Forschungsbericht 2017 - Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung

Koordination von Nahrungsaufnahme, Fortbewegung und Schlaf durch den lateralen Hypothalamus

Autoren
Korotkova, Tatiana
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung, Köln
Zusammenfassung
Die Koordination von Nahrungsaufnahme, Fortbewegung und Schlaf ist überlebenswichtig; deren Fehlfunktion ist ein Symptom vieler Ess- und Schlafstörungen. Wir haben festgestellt, dass eine Aktivierung der GABA-Zellen im lateralen Hypothalamus zum Aufwachen aus dem non-REM Schlaf und zu erhöhter Nahrungsaufnahme führt. Weiterhin haben wir den neuronalen Schaltkreis charakterisiert, der den präfrontalen Kortex mit dem lateralen Hypothalamus verbindet und die Nahrungssuche aktiviert. Dabei haben wir herausgefunden, dass Gamma-Oszillationen die funktionsselektive Aktivität der Zellen organisieren.

Nahrungssuche und -aufnahme sind für das Überleben essenziell. Pathologische Abweichungen von diesem Verhalten führen zu Essstörungen. Diese Krankheiten sind weit verbreitet, schwer zu behandeln und sehr gefährlich – Anorexia nervosa etwa hat die höchste Mortalitätsrate unter allen psychischen Erkrankungen. Um zu verstehen, wie das Essverhalten gesteuert wird und damit auch, wie gestörtes Essverhalten entstehen kann, muss man die neuronalen Mechanismen kennen, die der Nahrungssuche zugrunde liegen. Unser Forschungsziel ist es, zu verstehen, welche Komponenten und Antworten im Gehirn während verschiedener Phasen der Nahrungssuche und -aufnahme unabdingbar sind und wie eine Regulation im Gehirn die Nahrungsaufnahme modifizieren kann.

Wir untersuchen vor allem Schaltkreise im lateralen Hypothalamus, weil diese Region Fütterungsverhalten reguliert und, oft bilateral, mit vielen anderen Hirnregionen verbunden ist. Somit ist der laterale Hypothalamus in der Lage, metabolische Bedürfnisse sowie Umwelteinflüsse zu integrieren. Dort befinden sich mehrere Zellgruppen, unter anderem GABA, Orexin und andere neuronale Gruppen, die Nahrungsaufnahme, Schlaf-Wach-Zustand und Fortbewegung selektiv regulieren. Die Koordination dieser Verhaltensweisen ist lebenswichtig: Ausreichende Wachsamkeit etwa ermöglicht eine erfolgreiche Nahrungssuche, während Hyperaktivität dieses zielgerichtete Verhalten verhindert. Da die Zellen mit unterschiedlichen Funktionen im lateralen Hypothalamus nah beisammen liegen, war es früher nicht möglich, selektiv die Rolle von bestimmten Zellen im Verhalten zu untersuchen. Jetzt aber ermöglicht die Optogenetik eine gezielte, schnelle (im Millisekundenbereich) und selektive Kontrolle von neuronaler Aktivität in definierten Zellen und Schaltkreisen mittels Licht. Dafür werden sogenannte Opsine – lichtgesteuerte Ionenkanäle oder Pumpen – mithilfe der viralen Transfektion in bestimmte Marker-definierte Neuronen, etwa GABA-Zellen im lateralen Hypothalamus, eingebracht. Diese Zellen oder deren Projektionen werden dann mittels Licht selektiv aktiviert  bzw. gehemmt, während die Mäuse einem bestimmten Verhalten nachgehen. Damit  können wir kausal die Rolle dieser Zellen in neuronalen Schaltkreisen und im Verhalten bestimmen. Parallel dazu lässt sich mithilfe elektrophysiologischer Ableitungen oder Kalzium-Imaging die Aktivität dieser Zellen ableiten.

GABA-Zellen regulieren Fortbewegung, Aufwachen und Nahrungsaufnahme 

Wir haben festgestellt, dass sich die spontane Aktivität vieler Neuronen, einschließlich der GABA-Neuronen, im lateralen Hypothalamus (LH) während der Fortbewegung erhöht [1]. Ferner werden GABA-Zellen im lateralen Hypothalamus während des Aufwachens aus dem non-REM Schlaf aktiv, und selektive Aktivierung dieser Zellgruppe während  non-REM Schlaf führt zum Aufwachen [2]. In wachen Mäusen führt die optogenetische Aktivierung der GABA-Zellen im lateralen Hypothalamus zu erhöhter Nahrungsaufnahme – auch in Mäusen, die vor der Stimulation schon satt waren [3]. Eine Hemmung dieser Zellen mithilfe von inhibitorischem Opsin hingegen reduzierte die Nahrungsaufnahme sogar in hungrigen Mäusen [4]. Diese Zellen wurden abgeleitet und optogenetisch aktiviert, während sich die Mäuse in einer Umgebung mit Futter und Wasser bewegten. Weiterhin haben wir mittels elektrophysiologischer Ableitungen herausgefunden, dass die Aktivität vieler Zellen im lateralen Hypothalamus von der Verfügbarkeit von Nahrung abhängig ist: Es gibt nahrungsassoziierte Zellen, die nah am Nahrungsbereich aktiv sind sowie nicht-nahrungsassoziierte Zellen, die selektiv anderweitig aktiv sind. Optoaktivierung von LH-GABA-Zellen führt zur Aktivierung nahrungsassoziierten Zellen im lateralen Hypothalamus im Vergleich zu nicht-nahrungsassoziierten Zellen [3]. Wahrscheinlich ist eine solche Schaltung für das Umschalten zwischen verschiedenen Verhaltensweisen erforderlich, damit eine bestimmte Motivation die Führung übernimmt, also beispielweise das Essverhalten in den Mittelpunkt rücken kann.

Gamma-Oszillationen regulieren die Nahrungssuche

Es ist bekannt, dass die Nahrungsaufnahme von metabolischen Signalen, wie Leptin und Insulin – zusammengefasst in [5] – reguliert wird. In unserer komplexen Welt gibt es aber auch viele andere, externe Faktoren, die unseren Zustand beeinflussen und auch das Essverhalten ändern. Erfolgreiche Nahrungssuche erfordert bestimmte kognitive Leistungen, weil sie ein ziemlich komplexer Vorhang ist, bei dem man sich sehr gut konzentrieren und erinnern muss. Es ist bekannt, dass im Kortex die schnellen Netzwerk-Oszillationen, sogenannte Gamma-Oszillationen (schnelle Wellen mit 30 bis 100 Schwingungen pro Sekunde) wesentliche kognitive Funktionen wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und kognitive Flexibilität unterstützen. In unserer neuesten Studie haben wir gezeigt, dass der laterale Hypothalamus und eine seiner prominenten Input-Regionen – das laterale Septum – koordinierte Gamma-Oszillationen zeigen, die auch mit Gamma-Oszillationen im präfrontalen Kortex koordiniert sind. Diese Gamma-Oszillationen hatten eine hohe spektrale Leistung, wenn Mäuse aktive nach Nahrung suchten. Die Gamma-Frequenz-Stimulation der Eingänge in den lateralen Hypothalamus beschleunigte die Nahrungssuche, die Hemmung dieses Schaltkreises dagegen verlangsamte die Nahrungssuche. Gamma-Oszillationen organisieren die funktionsselektive Aktivität der Zellen im lateralen Hypothalamus: Während der Gamma-Oszillationen wurden nahrungsassoziierte Zellen getrennt von nicht-nahrungsassoziierten Zellen aktiviert. Weiterhin erhöhte eine Gamma-Synchronisierung die Leistung beim Nahrungssuchtest.

Zusammenfassend verspricht die Identifizierung von neuronalen Mechanismen, die Fütterungsverhalten, Schlaf-Wach-Rhythmus und Fortbewegung in Gesundheit und Pathologie regulieren und koordinieren, Einblicke in ganz verschiedene Fragen. Dazu zählen die grundlegenden Prinzipien neuronaler Kodierung, Mechanismen von grundlegenden Motivationsantrieben sowie Gründe von Schlaf- und Essstörungen, die von Anorexie bis zu Fettleibigkeit reichen.

Literaturhinweise

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Theta oscillations regulate speed of locomotion via hippocampus to lateral septum pathway
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Herrera, C.G.; Carus-Cadavieco, M.; Jego, S.; Ponomarenko, A.; Korotkova, T.; Adamantidis, A.
Hypothalamic feed-forward inhibition of thalamocortical network controls arousal and consciousness
Nature Neuroscience 19, 290-8 (2016)
Carus-Cadavieco, M.; Gorbati, M.; Ye, L.; Bender, F.; van der Veldt, S.; Kosse, C.; Börgers, C.; Lee, S.Y.; Ramakrishnan, C.; Hu, Y.; Denisova, N.; Ramm, F.; Volitaki, E.; Burdakov, D.; Deisseroth, K.; Ponomarenko, A.; Korotkova, T.
Gamma oscillations organize top-down signaling to hypothalamus and enable food seeking
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Jennings, J.,H.; Ung, R.L.; Resendez, S.,L.; Stamatakis, A.M.; Taylor, J.G.; Huang, J.; Veleta, K.; Kantak, P.,A.; Aita, M.; Shilling-Scrivo, K.; Ramakrishnan, C.; Deisseroth, K.; Otte S.; Stuber, G.D.

Visualizing hypothalamic network dynamics for appetitive and consummatory behaviors
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Ruud, J.; Steculorum, S.M.; Brüning, J.C.
Neuronal control of peripheral insulin sensitivity and glucose metabolism
Nature Communications 8,15259 (2017)
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