Forschungsbericht 2017 - Max-Planck-Institut für Astrophysik

Gravitationswellen und Licht: Verschmelzende Neutronensterne erzeugen Gold und Platin

Autoren
Anders Jerkstrand, Hans-Thomas Janka
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
Zusammenfassung
Am 17. August 2017 wurden erstmals zwei verschmelzende Neutronensterne durch ihr Gravitationswellensignal beobachtet. Nachfolgende Beobachtungen zeigten eine optische Emission, hervorgerufen durch den radioaktiven Zerfall von r-Prozess-Elementen. Die Modellierung der Lichtkurve und des Spektrums dieser sogenannten Kilonova belegen, dass diese Art von Sternkollisionen der kosmische Ursprung von schweren Elementen wie Gold und Platin sein kann.

Da sich die Gravitationswellenobservatorien seit zehn Jahren zunehmend dem Betriebszustand nähern, hat das Interesse an dem Verschmelzen von kompakten Objekten wie Neutronensternen und Schwarzen Löchern zugenommen. Diese exotischen Körper, die beim Zusammenbruch von massereichen Sternkernen entstehen, können sich in Doppelsystemen umkreisen. Dabei strahlen sie Gravitationswellen ab, nähern sich langsam einander an und verschmelzen schließlich – alles in Übereinstimmung mit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Obwohl dieser Prozess nie direkt beobachtet wurde, gingen einige Theorien davon aus, dass sogenannte kurze Gammastrahlenausbrüche von solchen Kollisionen herrühren könnten. Simulationen zeigten, dass bei dem Verschmelzen von Neutronensternen Material ausgestoßen wird. Auf Grund der vorhergesagten Dichte- und Temperaturbedingungen sollte in diesem Material die sogenannte r-Prozess-Nukleosynthese ablaufen. Hierbei fangen Atomkerne Neutronen in schneller Folge ein und wandeln sich zu den schwersten Elementen des Periodensystems wie Silber und Gold um.

Mit einer Reihe von Modellen und Theorien fehlte nur noch eines – die tatsächliche Beobachtung eines solchen Ereignisses. Dies änderte sich am 17. August 2017. An diesem Tag informierte das Gravitationswellenobservatorium LIGO die Teams aus dem Konsortium darüber, dass es das erste Gravitationswellensignal von zwei verschmelzenden Neutronensternen aufgefangen habe. Innerhalb weniger Stunden richtete unser Team optische Teleskope an vier Orten weltweit auf die angegebenen Koordinaten aus und entdeckte einen aufleuchtenden Himmelskörper. Es war  die erste Kilonova, also den ausgelösten Helligkeitsusbruch, bei der ausgestoßene radioaktive Trümmer aus dem Fusionsereignis beobachtet wurden. Die veränderliche Quelle mit der Bezeichnung AT2017gfo war so hell wie eine Supernova  und zeigte blaue Farben, was auf eine hohe Temperatur hindeutete. Im Laufe eines Tages erreichte sie die höchste Helligkeit, dann wurde sie schwächer und kühlte deutlich ab.

Durch die Anpassung von Modellen mit unterschiedlicher Masse, Energie und Zusammensetzung an die beobachtete Lichtkurve, konnte das Team eine Auswurfmasse von einigen Hundertstel einer Sonnenmasse ableiten, was etwa 1 % der Gesamtmasse der verschmelzenden Neutronensterne entspricht. Die  Geschwindigkeit des ausgestoßenen Materials betrug mehr als  60000 km/s, entsprechend  20 % der Lichtgeschwindigkeit. Diese Werte stimmen gut mit den Vorhersagen aus hydrodynamischen Simulationen überein – ein beeindruckender Erfolg für die Theorie der letzten 20 Jahre, bei deren Entwicklung das MPA in Garching eine führende Rolle spielte.

Die schnelle Entwicklung der Kilonova weist auf eine geringe Opazität hin: Das Licht interagierte nicht so stark mit der Materie, war also durchsichtiger als von den meisten Modellen vorhergesagt.  Diese geringe Opazität weist eher auf leichtere r-Prozess-Elemente hin und dies wiederum liefert Hinweise auf die Prozesse, durch die Material ausgestoßen wird. So könnte das Material direkt bei dem Zusammenprall der beiden Neutronensterne von deren Oberflächen  herausgequetscht worden sein. Möglicherweise stammen sie aber auch von einer umgebenden Akkretionsscheibe, die dann durch den starken Strahlungsdruck weggeblasen wurde.

Die Spektren der veränderlichen Quelle wiesen breite und diffuse Signaturen auf, deren Herkunft noch nicht vollständig bekannt ist. Dennoch konnten zwei leichte r-Prozess-Elemente nachgewiesen werden, Cäsium und Tellur. Dies würde auch zu der Opazität der Lichtkurve passen. Derzeit laufen weitere Arbeiten zur Analyse der Spektren sowie Vorbereitungen für die zukünftig zu erwartenden Gravitationswellenmessungen von LIGO und dessen Pendant in Italien Virgo. Damit beginnt eine goldene Ära für die Erforschung von Neutronensternverschmelzungen in doppelter Hinsicht. Zum einen konnten die Astronomen einen wichtigen Meilenstein erreichen und einen möglichen Entstehungsort für mehr als die Hälfte aller Elemente im Periodensystem direkt beobachten. Zum anderen erwies sich mit dieser Beobachtung die Theorie der kurzen Gammastrahlenausbrüche als korrekt – zwei Sekunden nach dem Gravitationswellensignal detektierten die Weltraumobservatorien Fermi und INTEGRAL einen kurzen Gammastrahlenausbruch. Er deutet darauf hin, dass die beiden Neutronensterne zu einem Schwarzen Loch verschmolzen sind. Die Zeitverzögerung von zwei Sekunden sowie die Art der Gammastrahlung liefern wichtige neue Informationen, um die Entstehung von Schwarzen Löchern, das Verhalten von Materie bei extremen Dichten und die Bildung einer Kilonova besser zu verstehen.

Literaturhinweise

S.J. Smartt, T.-W. Chen, A. Jerkstrand et al.
A kilonova as the electromagnetic counterpart to a gravitational wave source
Nature 551, 75 (2017)
V. Savchenko et al. (incl. Anders Jerkstrand)
INTEGRAL detection of the first prompt gamma-ray signal coincident with the gravitational wave event GW170817.
Astrophys. J. Lett. 848, L15 (2017)
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