Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie

Globale geochemische Stoffkreisläufe – eine Angelegenheit mikrobieller Ökonomie

Autoren
Strous, Marc; Schloesser, Manfred
Abteilungen
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie
Zusammenfassung
Die Aktivität von Mikroben ist die Kraft hinter den biogeochemischen Kreisläufen der Elemente - ein metabolisches Netzwerk als Grundlage allen Lebens. Vor etwa 100 Jahren wurde die erste Architektur dieses Netzes skizziert; das Modell wird ständig weiterentwickelt. Wir können heute noch nicht das ganze System verstehen oder vorhersagen, wie es auf anthropogene Einflüsse wie Düngung und Verbrennung fossiler Brennstoffe reagieren wird. Unser Ziel ist, die Regeln mikrobieller Konkurrenz und Kooperation zu finden, die die Knotenpunkte des globalen metabolischen Netzwerkes miteinander verbinden.

Um die grundlegende Architektur der Aktivität von Mikroben vor dem Hintergrund biogeochemischer Kreisläufe zu enträtseln, sollte man Mikrobiologie aus einem neuen Blickwinkel betrachten

Mit der Sonne als Energiespender setzen Mikroorganismen kontinuierlich die biologischen Hauptelemente Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff um. Dieser Umsatz ist eng an die Wachstumsraten der Mikroorganismen gekoppelt, und da die von ihnen gesteuerten riesigen Stoff- und Energieflüsse sämtliche unserer eigenen wirtschaftlichen Umsätze verblassen lassen, ist es kein Wunder, dass es die mikrobielle Biomasse ist, die den wesentlichen Anteil an der Gesamtbiomasse stellt. Die wichtigsten mikrobiellen Prozesse des Bioelemente-Netzwerks sind schon seit über einem Jahrhundert bekannt. Zwei Gründungsväter der Mikrobiologie, Martinus Wilhelm Beijerinck und Sergei Winogradsky, haben schon damals Bakterien beschrieben, die fähig zur Stickstoff-Fixierung, Nitrifizierung und Denitrifizierung sind, eben zu denjenigen Prozessen, die den Stickstoffkreislauf definieren. Jeder Schritt ist chemisch durch eine Redox-Reaktion beschrieben, denn es werden jeweils Elektronen von einem Elektronen-Donor, also einer reduzierten Verbindung wie Ammonium, zu einem Elektronen-Akzeptor, also einer oxidierten Verbindung wie Nitrat, übertragen. Diese grundlegende Architektur des Netzes ist bis heute stimmig. Später gab es wichtige Ergänzungen, die zum Teil von unserem Institut stammen. Die anaerobe Ammonium-Oxidation wurde lange Zeit als biochemisch unmöglich angesehen, wurde jedoch später als fehlendes Bindeglied von globaler Bedeutung entdeckt [1, 2]. Die dissimilatorische Nitratreduktion zu Ammonium ist viel verbreiteter als früher angenommen [3]. Die anaerobe Methan-Oxidation, früher als biochemisch unmöglich eingeschätzt, ist als ein für die Natur wichtiger Prozess mit Nitrat oder Sulfat als Oxidationsmittel entdeckt worden [4, 5]. Diese Erkenntnisse verwandelten den klassischen Stickstoff-Kreislauf in ein immer komplexeres Stickstoff-Netzwerk (Abb. 1). Um diese in der Natur ablaufenden Prozesse verstehen zu können, ist es notwendig, ökologische (und vielleicht auch ökonomische) Prinzipien wie Konkurrenz, Kooperation und Spezialisierung zu berücksichtigen. Das gilt nicht nur für den Stickstoff-Kreislauf, sondern auch für Kohlenstoff-, Schwefel-, Eisen- und andere geochemische Kreisläufe.

Wie können wir von einem deskriptiven zu einem prädiktiven Verständnis von durch Mikroben angetriebenen Kreisläufen kommen?

Das dringendste Problem ist, dass in der Wissenschaft bislang kein generell akzeptiertes Modell existiert, das den Wettbewerb unter den Mikroorganismen beschreibt. So wird in der mikrobiellen Ökologie noch gestritten, ob es sich hierbei um deterministische Prozesse oder um Zufallsentscheidungen handelt. Im ersten Fall könnte man erwarten, dass die spezifischen Umgebungsbedingungen des Habitats die Auswahl bestimmt. Im zweiten Fall könnten Parameter wie Massenaussterben, physikalische Verteilungseffekte und die Räuber-Beute-Dynamik entscheidend für den Aufbau einer mikrobiellen Gemeinschaft und der daraus resultierenden geochemischen Prozesse sein.

Um dieses Problem anzugehen, ist es wichtig zu erkennen, dass Wettbewerb hier auf drei verschiedenen Ebenen abläuft: auf der Ebene der Aktionen beziehungsweise Prozesse, der Organismen selbst, und der Gene. So konkurrieren die drei Prozesse Denitrifikation, dissimilatorische Nitratreduktion zu Ammonium und anaerobe Ammonium-Oxidation alle um das Nitrat (Abb. 1). Auf der Ebene der Organismen sind Nitrosococcus oceanus und Nitrosopumilus maritimus zwei konkurrierende Arten mariner Nitrifizierer. Auf der Ebene der Gene stehen zwei Nitrat-Reduktasen, die periplasmatische (NAP) und die membrangebundene (NAR) im Wettstreit um das Nitrat. Im Allgemeinen gilt die Regel, dass deterministisches Verhalten auf der Ebene der Prozesse und chaotisches Verhalten auf der Ebene der Organismen beobachtet wird. Dabei ist offensichtlich, dass die Vorhersagbarkeit eines Systems Determinismus voraussetzt. Weiterhin wird ein Mittel gebraucht, um die Fitness des Systems zu beschreiben, also eine Art „Fitness-Funktion“, die die Evolution des Systems charakterisiert. Eine wichtige Frage ist hierbei, was die Bedeutung von Fitness in der Mikrobiologie ist und welche Bedingungen bestimmte Aktionen oder Organismen gegenüber anderen begünstigen.

Die beste Antwort liefert die Thermodynamik. Es ist schon länger bekannt, dass mit dieser das Verhalten von Mikroorganismen vorhergesagt werden kann. Die Thermodynamik bietet eine Grundlage, um experimentelle Beobachtungen im Kontext zu bewerten und daraus allgemeingültige Schlüsse zu ziehen. So bestimmt die „elektrochemische Redoxreihe“, dass eine mikrobielle Gemeinschaft die Elektronenakzeptoren immer in einer thermodynamisch sinnvollen Reihenfolge nutzt: zuerst den Sauerstoff, Nitrat, dann die Manganoxide, Eisenoxide und –hydroxide, Sulfat und letztendlich die organischen Verbindungen. Mit der Redoxreihe lassen sich die Konzentrationsprofile in Sedimenten und geschichteten Wasserkörpern erklären. Sie setzt auch die Grenzen des Möglichen in der Umwelt-Biotechnologie, zum Beispiel bei der Abwasserreinigung in Kläranlagen. Auch wurde sie als Erklärung für die zeitliche Abfolge der Evolution verschiedener metabolischer Typen von Mikroorganismen über geologische Zeitspannen angeführt: Fermentation zuerst, Atmung zuletzt [6]. Neue thermodynamische Modelle sagen die Biomasseproduktion und den Ablauf von Gärungsprozessen recht zuverlässig voraus.

Leider ist die Redoxreihenfolge kaum eine Hilfe im Zusammenhang mit dem Stickstoffkreislauf (Abb. 1). Auch bieten die klassischen Ansätze keine Lösung für dissipative Prozesse fernab des thermodynamischen Gleichgewichts, wie sie hier vorliegen. Dissipative Prozesse sind solche, in denen der größte Anteil der chemischen Energie in Wärme umgewandelt wird und die durch eine Nicht-Gleichgewichts-Thermodynamik bestimmt werden. Systeme, die fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht sind, sind im Allgemeinen nicht-deterministisch. Glücklicherweise sind aber manche Aussagen dennoch möglich, wenn sich das System im Fließgleichgewicht befindet [7]. Diese Verhältnisse liegen vor, wenn der Transport von Masse und Energie über die Systemgrenzen zeitlich konstant bleibt. In der Natur gilt dies im Allgemeinen für Sedimente und Wasserkörper. Die Thermodynamik sagt für Fließgleichgewichte voraus, dass die Entropieproduktion ein lokales Minimum anstrebt. Mit anderen Worten: Das Gesamtsystem entwickelt sich zu höchster Produktivität bei maximaler bioenergetischer Effizienz. In Grundzügen wurde dieser Ansatz schon von Ludwig von Boltzmann skizziert [6]:

Der allgemeine Lebenskampf der Lebewesen ist daher nicht ein Kampf um die Grundstoffe – auch nicht um Energie, welche in Form von Wärme, leider unverwandelbar, in jedem Körper reichlich vorhanden ist – sondern ein Kampf um die Entropie, welche durch den Übergang der Energie von der heißen Sonne zur kalten Erde disponibel wird.”

Die bioenergetische Effizienz ist für die meisten mikrobiellen Prozesse bekannt. Sie ist bestimmt durch die Atmungskette, also den „Motor“, der die Energie für das Zellwachstum liefert. Die Atmungskette ist in der Zellmembran lokalisiert und besteht aus einer Reihe von Membran-Proteinen, die die Elektronen vom Elektronendonor zum Elektronenakzeptor transferieren. Dabei wird nur ein kleiner Teil der verfügbaren Energie in Form von ATP, der biologischen Energiewährungseinheit, gespeichert. Der Rest geht meist in Form von Wärme verloren.

Wenn die Umweltbedingungen bekannt sind, kann man also mit einfacher Mathematik berechnen, welche der Prozesse in Abbildung 1 die höchste Fitness hat. Es bedarf allerdings noch einiger Anstrengungen, um die auf der Aktionsebene berechneten Prognosen weiter auf die Organismen und Gene auszuweiten [8].

Die metagenomische Revolution ebnet den Weg von der Thermodynamik zu den Genen

Die Messung der mikrobiellen Prozesse in Umweltproben ist schwierig. Um die Geschwindigkeiten aller Prozesse in Abbildung 1 zu bestimmen, würde dies länger als eine Woche dauern – und das für eine einzige Probe (Abb. 2). Heutzutage ist es üblich, die DNA zu extrahieren und diese Probe in ein Labor zu schicken, das sich auf  Hochdurchsatz-Sequenzierung spezialisiert hat. Nach etwa sieben Tagen bekommt man eine CD mit einem Überblick der mikrobiellen Gemeinschaft – mit einem Verzeichnis aller Gene, die für die Prozesse in Abbildung 1 zuständig sind. Diese Methode ist unter dem Namen Metagenomics bekannt und ihre Aussagekraft wird dank der Weiterentwicklung der DNA-Sequenzierungstechniken laufend verbessert. Mit dem heutigen Stand dieser Technik ist es möglich, die komplette Architektur der Atmungskette zu rekonstruieren, wenn die Probe nicht zu komplex ist. Damit wird es möglich, molekulare Daten von Genen und Organismen mit thermodynamischen Aussagen über die Fitness eines Systems zu verknüpfen. Für natürliche Lebensgemeinschaften ist dieser Ansatz noch nicht möglich, denn diese stehen nicht unter kontrollierten Laborbedingungen und man weiß zu wenig über ihre Geschichte. Auch sind die Stoff- und Energieflüsse weder konstant noch hinreichend bekannt.

In unserer Forschergruppe werden Proben aus natürlichen Habitaten gesammelt und unter definierten Laborbedingungen in besonderen Reaktoren, den so genannten Labor-Habitaten, inkubiert (Abb. 3). Kennt man den Eintrag an Substraten und misst man die Produkte, sind die mikrobiellen Prozesse damit genau definiert. Zusätzlich wird die produzierte Wärme mittels Kalorimetrie bestimmt. Damit können wir die Entropieproduktion berechnen, also die Triebkraft, die die Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaft bestimmt. Diese Messungen sind nicht einfach, aber Dank mehrerer Optimierungen am Versuchsaufbau kann höchste Messgenauigkeit erwartet werden.

Nach dem ersten Animpfen der Kulturen mit Umweltproben passt sich die mikrobielle Gemeinschaft an die Bedingungen an. Dank natürlicher Auslese werden manche Arten anwachsen und viele werden aussterben. Diesen Ablauf können wir anhand der Veränderungen der Prozesse im Reaktor verfolgen. Wenn andere Organismen dominieren, werden sich die chemischen Verbindungen und die produzierte Wärmemenge ändern. Gleichzeitig werden mit Hilfe der Metagenomik die Änderungen auf der Ebene der Organismen und der Gene verfolgt. Zurzeit ist die Einrichtung der Labor-Habitate fast abgeschlossen und erste Versuche konnten erfolgreich beendet werden. Alsbald sollte es möglich sein, neutrale Veränderungen von natürlicher Selektion zu unterscheiden, und es müsste erkennbar werden, wie die Umwelt bestimmte Prozesse auswählt. Werden diese Kenntnisse dann auf die Umwelt extrapoliert, besteht Hoffnung, die Regeln der mikrobiellen Ökonomie zu erkennen, nach denen die Natur den Kreislauf der Elemente kontrolliert.

M. Strous, J. A. Fuerst, E. H. Kramer, S. Logemann, G. Muyzer, K. T. van de Pas-Schoonen, R. Webb, J. G. Kuenen, M. S. Jetten:
Missing lithotroph identified as new planctomycete.
Nature 400, 446 – 449 (1999).
M. M. Kuypers, A. O. Sliekers, G. Lavik, M. Schmid, B. B. Jørgensen, J. G. Kuenen, J. S. Sinninghe Damsté, M. Strous, M. S. Jetten:
Anaerobic ammonium oxidation by anammox bacteria in the black sea.
Nature 422, 608 – 611 (2003).
L. F. Dong, C. J. Smith, S. Papaspyrou, A. Stott, A. M. Osborn, D. B. Nedwell:
Changes in benthic denitrification, nitrate ammonification, and anammox process rates and nitrate and nitrite reductase gene abundances along an estuarine nutrient gradient (the Colne estuary, United Kingdom).
Applied and Environmental Microbiology 75, 3171 – 3179 (2009).
A. Boetius, K. Ravenschlag, C. J. Schubert, D. Rickert, F. Widdel, A. Gieseke, R. Amann, B. B. Jørgensen, U. Witte, O. Pfannkuche:
A marine microbial consortium apparently mediating anaerobic oxidation of methane.
Nature 407, 623 -626 (2000).
K. F. Ettwig, M. K. Butler, D. Le Paslier, E. Pelletier, S. Mangenot, M. M. M. Kuypers, F. Schreiber, B. E. Dutilh, J.Zedelius, D. de Beer, J. Gloerich, H. J. C. T. Wessels, T. van Alen, F. Luesken, M. L. Wu, K. T. van de Pas-Schoonen, H. J. M. Op den Camp, E. M. Janssen-Megens, K.-J. Francoijs, H. Stunnenberg, J. Weissenbach, M. S. M. Jetten, M. Strous:
Nitrite driven anaerobic methane oxidation by oxygenic bacteria.
Nature 464, 543 – 550 (2010).
E. Broda:
The evolution of bioenergetic processes.
Progress in Biophysics and Molecular Biology 21, 143 - 208 (1970).
D. Kondeputi, I. Prigogine:
Modern thermodynamics – from heat engines to dissipative structures.
Wiley Verlag (1998).
S. Müller, M. Strous:
Continuous cultivation and thermodynamic aspects of niche definition in the nitrogen cycle.
Methods in Enzymology 486, 33 – 52 (2011).
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