Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institute für biophysikalische Chemie

DNA-Enzyme als Werkzeuge für die Herstellung chemisch modifizierter RNA

Autoren
Höbartner, Claudia
Abteilungen
Forschungsgruppe Nukleinsäurechemie
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen
Zusammenfassung
Die Synthese chemisch markierter RNA ist häufig Voraussetzung für biophysikalische Untersuchungen von RNA und RNA-Protein-Interaktionen. Die Festphasensynthese ermöglicht den positionsspezifischen Einbau modifizierter Nukleotide in relativ kurze RNAs. Längere modifizierte RNAs sind durch kombinierte chemische und enzymatische Verfahren zugänglich. DNA-Enzyme sind katalytisch aktive DNAs, die durch In-vitro-Selektion aus Zufallsbibliotheken isoliert werden. DNA-Enzyme können für die Ligation von RNA-Fragmenten eingesetzt werden und werden für die direkte Modifikation von RNA entwickelt.

Über die Bedeutung chemisch modifizierter RNA

Die Nukleinsäuren DNA und RNA sind von zentraler Bedeutung für alle lebenden Organismen. Die wichtige Rolle von DNA als Speicher der Erbinformation ist allgemein bekannt. RNA hat die Aufgabe der korrekten Übertragung der Information von der DNA zu den Proteinen. Seit der Entdeckung der katalytischen Aktivität von RNA in den 1980er-Jahren wurde eine Vielzahl neuer biologischer Aufgaben von strukturell unterschiedlichen RNAs erkannt. Diese reichen von der Katalyse von RNA-Reifungsprozessen über die Erkennung von spezifischen Stoffwechselprodukten bis zur gezielten Regulation der Genexpression. Die Grundlage für diese vielfältigen Aufgaben liegt in der Fähigkeit der RNA, unterschiedlichste Strukturen einnehmen und schnell zwischen alternativen Faltungen wechseln zu können. Wie diese Strukturänderungen auf molekularer Ebene verlaufen, ist unzureichend bekannt. Unterschiedliche biochemische und biophysikalische Methoden stehen zur Aufklärung von RNA-Faltungs- und Erkennungsmechanismen zur Verfügung. Viele dieser Techniken sind jedoch abhängig von der Anwesenheit bestimmter chemischer Markierungen für die Signaldetektion. Beispiele dafür sind spezielle chromophore Markierungen für die Fluoreszenzspektroskopie, schwere Isotope für die NMR-Spektroskopie, paramagnetische Gruppen für die EPR-Spektroskopie oder auch schwere Atome für die Lösung des Phasenproblems in der Kristallographie. Die chemische Synthese von Nukleinsäuren bietet die Möglichkeit, solche Markierungen positionsspezifisch in RNA und DNA einzubringen [1].

Chemische Synthese modifizierter RNA

Funktionalisierte Nukleotide werden meistens über chemische Synthese oder eine Kombination aus chemischer und enzymatischer Synthese eingebaut. Dabei können modifizierte Nukleoside bereits die gewünschte Markierung tragen. Falls das nicht möglich ist, werden Nukleosidanaloga verwendet, die mit reaktiven funktionellen Gruppen ausgestattet sind, an die biophysikalische Markierungen in einem postsynthetischen Schritt konjugiert werden. Als Beispiel sei hier die Synthese von paramagnetisch markierter RNA erwähnt, die in der EPR-Spektroskopie eingesetzt wird. Mehrere Methoden zur Spinmarkierung von RNA wurden bereits beschrieben. Dennoch ist die einfache Herstellung von spinmarkierter RNA immer noch eine der großen Herausforderungen für die universelle Anwendung moderner EPR-Techniken.

 

In der Arbeitsgruppe Nukleinsäurechemie wurde eine experimentell einfache und sehr effiziente Methode zur Herstellung von qualitativ hochwertiger paramagnetischer RNA entwickelt [2]. Dazu wurde ein Verfahren angewendet, das auf der postsynthetischen Substitution vorfunktionalisierter Nukleoside beruht (Abb. 1).  In Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe Elektronenspinresonanz-Spektroskopie (unter der Leitung von Marina Bennati) wurden die spinmarkierten RNAs charakterisiert. Die einfache Zugänglichkeit und die gute Qualität der RNA sowie der EPR-spektroskopischen Daten bieten eine gute Voraussetzung für die Untersuchung komplexer RNA-Strukturen und RNA-Protein-Komplexe.

Die Festphasensynthese erlaubt die verlässliche Bereitstellung von kurzen modifizierten RNA-Strängen bis zu einer Länge von ca. 50 Nukleotiden. Für längere RNA-Zielmoleküle ist die Kombination von chemischer Synthese und enzymatischer Ligation notwendig. Häufig werden dafür die Proteinenzyme T4 RNA und T4 DNA-Ligase eingesetzt. Eine vielversprechende Alternative ist die Anwendung von DNA-Enzymen, sogenannten Desoxyribozymen, die die Verknüpfung von RNA-Fragmenten ermöglichen.

Katalytisch aktive Nukleinsäuren: Ribozyme und Desoxyribozyme


Aus chemischer Sicht haben RNA und DNA viele Gemeinsamkeiten und teilen auch so manche unerwartete Funktion. Die offensichtlichste Gemeinsamkeit ist die Fähigkeit zur Watson-Crick-Basenpaarung, aber auch so komplexe Aufgaben wie spezielle chemische Katalyse können von RNA und DNA gleichermaßen bewerkstelligt werden. In der Natur kommen katalytische Nukleinsäuren als Ribozyme (=katalytische RNA) vor und ermöglichen lebenswichtige Reaktionen der RNA-Reifung und der Proteinbiosynthese. Katalytische DNA (= DNA- Enzyme oder Desoxyribozyme) hingegen wurden in der Natur bisher nicht gefunden. Es handelt sich um synthetische, einzelsträngige DNAs, die im Labor mittels In-vitro-Selektion identifiziert werden. Dabei werden in einem zyklischen Prozess DNA-Moleküle aus einer Zufallsbibliothek so lange sortiert und vervielfältigt, bis man Kandidaten mit den gewünschten Eigenschaften erhält (Abb. 2). Seit dem Bericht über DNA-katalysierte Spaltung von RNA-Phosphodiesterbindungen wurde eine Vielzahl von Desoxyribozymen bekannt, die chemische Transformationen mit hoher Selektivität katalysieren. Praktische Anwend­ungen von DNA-Enzymen reichen von der Verwendung als analytische und syn­thet­ische Werkzeuge  bis zu ihrer Entwicklung als molekulare Schaltelemente und therapeutische Wirkstoffe[3].

DNA-katalysierte RNA-Ligation

Eine Klasse von DNA-Enyzmen katalysiert die lineare Ligation zweier RNA-Substrate unter Ausbildung der nativen 3’-5’-Phosphodiesterbindung (Abb. 3), [4]. Diese DNAs stellen eine experimentell attraktive Alternative zu RNA-ligierenden Proteinenzymen dar, die bisher zur Verknüpfung kurzer modifizierter RNA-Fragmente verwendet werden. Diese Metallionen-abhängigen DNA- Enzyme wurden durch In-vitro-Selektion erhalten, jedoch nicht im Detail charakterisiert oder optimiert. DNA-Enzyme bevorzugen gewisse RNA-Ligationsstellen, was die allgemeine Anwendbarkeit derzeit auf eine Untergruppe der 16 möglichen Dinukleotidverknüpfungen beschränkt. Die molekularen Gründe dafür sind noch nicht bekannt, jedoch sollte ein besseres Verständnis des Reaktionsmechanismus nützliche Hinweise zur rationalen Optimierung liefern.

 

Eine weitere Klasse von Desoxyribozymen kann 2’,5’-verzweigte RNA herstellen, indem eine 2’-OH Gruppe innerhalb des RNA-Substrats für den nukleophilen Angriff auf eine 5’-Triphosphat Gruppe aktiviert wird (Abb. 3), [5]. Das 2’,5’-verzweigte RNA-Produkt entspricht dem zentralen Kern der Lariat-RNA, einem wichtigen Intermediat der mRNA-Reifung während des RNA-Spleißens. Ausgehend von diesen verzweigenden DNA-Enzymen konnte gezeigt werden, dass DNA auch kleine Moleküle als Substrate für die Bindungsknüpfung verwenden kann [6]. Das ist der Ausgangspunkt für die Entwicklung von DNA-Katalysatoren für die gezielte chemische Modifikation von RNA.

Mechanismen DNA-katalysierter Reaktionen

Von keinem einzigen DNA-Enzym konnte bisher die dreidimensionale Struktur in einer aktiven Konformation aufgeklärt werden, und der genaue chemische Mechanismus DNA-katalysierter Reaktionen ist nicht bekannt. Ein wichtiger Schritt zum Verständnis des Mechanismus ist die Identifizierung der aktiven Nukleotide und die Bestimmung der an der Katalyse beteiligten funktionellen Gruppen. Traditionelle Methoden basieren auf dem Austausch einzelner Nukleotide und der zeit- und arbeitsintensiven Charakterisierung der Reaktions­kinetik einzelner Mutanten. Alternative Methoden, die schnell und verlässlich die an der Katalyse beteiligten Nukleotide und funktionellen Gruppen identifizieren können, leisten daher einen wesentlichen Beitrag zur Aufklär­ung der Ligationsmechanismen.

Kombinatorische Mutationsinterferenz-Analyse (CoMA)

In der Arbeitsgruppe Nukleinsäurechemie wurde eine Methode entwickelt, die eine schnelle und umfassende Untersuchung der an der DNA-Katalyse beteiligten Nukleotide erlaubt [7]. Diese kombinatorische Mutationsinterferenz-Analyse (CoMA) basiert auf der chemischen Synthese von Mutationsbibliotheken mit statistisch verteilten Basenmutationen. Dabei entstehen inaktive DNA-Enzym-Derivate, die von den aktiven Mutanten abgetrennt werden. Anschließend werden die Nukleotidpositionen bestimmt, an denen die Mutation einen negativen Effekt auf die Aktivität hatte. Dabei macht man sich zunutze, dass die DNA keine 2’-Hydroxygruppe besitzt. Die Mutationen werden nämlich als Ribonukleotide eingebaut, und durch spezifische Spaltung des DNA-Strangs an den mutierten Positionen kann dann das Interferenzmuster auf einem Sequenziergel abgelesen werden. Diese Methode liefert verlässliche Informationen über den Beitrag jedes einzelnen Nukleotids und trägt damit erheblich zur vereinfachten Auffindung der minimalen katalytischen Einheit bei. Im Fall der RNA-ligierenden Desoxy­ribozyme konnte eine Gruppe von funktionellen Nukleotiden identifiziert werden, die für die Ausbildung von RNA-Phosphodiesterbindungen essentiell sind. Diese kombinatorische Analysenmethode wurde auch für die Analyse weiterer DNA-Enzyme verwendet und verspricht großes Potenzial als allgemein anwendbare Technik für die Untersuchung von einzelsträngiger funktionaler DNA.

DNA ist ein attraktives chemisches Werkzeug zur posttranskript­ionalen Manipulation von RNA. In der Form von Desoxy­ribozymen vereint sie die Fähigkeiten von spezifischer Basen­paarung und katalytischer Aktivität in einem DNA-Molekül. Die praktischen Vorteile von DNA als molekulares Werkzeug sind die einfache und billige chemische Synthese beliebiger Sequenzen, die gute chemische Stabilität, die einfache Wiedergewinnung sowie die unkomplizierte Entfaltung und Renaturierung der DNA-Enzyme. Da viele biochemische und biophysikalische Methoden auf der Verwendung positions­spezifisch markierter RNA und RNA-Protein-Komplexe basieren, wird die Optimierung der DNA-basierten Technologien wertvolle Beiträge zur Aufklärung der vielfältigen Funktionen und komplexen Strukturen natürlicher RNAs liefern.

F. Wachowius, C. Höbartner:
Chemical RNA modifications for studies of RNA structures and dynamics.
ChemBioChem 11, 469-480 (2010).
G. Sicoli, F. Wachowius, M. Bennati, C. Höbartner:
Probing secondary structures of spin-labeled RNA by pulsed EPR spectroscopy.
Angewandte Chemie International Edition 49, 6443-6447 (2010).
K. Schlosser, Y. Li:
Biologically inspired synthetic enzymes made from DNA.
Chemistry & Biology 16, 311-322 (2009).
W. E. Purtha, R. L. Coppins, M. K. Smalley, S. K. Silverman:
General deoxyribozyme-catalyzed synthesis of native 3'-5' RNA linkages.
Journal of the American Chemical Society 127, 13124-13125 (2005).
S. K. Silverman:
Deoxyribozymes: Selection design and serendipity in the development of DNA catalysts.
Accounts of Chemical Research 42, 1521-1531 (2009).
C. Höbartner, S. K. Silverman:
Engineering a selective small-molecule substrate binding site into a deoxyribozyme.
Angewandte Chemie International Edition 46, 7420-7424 (2007).
F. Wachowius, F. JavadiZarnaghi, C. Höbartner:
Combinatorial mutation interference analysis reveals functional nucleotides required for DNA catalysis.
Angewandte Chemie International Edition 49, 8504-8508 (2010).
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