Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik

Wie stabil sind Schwarze Löcher?

Autoren
Andersson, Lars
Abteilungen
Geometrische Analysis und Gravitation
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut), Potsdam-Golm
Zusammenfassung
Mit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie kann man gravitierende Systeme wie etwa Sterne und Schwarze Löcher beschreiben. Für einige einfache Systeme (ein ruhendes Schwarzes Loch oder ein rotierendes Schwarzes Loch) existieren exakte und explizite Lösungen der Einsteinschen Gleichungen. Es ist von großem Interesse, zu untersuchen, ob diese Lösungen dynamisch stabil sind, d. h. ob kleine Veränderungen der Anfangsbedingungen zu Lösungen mit ähnlichen Eigenschaften führen. Denn nur dann sind diese exakten und expliziten Lösungen auch physikalisch relevant.

Eines der wichtigsten theoretischen Probleme der Physik am Anfang des 20. Jahrhunderts war die Unverträglichkeit der Maxwellschen Theorie des Elektromagnetismus mit der Newtonschen Theorie der Gravitation. Einsteins spezielle (1905) und allgemeine (1915) Relativitätstheorie bedeuteten einen radikalen Bruch mit dem Newtonschen Weltbild und lieferten eine Theorie der Gravitation, die mit der elektromagnetischen Theorie problemlos vereinbar war. In Einsteins Theorie verursachen materielle Körper eine Krümmung der Raumzeit und dadurch eine Krümmung der Bahnen von Teilchen. Eine nicht erklärbare Fernwirkung, wie sie für Newtons Theorie charakteristisch ist, muss Einstein nicht einführen.

Einsteins Theorie der Gravitation konnte bereits kurz nach ihrer Formulierung ein Phänomen erklären, das den Astronomen schon lange ein Rätsel war: die Drehbewegung des Merkur-Perihels. Während sich in Newtons Theorie die Planeten auf immer gleich bleibenden Ellipsen bewegen, drehen sich die Ellipsenbahnen gemäß der Relativitätstheorie mit jedem Umlauf etwas weiter. Dadurch wandert auch der sonnennächste Punkt, der "Perihel", was mit den astronomischen Beobachtungen übereinstimmt, die weder die Newtonsche Physik noch die Physik des 19. Jahrhunderts erklären konnten. Dabei gab es Ansätze, den Effekt mit dunkler Materie zu erklären (Postulierung des Planeten Vulkan durch Le Verrier, 1859) und durch eine Veränderung der Gravitationstheorie (modifiziertes Gravitationsgesetz von Hall, 1894).

Die Erklärung der Bewegung des Merkur-Perihels war somit die erste Gelegenheit, die neue Theorie in der Praxis zu überprüfen. Einstein berechnete die Bahnen von Teilchen im Gravitationsfeld eines zentralen Körpers mithilfe einer Näherungslösung seiner Gleichungen und konnte so die beobachtete Anomalie erklären. Eine weitere wichtige Bestätigung der Theorie lieferte der britische Astrophysiker Arthur S. Eddington: Bei der Sonnenfinsternis 1919 beobachtete Eddingtons Expedition die von Einstein vorhergesagte Ablenkung des Lichts durch die Sonne.

Wenige Monate nachdem Einstein seine Theorie publiziert hatte, veröffentlichte der Potsdamer Astronom Karl Schwarzschild eine exakte and explizite Lösung der Einstein-Gleichungen, die das Gravitationsfeld eines ruhenden kugelförmigen Körpers beschreibt. Die Untersuchung von Schwarzschilds Lösung zeigt, dass wenn dieser zentrale Körper hinreichend kompakt ist, kein Licht von seiner Oberfläche einen weit entfernten Beobachter erreichen kann. Dieses Phänomen hat John Archibald Wheeler dazu veranlasst, den Namen "black hole" (Schwarzes Loch) für ein solches Objekt zu prägen. Die Oberfläche des Schwarzen Lochs nennt man "Ereignishorizont". Interessanterweise wurde die Idee, dass ein Objekt mit hinreichend starker Gravitation das Entkommen von Licht verhindern kann, schon am Ende des 18. Jahrhunderts von John Mitchell und von Pierre-Simon Laplace vorgeschlagen. Laplace war einer der einflussreichsten Mathematiker seiner Zeit und arbeitete ausschließlich im Rahmen der Newtonschen Physik.

Das Schwarze Loch von Kerr

Dennoch sollte es bis in die späten 1950er-Jahre dauern, bis die globale Struktur der Schwarzschild-Lösung vollständig verstanden war und erst in den späten 1970er- Jahren wurde die Idee, dass Schwarze Löcher in der Natur vorkommen, von den Astrophysikern allgemein akzeptiert. Erst dann gab es nämlich nicht nur immer mehr Beobachtungsdaten über kompakte Objekte wie Neutronensterne und Quasare, sondern auch ein besseres theoretisches Verständnis der Schwarzen Löcher. Zu den wichtigsten theoretischen Entwicklungen gehörte Roy Kerrs Entdeckung einer neuen exakten und expliziten Klasse von Lösungen der Einstein-Gleichungen, die ein zeitunabhängiges rotierendes Schwarzes Loch beschreiben. Diese Klasse beinhaltet nur zwei Parameter, die Masse und den Drehimpuls, und enthält die Schwarzschild-Lösung als Spezialfall, in dem der Drehimpuls verschwindet. Während im Allgemeinen Teilchenbahnen um ein rotierendes Objekt chaotisch sind, gibt es für Teilchen in der Kerr-Lösung eine Erhaltungsgröße, die sogenannte Carter-Konstante, die für allgemeine rotierende Raumzeiten nicht existiert. Brandon Carter zeigte mithilfe dieser Konstante 1968, dass die Bewegung der Teilchen explizit durch elliptische Funktionen ausgedrückt werden kann. Damit wurde eine detaillierte Analyse des Verhaltens von Materie in der Nähe eines rotierenden Schwarzen Lochs möglich.

Dynamische Stabilität

Große Objekte, die im Gleichgewicht sind (wie Planeten, Sterne, Galaxien usw.), haben die Tendenz, über sehr lange Zeiträume tatsächlich auch in einem stabilen Gleichgewicht zu bleiben. Damit solche Objekte als Ergebnis dynamischer Prozesse überhaupt entstehen können, ist es sogar unbedingt notwendig, dass sie stabil sind. Stabilität bedeutet hier: Eine kleine Veränderung des Objekts und seiner Bewegung führt in einem dynamischen Prozess zu einem Objekt und einer Bewegung ganz ähnlicher Art.

Wendet man exakte und explizite Lösungen physikalischer Gleichungen an, um Beobachtungen natürlicher Phänomene zu interpretieren und zu modellieren, ist es von fundamentaler Bedeutung, die Aufmerksamkeit auf solche Lösungen zu konzentrieren, die näherungsweise Phänomene in der realen Welt abbilden können, trotz der Fülle der dort vorhandenen Störungen. Aus diesem Grund ist die Analyse der Stabilität von expliziten Lösungen der Gleichungen physikalischer Theorien mit der größtmöglichen Strenge und unter möglichst realistischen Bedingungen ein ganz wesentlicher Aspekt dieser Theorien.

Die Einstein-Gleichungen ähneln in gewissem Sinne der Wellengleichung, die die Ausbreitung des Lichts in der Maxwellschen Theorie des Elektromagnetismus beschreibt. Lichtwellen in einer flachen und leeren Raumzeit ("Minkowski-Raum") gehorchen dem Prinzip von Huygens, das besagt, dass Wellen, die von einem Punkt in der Raumzeit kommen, nur auf dem Lichtkegel dieses Punktes zu sehen sind. Außerdem ist die Amplitude der Welle umgekehrt proportional zur Zeit. Da das Gravitationsfeld einer gekrümmten Raumzeit in der Einsteinschen Theorie mit sich selbst wechselwirkt, können diese Überlegungen hier nicht direkt angewendet werden. Die besondere Struktur der Einstein-Gleichungen führt jedoch dazu, dass gewisse Wechselwirkungen sich aufheben. Dadurch können sich kleine Gravitationswellen ausbreiten, ohne dass es zu einem katastrophalen Zusammenbruch der Raumzeit-Geometrie kommt. Unter Ausnutzung dieser Tatsache wurde gezeigt [1,2], dass der Minkowski-Raum stabil ist. Diese Aufhebung der Wechselwirkungen ist auch der Grund, warum es sinnvoll ist, Gravitationswellendetektoren zur Messung von Signalen weit entfernter und energiereicher Ereignisse wie der Zusammenstöße von Schwarzen Löchern einzusetzen.

Die Stabilität der Kerr-Lösung

Um die physikalische Relevanz der Lösung von Kerr nachzuweisen ist es somit essentiell, ihre Stabilität zu beweisen. Idealerweise möchte man dazu den Prozess, durch den ein Schwarzes Loch entsteht, z. B. durch die Verschmelzung von Neutronensternen oder durch Materie, die auf einen Neutronenstern fällt und sich dort sammelt, theoretisch verstehen. Im Fall der Schwarzschild-Lösung wurde schon 1939 eine explizite Lösung von J. Robert Oppenheimer und Hartland Snyder gefunden [3], die den Kollaps einer Staubwolke zu einem Schwarzen Loch beschreibt. Für die Kerr-Lösung ist nichts Entsprechendes bekannt. Allerdings erlauben es neuere Entwicklungen in der numerischen Relativitätstheorie, die Bildung von rotierenden Schwarzen Löchern mit hoher Genauigkeit zu simulieren. Auch die Verschmelzung von zwei Schwarzen Löchern zu einem einzigen kann simuliert werden (Abb. 1). In all diesen Prozessen, die in der Abteilung Astrophysikalische Relativitätstheorie am Albert-Einstein-Institut erforscht werden, deuten die numerischen Ergebnisse darauf hin, dass die Kerr-Lösung stabil ist.

Untersucht man die Stabilität der Kerr-Lösung, so wird man mit einer für Schwarze Löcher charakteristischen Schwierigkeit konfrontiert: Es gibt nicht nur Lichtstrahlen von Quellen innerhalb des Ereignishorizonts, die weit entfernte Beobachter nicht erreichen können, sondern auch solche die um das Schwarze Loch in konstanter Entfernung kreisen (Abb. 2). Dieses "trapping" genannte Phänomen ist aus Beispielen zur Untersuchung der Lichtausbreitung bekannt. Man betrachte z. B. die Ausbreitung von Licht im flachen Raum zwischen zwei perfekt reflektierenden Kugeln. Im Grenzfall hoher Frequenzen ist die Ausbreitung des Lichts gradlinig (daher der Name "Lichtstrahl"): Zwischen den Kugeln kann ein gefangener ("trapped") Lichtstrahl für immer hin- und herpendeln. Dies ist aber eine instabile Bewegung und ein Lichtsignal mit endlicher Energie, das zwischen den Kugeln gefangen ist, wird daher schließlich auseinanderlaufen. Die im Kreis laufenden gefangenen Lichtstrahlen in der Schwarzschild- oder Kerr-Raumzeit sind analog zum Lichtstrahl im Beispiel mit den Kugeln instabil und laufen im Falle endlicher Energie ebenfalls auseinander.

Eine weitere Schwierigkeit bei der Analyse des Verhaltens von physikalischen Feldern in der Nähe von Schwarzen Löchern ist die sogenannte „Ergoregion“ (Abb.3). Eine formale Analyse suggeriert, dass die Verzerrung der Raumzeit in der Kerr-Lösung so stark ist, dass Wellen, die nahe am Schwarzen Loch vorbeifliegen, unbegrenzt Energie gewinnen könnten. Dieses Phänomen nennt man „Superlumineszenz“. Es ist inzwischen gezeigt worden, dass für masselose Skalarfelder (wie etwa das Licht) dieser Effekt nicht auftritt. Es ist nämlich bekannt, dass hinreichend reguläre Lichtsignale im Hintergrund der Kerr-Lösung eine Dispersion erfahren [4,5]. Dies bedeutet, dass sie auseinanderlaufen und an Intensität verlieren. Die Dispersion ist eine zentrale Eigenschaft der Ausbreitung von Licht und verwandter physikalischer Phänomene. Obwohl es noch Einzelheiten gibt, die geklärt werden müssen, liegen inzwischen genaue Informationen über das Verhalten von Lichtsignalen in der Kerr-Raumzeit vor. Die Existenz der schon erwähnten Carter-Konstante spielt eine wesentliche Rolle im Beweis der Dispersion durch Lars Andersson und Pieter Blue [4].

Die endgültige Beantwortung der Frage nach der Stabilität der Kerr-Lösung steht also noch aus. Es ist zu erwarten, dass diese Frage in der nahen Zukunft ein zentraler Punkt der Forschung auf dem Gebiet der geometrischen Analysis und der Allgemeinen Relativitätstheorie bleiben wird.

D. Christodoulou, S. Klainerman:
The global nonlinear stability of the Minkowski space.
Princeton Mathematical Series 41. Princeton University Press, Princeton, NJ, 1993.
H. Lindblad, I. Rodnianski:
The global stability of Minkowski space-time in harmonic gauge.
Annals of Mathematics 171, 1401-1477 (2010).
J.R. Oppenheimer, H. Snyder:
On Continued Gravitational Contraction.
Physical Review 56, 455-459 (1939).
L. Andersson, P. Blue:
Hidden symmetries and decay for the wave equation on the Kerr spacetime.
Eprint: http://arxiv.org/abs/0908.2265 (2009).
M. Dafermos, I. Rodnianski:
The black hole stability problem for linear scalar perturbations.
Eprint: http://arxiv.org/abs/1010.5137 (2010).

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