besteuerung nachzuweisen, ist dies in einem Projekt am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht gelungen. Damit kann die Wirkung des Steuersatzes auf die Finanzierungsstruktur genau bestimmt werden.

Ökonomische Bedeutung der Finanzierungsstruktur

Deutsche Unternehmen weisen im internationalen Vergleich eine niedrige Eigenkapital- und hohe Fremdfinanzierungsquote aus. Der Anteil von Fremd- beziehungsweise Eigenkapital in der Finanzierungsstruktur der Unternehmen beeinflusst erheblich die Krisenfestigkeit einer Volkswirtschaft. Während die Zahlungsströme an Fremdkapitalgeber (außer im Fall der Insolvenz) summensicher sind, Fremdkapital für ein Unternehmen also regelmäßige Zinszahlungen bedeutet, ist die Verzinsung von Eigenkapital gewinnabhängig. Eine übermäßige Fremdfinanzierung ist daher vor allem in konjunkturell schwierigen Zeiten problematisch, wenn die erwirtschafteten Gewinne nicht mehr ausreichen, um Kredite zu bedienen, oder Banken nur noch zögerlich Kredite vergeben. In der jüngsten Finanzkrise sahen sich zahlreiche Unternehmen mit deutlich schlechteren Finanzierungskonditionen oder Beschränkungen bei der Kreditfinanzierung konfrontiert. Politiker und Ökonomen warnten vor einer „Kreditklemme“, die dazu führen könnte, dass den Unternehmen für wichtige Investitionsprojekte die finanziellen Mittel fehlten. Abgesehen von der Debatte um eine Neuregulierung des Bankensektors haben diese Erfahrungen zuletzt die Diskussion darüber belebt, wie sich die Eigenkapitalausstattung von Unternehmen stärken lässt, um sie unabhängiger von den Finanzmärkten zu machen.

Wie jüngere empirische Erkenntnisse zeigen, kommt steuerlichen Aspekten dabei eine wichtige Rolle zu. Dies liegt daran, dass Fremd- und Eigenkapital derzeit steuerlich ungleich behandelt werden. Das heißt, bei der Finanzierung eines Projektes fallen höhere Steuern an, wenn es mit Eigen- statt mit Fremdkapital finanziert wird. Der Steuervorteil der Fremd­finanzierung resultiert daraus, dass Zinsaufwendungen für Fremdkapital steuerlich als Betriebsausgabe abzugsfähig sind; dagegen mindert die Rendite für Eigenkapital nicht die steuerliche Bemessungsgrundlage. Das Ziel der Politik, die Eigenfinanzierungskraft der Unternehmen zu steigern, wird also dadurch unterhöhlt, dass Eigenkapital steuerlich benachteiligt wird.

Methodische Herausforderungen bei der Identifikation des Steuereinflusses auf die Finanzierungsstruktur

Die Auswirkungen dieser unterschiedlichen Besteuerung von Fremd- und Eigenkapital auf die Finanzierungsstruktur der Unternehmen stehen im Fokus einer breiten theoretischen und empirischen Forschungsliteratur. Trotz eines beträchtlichen Forschungsaufwands und zahlreicher Studien hatten Ökonomen zunächst Schwierigkeiten, nachzuweisen, dass Steuern eine relevante Größe bei Finanzierungsentscheidungen der Unternehmen sind. Zahlreiche frühe Studien fanden, wenn überhaupt, nur sehr kleine Steuereffekte auf die Finanzierungsstruktur der Unternehmen. Empiriker waren daher lange Zeit skeptisch, ob Steuern die Finanzierungsentscheidungen von Unternehmen überhaupt beeinflussen.

Dass in der Vergangenheit Steuerauswirkungen empirisch nicht nachweisbar waren, liegt auch an methodischen Problemen. Um Verhaltensreaktionen von Unternehmen auf steuerliche Rahmen­bedingungen, beispielsweise durch Anpassung ihrer Finanzierungsstruktur, identifizieren zu können, benötigen Empiriker genügend Variation in den Steuervariablen. Der tarifliche Steuersatz für Unternehmen, vor allem für Kapitalgesellschaften, schwankt in den meisten Ländern jedoch kaum im Zeitverlauf und noch weniger zwischen den Unternehmen. Anders verhält es sich beim unternehmensspezifischen effektiven Steuersatz, der unter anderem auch Abschreibungsregeln, die steuerliche Verlustverrechnung und die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen erfasst: Er variiert sehr stark zwischen den Unternehmen und über die Jahre. Allerdings hängt der effektive Steuersatz von den Charakteristika eines jeden Unternehmens ab und wird damit potenziell von den Unternehmensentscheidungen beeinflusst, er ist also endogen. Beispielsweise profitieren stark verschuldete Unternehmen besonders von der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen, sodass auch ihr effektiver Steuersatz bei sonst gleichen Bedingungen geringer ist als derjenige eigenkapitalfinanzierter Unternehmen. Zudem wird die effektive Steuerbelastung von einem potenziellen Verlustvortrag beeinflusst. Erzielt ein Unternehmen einen hohen Gewinn, der nahezu vollständig mit einem Verlustvortrag aus der Vergangenheit verrechnet werden kann, ist die effektive Steuerbelastung im betrachteten Jahr gering. Das wiederum impliziert eine negative, unechte Korrelation zwischen dem effektiven Steuersatz und dem Gewinn. Aufgrund der Endogenität des Steuersatzes lässt sich zwischen dem Finanzierungsverhalten der Unternehmen und ihrem effektiven Steuersatz nicht unmittelbar eine gerichtete kausale Beziehung postulieren.

Lösung des Endogenitätsproblems

Dieses Endogenitätsproblem lässt sich im Rahmen einer sogenannten Instrumentvariablenschätzung lösen, wobei der beobachtete effektive Steuersatz eines jeden Unternehmens mit einem simulierten und damit exogenen Steuersatz instrumentiert wird. Dieser simulierte Steuersatz ist der effektive Steuersatz, der für ein Unternehmen gelten würde, wenn es nicht auf Änderungen der steuerlichen Rahmenbedingungen reagierte. Zur Berechnung werden die steuerlichen Gegebenheiten eines jeden Unternehmens aus der Zeit vor einer Steuerreform genutzt. Die Informationen aus dem Vor-Reform-Jahr werden fortgeschrieben, um Inflationseffekte zu bereinigen. Anhand dieser fortgeschriebenen Informationen lässt sich anschließend die effektive Steuerbelastung unter der geänderten steuerlichen Rechtslage für jedes Unternehmen simulieren. Im Gegensatz zum beobachteten effektiven Steuersatz hängt der simulierte Steuersatz nicht von Verhaltensänderungen der Unternehmen ab; er wird lediglich durch makroökonomische Gegebenheiten und Steuerrechtsänderungen bestimmt, die außerhalb des Entscheidungsbereichs eines einzelnen Unternehmens liegen.

Senkungen der tariflichen Steuersätze bei jüngeren Reformen in Deutschland wurden zum Teil durch die Verbreiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage gegenfinanziert. Deshalb erfasst das Simulationsmodell sowohl Veränderungen des Steuertarifs als auch Änderungen bei den Besteuerungsgrundlagen. Diese Form der Gegenfinanzierung hatte zur Folge, dass Unternehmen und Branchen unterschiedlich stark entlastet wurden und daher verschieden auf die Reform reagiert haben. Solche Unterschiede in der Steuerentlastung einzelner Unternehmen macht sich die Analyse zunutze, um allgemeine Änderungen des wirtschaftlichen Umfelds von den durch die Reform ausgelösten Anpassungen der Finanzierungsstruktur zu unterscheiden.

Empirische Ergebnisse

In einer ökonometrischen Schätzung lassen sich vergangene Steuersenkungen für Körperschaften mit den entsprechenden Verhaltensreaktionen der Unternehmen in Verbindung bringen. Die Analyse erlaubt den empirischen Nachweis dieses Zusammenhangs. Darüber hinaus lässt sich die Wirkung des Steuersatzes auf die Finanzierungsstruktur quantifizieren: Eine Senkung des tariflichen Körperschaftsteuersatzes um 1 Prozent geht mit einem durchschnittlichen Rückgang der Verschuldungsquote um 0,5 Prozent einher. Allerdings verdeckt dieser Durchschnittswert Unterschiede zwischen den Unternehmen. Große Unternehmen reagieren stärker auf Steueränderungen als kleine Körperschaften. Unternehmen, die nicht von anderen Steuervergünstigungen (tax shields) wie Verlustvorträgen oder Abschreibungen profitieren, orientieren sich ebenfalls stärker an steuerlichen Anreizen als solche mit Vergünstigungen.

Unternehmen reagieren also mit ihrer Finanzierungsstruktur auf Besteuerung. Trotz einiger methodischer Schwierigkeiten in den Anfängen der Forschung zu Besteuerung und Finanzierungsverhalten gibt es inzwischen empirische Belege dafür, dass Steuern die Wahl zwischen Fremd- und Eigenkapital verzerren und Unternehmen aufgrund steuerlicher Anreize zu stark auf Fremdkapital setzen. Damit untergräbt die steuerlich ungleiche Behandlung von Eigen- und Fremdkapital das Ziel der Politik, Anreize zu einer besseren Eigenkapitalausstattung der Unternehmen in Deutschland zu setzen und ihre Krisenfestigkeit dadurch zu erhöhen.

Zur Redakteursansicht