Neutrino aus einer fernen Galaxie

MAGIC-Teleskope spüren Ursprungsort eines Teilchens auf, das offenbar vom schwarzen Loch eines Blazars stammt

Astrophysikern ist es erstmals gelungen, die Quelle eines hochenergetischen kosmischen Neutrinos zu orten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit entstammt das Neutrino einem Blazar, einem aktiven schwarzen Loch im Zentrum einer entfernten Galaxie im Sternbild des Orion. Die Entdeckung ermöglicht hatte die Kombination mehrerer Teleskope. Diese sogenannte Multi-Messenger-Beobachtung könnte auch den Schlüssel für ein ungelöstes Rätsel liefern: die Herkunft der kosmischen Strahlung.

Neutrinos sind Elementarteilchen, die kaum mit ihrer Umgebung wechselwirken und sich daher nur schwer nachweisen lassen. In jeder Sekunde treffen etwa 60 Milliarden dieser flüchtigen Geisterteilchen auf die Fläche von der Größe unseres Daumennagels – und durchschlagen ihn glatt. Neutrinos lassen sich schwer fassen, der weltweit größte Detektor ist eine Anlage namens IceCube am Südpol. Dieses Experiment fängt pro Tag etwa 200 Neutrinos ein. Die meisten stammen aus der Sonne oder entstehen, wenn kosmische Strahlung – also Protonen, Elektronen und ionisierte Atome – auf die Erdatmosphäre trifft. Diese Neutrinos haben nur eine geringe Energie.

Am 22. September 2017 geriet ein besonderes Neutrino in die Fänge von IceCube: Seine sehr hohe Energie (ungefähr 290 Teraelektronenvolt) deutete darauf hin, dass es von einem fernen Himmelsobjekt stammte. Den Wissenschaftlern gelang es darüber hinaus, die genaue Flugrichtung des Neutrinos zu bestimmen. „Unsere Theorien besagen, dass Neutrinos immer zusammen mit Lichtteilchen, also Photonen, entstehen,“ sagt Razmik Mirzoyan, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Physik in München. „Photonen sind Licht, also elektromagnetische Strahlung, die wir mit Teleskopen beobachten können.“

Der Neutrino-Alarm ging daher umgehend an zahlreiche Instrumente weltweit – in der Hoffnung, mit den Beobachtungen den Ursprungsort des Neutrinos zu finden. Zunächst meldete das Weltraumteleskop Fermi-LAT, dass die Flugroute des Neutrinos auf den bekannten, etwa 4,5 Milliarden Lichtjahre entfernten Blazar TXS 0506+056 wies. Ein Blazar ist eine Galaxie, in deren Zentrum ein supermassereiches schwarzes Loch steckt. Aus diesem Kraftwerk schießen nahezu mit Lichtgeschwindigkeit zwei gebündelte Ströme aus Teilchen und Strahlung ins All. Im Falle eines Blazars zeigt einer dieser sogenannten Jets zufällig in Richtung Erde – was das Objekt am Firmament besonders hell erscheinen lässt.

Der Blazar TXS 0506+056 sendet unter anderem energiereiche Gammastrahlen aus. Nach Beobachtungen der beiden MAGIC-Teleskope auf der Kanareninsel La Palma liegt diese Gammastrahlung im sehr hohen Energiebereich von mindestens 400 Gigaelektronenvolt. Das deutet darauf hin, dass das von IceCube eingefangene Neutrino tatsächlich dem Blazar entstammt, weil sowohl das Neutrino, als auch die Gammastrahlen einen sehr hohen Energiegehalt haben und aus diesem Grund beide in derselben Umgebung entstanden sein müssen.

Neutrinos entstehen bei Reaktionen, an denen Protonen, also Wasserstoffatomkerne, beteiligt sind. Daher helfen die aktuellen Beobachtungen unter anderem dabei, ein Jahrhunderträtsel zu lösen: Wo entsteht die kosmische Strahlung? Denn diese im Jahr 1912 vom Physiker Victor Hess entdeckte Strahlung besteht eben größtenteils aus energiereichen Protonen. „Das kosmische energiereiche Neutrino zeigt uns daher, dass der Blazar Protonen auf höchste Energie beschleunigt. Damit könnten wir tatsächlich eine Quelle für die kosmische Strahlung gefunden haben“, sagt Elisa Bernardini, Wissenschaftlerin am DESY in Zeuthen.

Es gibt einen wichtigen Grund, warum die Quellen für kosmische Strahlung bisher unentdeckt blieben. „Da die positiv geladenen Protonen von den Magnetfeldern im Kosmos abgelenkt werden, bewegen sie sich nicht geradlinig“, so Bernardini. „Wenn wir sie beobachten, können wir also nicht erkennen, aus welcher Richtung sie kommen.“ Im Gegensatz dazu sind Neutrinos und Photonen, also auch Gammastrahlen, elektrisch ungeladen und erreichen uns schnurstracks ohne Umwege. Ihr Entstehungsort lässt sich auf diese Weise eindeutig bestimmen – sie legen damit eine Spur zur kosmischen Strahlung.

Auch wenn sich der Nebel um die Herkunft dieser Strahlung gelichtet hat – die Blazare selbst liefern noch einigen Stoff für offene Fragen. „Wir versuchen zu verstehen, wo und wie die Protonen auf höchste Energien gebracht werden, um energiereiche Neutrinos und Protonen zu erzeugen“, sagt Max-Planck-Forscher Razmik Mirzoyan, der auch Sprecher des MAGIC-Forschungsverbundes ist.

Folgebeobachtungen mit den MAGIC-Teleskopen geben Anhaltspunkte für Antworten. In den Wochen nach der ersten Neutrino-Meldung waren die Teleskope insgesamt 41 Stunden auf den aktiven Blazar gerichtet. Aus den Daten schließen die Forscher, dass die Protonen-Wechselwirkungen in den Jets des Blazars stattfinden. Außerdem bestätigen die Resultate, dass neben den Neutrinos ein Teil der Gammastrahlen von energiereichen Protonen produziert wird – und nicht von anderen Teilcheninteraktionen. „Damit können wir zum ersten Mal nachweisen, dass Neutrinos und Gammastrahlen von den gleichen Protoneneltern stammen“, sagt Mirzoyan.

Im Spektrum der hochenergetischen Gammastrahlen von TXS 0506+056 erkannten die Wissenschaftler eine klare Signatur: „In einem bestimmten Energiebereich sehen wir einen Verlust von Photonen. Diese Teilchen müssen also verschluckt worden sein“, sagt Elisa Bernardini. „Dieser Fingerabdruck deutet darauf hin, dass das IceCube-Neutrino tatsächlich bei Proton-Photon-Reaktionen in den Jets des Blazars entstanden sein könnte.“

Nach den Worten von Razmik Mirzoyan spricht dieses Ergebnis für ein Zusammenspiel der beiden Teilchenbotschafter – Neutrinos und Gammastrahlen. Dabei sollten die Gammastrahlen Informationen darüber liefern, wie die Kraftwerke in supermassereichen schwarzen Löchern arbeiten, wie die extrem hohe Energieproduktion zustande kommt und welche teilchenphysikalischen Prozesse dabei eine Rolle spielen.

BW / HOR

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