Entschlüsselung der Huntingtin-Struktur

Die Aufklärung des dreidimensionalen Aufbaus des Proteins soll helfen, neue Wirkstoffe zur Behandlung der Huntington-Krankheit zu entwickeln

21. Februar 2018

Mutationen auf einem einzigen Gen, dem Huntingtin-Gen, sind die Ursache der Huntington-Krankheit. Sie führen zu einer fehlerhaften Form des gleichnamigen Proteins. Jetzt haben Forscher vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried und der Universität Ulm mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie die dreidimensionale Struktur des gesunden menschlichen Huntingtin-Proteins entschlüsselt. Ein verbessertes Verständnis von Struktur und Funktion des Proteins könnte in Zukunft zur Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten beitragen.

Die Huntington-Krankheit beginnt häufig mit Störungen des Gefühlslebens und ist durch unwillkürliche Muskelbewegungen und dem Verlust geistiger Fähigkeiten charakterisiert. Die neurologische Erkrankung zählt zu den bis heute unheilbaren und zum Tode führenden Erbkrankheiten. Das Protein HTT, auch Huntingtin genannt, spielt die zentrale Rolle bei der Huntington-Krankheit. Das Huntingtin-Gen ist die Bauanleitung für das gleichnamige Protein. Seit 25 Jahren ist bekannt, dass Mutationen in diesem Gen die Ursache für die Huntington-Krankheit sind.

Obwohl seit vielen Jahren an der Erkrankung geforscht wird, gibt es immer noch viele Hürden zu überwinden. Jetzt haben Rubén Fernández-Busnadiego aus der Abteilung „Molekulare Strukturbiologie“ am Max-Planck-Institut für Biochemie und Stefan Kochanek, Leiter der Abteilung „Gentherapie“ am Universitätsklinikum Ulm, die dreidimensionale Struktur des Huntingtin-Proteins entschlüsselt.

Überwundene Hürde

Schon viele Jahre haben Wissenschaftler wie Stefan Kochanek von der Ulmer Universitätsmedizin an der Produktion und Aufreinigung von Huntingtin gearbeitet. Doch was hat eine detaillierte Analyse des Proteins in den letzten Jahrzehnten verhindert? Fernández-Busnadiego, Experte für Kryo-Elektronenmikroskopie, nennt zwei Hauptgründe: „Die Kryo-Elektronenmikroskopie wurde erst in den letzten Jahren soweit optimiert, um Proteinstrukturen mit fast molekularer Auflösung anzuschauen. Der zweite Grund ist, dass das Huntingtin-Protein in seiner Struktur sehr beweglich ist. Auch dafür haben wir erst jetzt eine Lösung gefunden.“ Bei der Analyse wird das Protein aus unterschiedlichen Perspektiven unter dem Mikroskop aufgenommen. Aus der Vielzahl der entstandenen Bilder kann die dreidimensionale Struktur errechnet werden. Dafür muss das Protein immer in der gleichen Form vorliegen. Fernández-Busnadiego erklärt: „Vergleichbar wäre dies mit einer Person, die im Dunkeln fotografiert wird. Bleibt die Person nicht für eine Weile ruhig stehen, wird die Aufnahme verschwommen.“

Um ein scharfes Bild zu erhalten, haben die Forscher um Kochanek nach weiteren Proteinen gesucht, die mit Huntingtin in Verbindung stehen und es stabilisieren. „Ein Protein, dass Huntingtin für die Kryo-Elektronenmikroskopie stabilisiert ist HAP40. So konnten wir gemittelt über viele Bilder die dreidimensionale Struktur ableiten“, so Kochanek. „Bleiben wir in der Analogie vom Foto im Dunkeln, dann wirkt das Protein wie ein Stuhl für die fotografierte Person. Wenn sie darauf sitzt, bewegt sich die Person viel weniger, und das Bild wird bei gleicher Belichtungszeit viel schärfer“, ergänzt Fernández-Busnadiego.

Wissen für neue Medikamente

„Wir wissen zwar seit einer Weile, dass die Mutation des Huntingtin-Gens schlimme Folgen hat, doch ist bis heute nur relativ wenig über die Funktion und die Aufgaben des gesunden Proteins bekannt“, erklärt Kochanek. Proteine sind die molekularen Maschinen der Zelle. Um ihre vielseitigen Aufgaben zu erfüllen, haben diese eine bestimmte dreidimensionale Struktur, ähnlich wie ein bestimmtes Bauteil in einer Maschine. „Da wir jetzt den exakten Aufbau des Bauteils Huntingtin kennen, können wir in weiteren Studien untersuchen, welche Bereiche von Huntingtin besonders wichtig sind und wie andere Protein damit zusammenarbeiten. Auf diese Weise könnten Strukturen entschlüsselt werden, an denen bestimmte Wirkstoffe therapeutisch angreifen.“

In der Erforschung der Huntington-Krankheit gibt es derzeit viel Bewegung. Große Hoffnung richtet sich derzeit auf eine ‚Stummschaltung‘ des Huntingtin Gens mit sogenannten Antisense-Oligonukleotiden zur Behandlung der Huntington-Krankheit. Diese kleinen Moleküle vermindern die Bildung des Huntingtin-Proteins in den Zellen. Dabei kann das Medikament nicht zwischen dem normalen und dem krankhaft veränderten Huntingtin-Protein unterscheiden. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, mehr über die Funktion des gesunden Huntingtin Proteins zu lernen. „Die entschlüsselte Struktur wird uns einen großen Schritt voran bringen“, schaut Kochanek in die Zukunft.

„Die Antisense-Oligonukeotid-Behandlungsversuche werden bisher erst an wenigen Kliniken durchgeführt; die Neurologische Universitätsklinik Ulm leitet die Medikamentenprüfung für Deutschland. Einige der zur Zeit geprüften Antisense-Oligonukleotide senken sowohl die Bildung des normalen als auch die des krankhaft veränderten Huntingtin-Proteins, andere streben an, in erster Linie das veränderte Huntingtin zu senken. Zurzeit ist ungeklärt, ob eine teilweise Hemmung der Bildung des normalen Huntingtin-Proteins Nachteile mit sich bringt und ohne unerwünschte Wirkungen vertragen wird. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, mehr über die normale Funktion des Huntingtin-Proteins zu lernen. Hierzu wird die jetzt veröffentlichte Untersuchung einen wichtigen Beitrag leisten“, sagt Bernhard Landwehrmeyer, Leiter der Huntington Ambulanz der Abteilung Neurologie am Universitätsklinikum Ulm und Leiter der weltgrößten Kohortenstudie zur Huntington-Krankheit.

CM/HR

 

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