Resteverwerter im Meeresboden

Mikroben in der Erdkruste vertilgen, was für andere unverdaulich ist

25. April 2018

Meerwasser enthält große Mengen gelöster organischer Substanzen. Diese werden von Mikroorganismen aber kaum verwertet. Ein internationales Forscherteam hat nun herausgefunden, dass Mikroorganismen in der Ozeankruste einen erheblichen Teil dieser Stoffmischung verzehren, während Meeresbakterien diese Nahrungsquelle zu großen Teilen verschmähen.

Im Zentrum der Studie steht ein Rätsel der Meeresforschung: Warum rühren Mikroorganismen, die im freien Wasser der Ozeane leben, das gelöste organische Material nicht an, obwohl es eigentlich ein gefundenes Fressen für sie sein müsste? Von der nährstoffreichen Stoffmischung stehen gewaltige Mengen zur Verfügung. „In den gelösten organischen Verbindungen ist 200 Mal mehr Kohlenstoff gebunden als in allen Meereslebewesen zusammen“, berichtet Thorsten Dittmar, einer der Hauptautoren der Studie und Leiter der Forschungsgruppe für Marine Geochemie, die zum Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg und dem Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen gehört. Jeder Liter Meerwasser enthält zwar nur rund ein Milligramm gelöster organischer Substanzen, doch global gesehen summiert sich die darin enthaltene Kohlenstoffmenge auf etwa 700 Milliarden Tonnen.

Messungen haben gezeigt, dass die gelösten organischen Verbindungen nur sehr langsam abgebaut werden, oft erreichen sie ein Alter von mehreren tausend Jahren. Experten schätzen, dass jedes Jahr rund 30 Milliarden Tonnen an neuem Material dazukommen. Die Hauptquelle des vielfältigen Stoffgemischs sind Algen und Bakterien, die ihre Stoffwechselprodukte ins Wasser abgeben oder sich nach ihrem Tod auflösen. Auch vom Land wird Material eingetragen. Da die Gesamtmenge in den Weltmeeren in etwa gleich bleibt, muss genauso viel Material verschwinden wie jedes Jahr neu entsteht – wie, ist noch nicht endgültig geklärt.

Wasserproben aus dem Meeresgrund

Das deutsch-amerikanische Forscherteam hat Wasserproben aus mehreren Bohrungen in der Sargassosee östlich von Florida untersucht. Das Untersuchungsgebiet befindet sich am Rand des Mittelatlantischen Rückens, eines gewaltigen Unterwassergebirges, das sich einmal längs durch den Atlantik zieht. 2012 und 2014 haben Wissenschaftler auf dem deutschen Forschungsschiff Maria S. Merian Wasserproben aus fest installierten Observatorien in einem mehr als 4.000 Meter tiefen Ozeanbecken entnommen. Die Bohrungen reichen bis zu 300 Meter tief in den Meeresboden, wo sich festes, aber poröses Vulkangestein befindet. „Die permanent in der Ozeankruste installierten Observatorien erlauben es uns, den Abbau des gelösten organischen Materials über lange Zeitskalen zu untersuchen – das wäre in keinem Laborversuch möglich“, berichtet Dittmars Kollegin Helena Osterholz.

Am ICBM, wo sich eines der leistungsfähigsten Massenspektrometer der Welt befindet, wurde die Zusammensetzung des gelösten organischen Materials untersucht. Dabei zeigte sich, dass in der vulkanischen Kruste ein großer Teil des organischen Stoffgemischs aus dem Meerwasser abgebaut wird. Aus Isotopenmessungen schlossen die Forscher, dass unterirdisch lebende Mikroben daran einen großen Anteil haben.

Essen, was übrig bleibt

Die winzigen Bewohner der Erdkruste vertilgen also offenbar die Abfälle, die ihre Verwandten im Meer verschmähen. „Die Bakterien dort sind Resteverwerter. Sie müssen fressen, was ankommt“, erläutert Osterholz. Dabei sind die unterirdischen Mikroorganismen offenbar nur bedingt wählerisch: Die Forscher haben nachgewiesen, dass sich die molekulare Zusammensetzung so änderte, wie es für mikrobiellen Abbau typisch ist. Dennoch blieb eine große Ähnlichkeit zum Ursprungsmaterial aus dem Meer erhalten.

Doch warum nutzen Meeresbakterien das gelöste organische Material nicht als Nahrungsquelle? „Die Stoffmischung besteht aus vielen verschiedenen Molekülen. Womöglich lohnt es sich für Bakterien nicht, für einzelne Verbindungen, auf die sie selten treffen, einen speziellen Stoffwechselweg anzuwerfen“, erklärt Dittmar. Die tiefe Biosphäre hingegen, jene ausgehungerte Gemeinschaft von Mikroben im Untergrund, ist da offenbar weniger anspruchsvoll – und hat außerdem viel mehr Zeit.

FA/HR

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