Forschungsbericht 2017 - Max-Planck-Institut für Geoanthropologie

Menschen verändern seit mindestens 45.000 Jahren die Tropenwälder

Autoren
Roberts, Patrick
Abteilungen
Abteilung für Archäologie
Zusammenfassung
Seit mindestens 45.000 Jahren haben Menschen die tropischen Wälder durch verschiedenste Techniken verändert, wie Brandrodung, Tier- und Pflanzenmanagement, Kahlschlag und die Errichtung weitverzweigter urbaner Siedlungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Übersichtsarbeit, die erstmals die Daten von Studien aus aller Welt zusammengeführt hat. Sie widerspricht damit der gängigen Meinung, dass die Tropenwälder bis zum Aufkommen von moderner Landwirtschaft und Industrialisierung unberührte Naturgebiete waren. Diese Erkenntnis hat auch Auswirkungen auf heutige Naturschutzbemühungen.

Betrachtet man die lange Zeit der menschlichen Einwirkung auf die tropischen Wälder, lassen sich drei Phasen unterscheiden, die ungefähr den Lebenshaltungsformen der Jäger- und Sammlerkultur, der kleinformatigen Landwirtschaft sowie der Phase, in der großräumige urbane Siedlungen entstanden sind, entsprechen [1].

Großer Einfluss kleiner Jäger- und Sammlergruppen

Gruppen von Jägern und Sammlern brandrodeten offenbar bereits sehr früh Areale in Tropenwäldern. In Südostasien war dies schon vor 45.000 Jahren der Fall, als erstmals moderne Menschen in dieser Region siedelten. Auch für Australien und Neuguinea liegen Belege für Brandrodungen aus ungefähr dieser Zeit vor. Auf diese Weise schufen die Menschen eine Mosaiklandschaft aus Wald und Offenland, um das Vorkommen von Tieren und Pflanzen zu begünstigen, die ihnen als Nahrungsgrundlage dienten.

Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die vor 45.000 Jahren einsetzenden Aktivitäten des Menschen zum Aussterben der in den Wäldern lebenden Megafauna, dazu zählen etwa die Riesenfaultiere, Wald-Mastodonten (Rüsseltierart der ausgestorbenen Gattung Mammut) und die Riesenbeuteltiere, gegen Ende der letzten Kaltzeit (ca. 115.000 bis 12.000 Jahre vor heute) beitrugen. Dieses Artensterben hatte erhebliche, bis heute anhaltende Auswirkungen auf die Walddichte, die Verbreitung der Pflanzenarten und deren Fortpflanzungsmechanismen sowie die Lebenszyklen der Waldgebiete.

Landwirtschaftliche Aktivitäten

Der früheste Beleg für landwirtschaftliche Aktivitäten in Tropenwäldern stammt aus Neuguinea, wo die Menschen seit dem frühen mittleren Holozän vor rund 10.000 Jahren Jamswurzel, Banane und Taro-Knollen kultivierten. Diese frühen Anbaubemühungen hatten einschneidende Folgen: Heute tragen domestizierte Waldpflanzen und -tiere, zum Beispiel Süßkartoffeln, Chilipfeffer, schwarzer Pfeffer, Bananen und Hühner, weltweit zur Ernährung bei und dies wirkt sich erheblich auf die lokalen Ökosysteme und die Bodennutzung aus.

Solange die Tropenwälder mit heimischen Pflanzen und ein oder zwei domestizierten heimischen Tierarten bewirtschaftet wurden, führte dies im Allgemeinen nicht zu gravierenden oder dauerhaften Umweltschäden. Die Gemeinschaften, die sich in den Wäldern ansiedelten, wiesen anfangs meist eine geringe Bevölkerungsdichte auf und entwickelten an ihre jeweilige Umgebung angepasste Systeme, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Das änderte sich mit der Einführung externer Bewirtschaftungsmethoden in die Tropenwälder. Als vor etwa 2.400 Jahren die Landwirtschaft Hirse und Rinder nach West- und Zentralafrika brachte, kam es zu großflächigen Brandrodungen. Auch in Südostasien wurden nach Einführung des Reis- und Hirseanbaus große Waldgebiete niedergebrannt. In jüngster Vergangenheit hat die steigende Nachfrage nach Palmöl zur weiteren Abholzung geführt. Der zügellose Kahlschlag verringert die Artenvielfalt, provoziert Bodenerosion und macht die Landschaften anfälliger für Waldbrände.

Weitverzweigte Städte im Dschungel

Mithilfe neuer Technologien gelang in jüngster Zeit die Entdeckung, dass frühere Bevölkerungsgruppen in den tropischen Wäldern riesige urbane Zentren errichtet haben. Neue Daten, die unter anderem aus Kartierungen anhand von Lichtlaufzeitmessungen (Light Detection and Ranging – LiDAR, eine die Laubdächer durchdringende Technik) stammen, weisen auf Ansiedlungen in diesen Lebensräumen hin, die in dieser Größenordnung vorher unvorstellbar waren. Tatsächlich bestanden die ausgedehnten Siedlungsnetzwerke in den Tropenwäldern Amazoniens, Südostasiens und Mittelamerikas sehr viel länger, als es dort industrielle und städtische Siedlungen der modernen Welt gibt.

Bodenerosion und ein Mangel an landwirtschaftlichen Nutzflächen sind Probleme, mit denen die städtischen Ballungsräume in diesen Regionen heute wie gestern zu kämpfen haben. Daraus, wie die alten urbanen Zentren mit diesen Herausforderungen umgegangen sind, lassen sich Lehren für die Gegenwart ziehen. In einigen Regionen der Maya haben städtische Siedler den Wald „gärtnerisch“ bewirtschaftet, indem sie eine Vielzahl ergänzender Feldfrüchte in und rund um bestehende Waldflächen anpflanzten, statt diese zu roden. Andere Gruppen dagegen haben ihre lokale Umwelt durch Waldrodung und Monokulturpflanzen wie Mais übermäßig belastet, was in Kombination mit Klimaschwankungen zu dramatischen Bevölkerungsrückgängen geführt hat.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass die alten urbanen Siedlungen eben jene Ausbreitungsmuster aufwiesen, die heute von den Architekten moderner Städte in diesen Zonen empfohlen werden. In einigen Fällen scheinen die ausgedehnten städtischen Randzonen eine Art Pufferzone geschaffen zu haben, die die städtischen Zentren vor Klimaschwankungen schützt und die Nahrungsversorgung gewährleistet. Diversifizierung, Dezentralisierung und „Agrar-Urbanismus“ haben offenbar die Widerstandsfähigkeit der urbanen Siedlungen erhöht. Die alten Vorstädte werden heute als mögliche Modelle für die Nachhaltigkeit moderner Städte untersucht.

Konsequenzen für heutige Naturschutzbemühungen

Die globalen Daten zeigen, dass seit Tausenden von Jahren kein unberührtes Tropenwaldökosystem mehr existiert. Es gibt keinen idealen Wald, der als Vorbild dienen könnte, wenn Naturschützer Ziele für den Schutz der Wälder definieren und eine entsprechende Strategie entwickeln wollen. Für heutige Naturschutzbemühungen ist es entscheidend, ein Verständnis für die archäologische Geschichte der Tropenwälder und ihrer Manipulation in der Vergangenheit zu entwickeln. Das Wissen der einheimischen Bevölkerungsgruppen und die Kooperation mit ihnen sind dabei eine wertvolle Ressource. Indigene und traditionelle Völker – deren Produktions- und Wissenssysteme durch die archäologische Forschung nach und nach entschlüsselt werden – sollten als Teil der Lösung für eine nachhaltige Entwicklung der Tropenwälder betrachtet werden. Wichtig ist auch, archäologische Erkenntnisse in andere Disziplinen zu vermitteln und den interdisziplinären Austausch zu fördern: Nur so lässt sich ein besseres Verständnis für die tropischen Waldgebiete entwickeln, um sie damit letztlich wirksam zu schützen.

Literaturhinweise

Roberts, P.; Hunt, C.; Arroyo-Kalin, M.; Evans, D.; Boivin, N.

The deep human prehistory of global tropical forests and its relevance for modern conservation

Nature Plants 3, Article number 17093 (2017)

Roberts, P.; Perera, N.; Wedage, O.; Deraniyagala, S.; Perera, J.; Eregama, S.; Gledhill, A.; Petraglia, M. D.; Lee-Thorp, J. A.

Direct evidence for human reliance on rainforest resources in late Pleistocene Sri Lanka

Science 347 (6227), 1246–1249 (2015)

Roberts, P.; Boivin, N.; Lee-Thorp, J.; Petraglia, M.; Stock, J.

Tropical forests and the genus Homo

Evolutionary Anthropology 25 (6), 306–317 (2016)

Roberts, P.; Gaffney, D.; Lee-Thorp, J.; Summerhayes, G.

Persistent tropical foraging in the highlands of terminal Pleistocene/Holocene New Guinea

Nature Ecology & Evolution 1, Article number 0044 (2017)

Roberts, P.

Early human adaptation to Late Pleistocene-Holocene rainforests in South Asia
In: Tropical forest conservation: long-term processes of human evolution, cultural adaptations and consumption, 28–42 (Ed. Sanz, N.; Lewis, R. C.; Pulido Mata, J.; Connaughton, C.). UNESCO, Mexico City (2016)
Zur Redakteursansicht