Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Standort Stuttgart

Herstellung von hocheffizienten Nanostrukturen aus kristallinem Silizium bei niedrigen Temperaturen, katalysiert durch Metalle: Die entscheidende Rolle der Grenzflächenthermodynamik

Autoren
Wang, Zumin; Jeurgens, Lars P. H.; Mittemeijer, Eric J.
Abteilungen
Abteilung Mittemeijer, Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Stuttgart (vormals Max-Planck-Institut für Metallforschung).
Zusammenfassung
Metalle können helfen Halbleiter bei niedrigen Temperaturen von der ungeordneten (amorphen) in eine geordnete (kristalline) Form umzuwandeln. Auf Basis der Grenzflächenthermodynamik wurde ein grundlegendes und quantitatives Modellverständnis der zugrundeliegenden Mechanismen dieser sogenannten metallinduzierten Kristallisation (MIK) entwickelt. Diese neuen Erkenntnisse können dazu beitragen, Solarzellen aus kristallinem Si bei sehr niedrigen Temperaturen (< 200 ºC) auf billigen, leichten und flexiblen Materialien wie Glas, Kunststoff oder gar Papier herzustellen.

Einführung

Laut dem Energiekonzept, das vor kurzem von der deutschen Regierung genehmigt wurde, soll der Anteil erneuerbare Energien an der Stromversorgung (z.B. aus Sonnenlicht und Wind) bis zum Jahre 2020 auf 35% gesteigert werden und bis zum Jahre 2050 sogar auf 80% [1]. Diese ehrgeizigen Ziele erfordern eine ständige Erhöhung des Energie-Wirkungsgrades und eine weitere Senkung der Preise für Photovoltaik-Anlagen.

Kristallines Silizium als Dünnschicht ist eines der vielversprechendsten Materialien zur Herstellung von billigen, hocheffizienten Dünnschichtsolarzellen und Photovoltaikanlagen. Allerdings sind die Si-Atome nicht periodisch in einem Kristallgitter angeordnet, falls die Si-Dünnschicht während der Herstellung wie üblich bei Temperaturen unter 700 ºC abgeschieden wird. Dieses amorphe Silizium (a-Si) hat einen deutlich geringeren Wirkungsgrad für die Umwandlung von Sonnenlicht in Strom als kristallines Si (c-Si). Außerdem nimmt der Wirkungsgrad von Solarzellen aus a-Si bei ständiger Lichteinstrahlung immer weiter ab, was für Solarzellen aus c-Si nicht der Fall ist.

Die bei der Herstellung von Siliziumschichten erwünschte Umwandlung vom amorphen in den kristallinen Zustand (d.h. die Kristallisation von a-Si) erfordert hohe Verarbeitungstemperaturen (≈700 ºC), was zu einer erheblichen Steigerung der Produktionskosten führt. Zudem ist die Anwendung solch hoher Verarbeitungstemperaturen unvereinbar mit dem Einsatz von hitzeempfindlichen Polymersubstraten, welche für die Herstellung von kostengünstigen, leichten und flexiblen Photovoltaikanlagen benötigt werden. Die maximal zulässigen Verarbeitungstemperaturen für kommerziell erhältliche Polymersubstrate liegen im Bereich von 150 ºC bis 350 ºC (siehe Abb. 1 links).

In den letzten Jahren sind insbesondere zwei Herstellungsverfahren für die Kristallisation von a-Si bei solch niedrigen Temperaturen (< 400 ºC) betrachtet worden. Erstens kann die Kristallisation von amorphen Si-Dünnschichten bei relativ niedrigen Temperaturen durch Bestrahlung mit einem Kurzpulslaser herbeigeführt werden, was in der Regel über ein lokales Aufschmelzen und eine anschließende sequentielle laterale Erstarrung der Si-Oberflächenschmelze abläuft. Als große Nachteile dieser laserinduzierten Kristallisationsprozesse gelten allgemein die hohen Herstellungskosten, die hohe Prozesskomplexität und die schlechte Uniformität des gelaserten Materials. Zweitens kann die Kristallisation von a-Si bei relativ niedrigen Temperaturen durch das Kontaktieren mit einem Metall wie Al, Ni, Cu oder Au herbeigeführt werden. Dieser Prozess wird gemeinhin als metallinduzierte Kristallisation (MIK) bezeichnet.

Wie in Abbildung 1 dargestellt, liegen die metallinduzierten Kristallisationstemperaturen von a-Si, je nach Art des katalysierenden Metalls, im Bereich von 150 ºC bis 500 ºC [2]. Eine Kristallisationstemperatur von nur 150 ºC (wie für Kontakte zwischen a-Si und Al-Metall beobachtet; vgl. Abb. 1) ermöglicht die Verwendung der meisten Polymersubstrate. Im Vergleich zu laserinduzierten Kristallisationsprozessen stellt die MIK einen viel einfacheren und wirtschaftlicheren Ansatz zur Herstellung von c-Si bei niedrigen Temperaturen dar, der sich außerdem leichter im industriellen Maßstab in die aktuellen Halbleiter-Herstellungsverfahren integrieren lässt.

Vor diesem Hintergrund ist ein umfassendes Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen der metallinduzierten Kristallisation von entscheidender Bedeutung für die gezielte Anpassung der Kristallisationstemperatur von a-Si-Schichten in der Herstellung von Dünnschichtphotovoltaikanlagen. Dieser Beitrag bietet nicht nur grundlegende Einblicke in den Prozess der metallinduzierten Kristallisation, sondern zeigt auch, wie Ober- und Grenzflächenenergien die Diffusion, die Benetzung und die Phasenumwandlungen in nano-skaligen Systemen beeinflussen können.

Im Folgenden geben wir einen Überblick über unsere bisherige Entwicklung eines einheitlichen und grundlegenden Modells zum Verständnis des MIK-Prozesses in verschiedenen Metall/Halbleiter-Systemen. Die Anwendung des entwickelten Modells auf die Al-induzierte Kristallisation von a-Si zeigt, dass die Kristallisationstemperatur von a-Si über einen weiten Temperaturbereich von 700 ºC bis 150 ºC eingestellt werden kann. Diese neuen Erkenntnisse können dazu beitragen, Solarzellen und andere elektronische Bauteile (wie aufrollbare Bildschirme) auf billigen Substraten, wie Glas, oder leichten und flexiblen Materialien, wie Kunststoff oder gar Papier, herzustellen. Solch umfassendes Wissen des MIK-Prozesses könnte sogar zu einer neuen Familie von Methoden zur Herstellung von hocheffizienten kristallinen Silizium-Dünnschichten und Nanostrukturen auf flexiblen Polymersubstraten führen.

II. Abschwächung der kovalenten Bindung des Siliziums an der Grenzfläche zum Metall: die freien Si-Grenzflächenatome

Die Natur ist stets bestrebt, a-Si-Bulkvolumen auszukristallisieren, weil dies zu einer Senkung der Gesamtenergie des Systems führt. Allerdings müssen zuerst kinetische Barrieren (Aktivierungsenergien) überwunden werden, um einzelne a-Si-Atome in winzige Keime aus c-Si umzuordnen, welche die Kristallisation einleiten. Die Keimbildung von c-Si in einem (Bulk-)Volumen aus a-Si wird durch die starken kovalenten Bindungen zwischen den Si-Atomen behindert. Folglich kann die Aktivierungsenergie für die Keimbildung von c-Si nur bei Temperaturen von etwa 700 ºC aufgebracht (d.h. thermisch aktiviert) werden. An der Grenzfläche zu einem Metall werden die starken kovalenten Bindungen in a-Si jedoch geschwächt [3]. Diese sogenannten „freien“ Si-Grenzflächenatome können sich schon bei viel niedrigeren Temperaturen in winzige Keime aus c-Si umformen und so die Kristallisation einleiten. Die elektronischen Wechselwirkungen, die diese Abschwächung der kovalenten Si-Bindungen an der Grenzfläche zum Metall bewirken, haben nur eine sehr geringe Reichweite. Die Dicke der Grenzschicht aus „freien“ Si-Atomen beträgt schätzungsweise nur etwa 4,4 Å (~ 2 Monolagen Si). Diese „freien“ Si-Grenzflächenatome könnten nun folgendermaßen den Kristallisationsprozess bei niedrigen Temperaturen katalysieren:

(i)  die Keimbildung von c-Si und folglich der Kristallisationsprozess, werden direkt an der Grenzfläche zum Metall eingeleitet.

(ii) die „freien“ Si-Grenzflächenatome diffundieren in die Grenzflächen zwischen benachbarten Kristallkörnern der kontaktierenden Metallschicht hinein (Benetzung) und bilden dort winzige Keime aus c-Si, welche die Kristallisation einleiten.

Die von der Kristallisation herbeigeführten Änderungen der Bulk- und Grenflächenenergien in dem System, das aus dem a-Si-Halbleiter und der kontaktierenden Al-Metallschicht besteht, bestimmen letztendlich, ob Ablauf (i) und/oder (ii) thermodynamisch möglich und bevorzugt ist (siehe Abschnitt III).

III. Thermodynamik der metallinduzierten Kristallisation

III.1 Benetzung der Metallkorngrenzen durch freie Si-Grenzflächenatome

Die Metallschicht, die abgeschieden wird, um die Kristallisation von a-Si bei niedrigen Temperaturen einzuleiten, ist in der Regel polykristallin und enthält daher viele Korngrenzen (KG; die Grenzflächen zwischen benachbarten Kristallkörnern). Diese KG können von „freien“ Si-Grenzflächenatomen aus der kontaktierenden a-Si-Schicht benetzt werden (siehe Abb. 2 und Schritt 1 in Abb. 3), falls die Gesamtenergie des Systems durch die Neubildung von jeweils zwei a-Si/Metall-Grenzflächen pro ursprüngliche Metall-KG gesenkt wird. Unsere thermodynamischen Modellberechnungen haben gezeigt, dass die Benetzung von (Großwinkel-) Metall-KG durch „freie“ Si-Grenzflächenatome für mehrere Metall/Halbleitersysteme (z.B. Al/a-Ge, Au/a-Si and Ag/a-Si) tatsächlich energetisch begünstigt ist [4]. Erst vor kurzem sind für das beispielhafte System Al/a-Si diese theoretischen Vorhersagen durch in-situ Beobachtungen mittels energiegefilterter Transmissionselektronenmikroskopie erstmals direkt experimentell bestätigt worden [5]: siehe Abbildung 2.

III.2 Die Keimbildung des Kristallisationsprozesses

Die Grenzflächenenergie zwischen einem kristallinen und einem amorphen Festkörper ist in der Regel niedriger als die Grenzflächenenergie zwischen den betreffenden kristallinen Festkörpern [6]. Demzufolge kann eine amorphe Siliziumschicht an einer Grenzfläche und/oder Oberfläche thermodynamisch stabil sein, solange die höhere Energie des Bulkvolumens der amorphen Si-Phase (im Vergleich zu der kristallinen Si-Phase) von der niedrigeren Summe der beteiligten Grenzflächen- und/oder Oberflächenenergien überkompensiert wird. Wie durch die Grenzflächenthermodynamik vorhergesagt [4], führt die Keimbildung von c-Si, sowohl an a-Si/Metall-Grenzflächen als auch an von Si-Atomen benetzten Metall-KG, tatsächlich zu erheblichen Energieeinbußen durch die kristallisationsbedingten Änderungen der Grenzflächenstruktur. Nur oberhalb einer bestimmten kritischen Schichtdicke wiegt die durch die Kristallisation bewirkte Senkung der Energie des Si-Bulkvolumes den durch die Bildung kristalliner/kristalliner Grenzflächen verursachten Energieanstieg auf. Die Kristallisation von c-Si wird oberhalb dieser kritischen a-Si-Schichtdicke eingeleitet, sobald die Temperatur hoch genug ist, um eine thermisch aktivierte Keimbildung von c-Si aus „freien“ Si-Atomen zu ermöglichen.

Die kritische Schichtdicke für die Keimbildung von c-Si an einer Al/a-Si-Grenzfläche bei unterschiedlichen Temperaturen kann durch Abgleichung der freigesetzten Kristallisationsenergie mit der Zunahme der Grenzflächenenergie berechnet werden. Die Schicht aus „freien“ Si-Atomen an der Al/a-Si-Grenzfläche ist nur etwa 2 Monolagen (ML) dick (siehe oben). Daher muss die kritische Schichtdicke kleiner oder gleich 2 ML sein, damit die Kristallisation an der Al/a-Si Grenzfläche bei einer Temperatur weit unterhalb der Bulk-Kristallisationstemperatur von a-Si (von etwa 700 ºC; siehe Abschnitt II) aktiviert werden kann. Die theoretischen Werte für die kritische Schichtdicke, die durch thermodynamische Berechnungen auf der Grundlage des „macroscopic-atom-approach“ ermittelt wurden [6], nehmen mit zunehmender Temperatur ab, sind aber immer noch höher als 2 ML bei T = 400 ºC [4]. Daher kann die Kristallisation bei niedrigen Temperaturen nicht an der a-Si/Al-Grenzfläche eingeleitet werden.

Eine andere Möglichkeit besteht in der Einleitung der Kristallisation von a-Si bei niedrigen Temperaturen an von „freien“ Si-Atomen benetzten Al-KG (vgl. obige Diskussion und Schritt 2 in Abb. 3). Die entsprechenden Werte der kritischen Schichtdicke für die Keimbildung von c-Si an benetzten Al-KG können sinngemäß (siehe oben) als Funktion der Temperatur berechnet werden. Dazu wird die freigesetzte Kristallisationsenergie mit der durch die Kristallisation herbeigeführten Zunahme der Grenzflächenenergie (d.h. die zwei ursprünglichen a-Si/c-Al-Grenzflächen werden durch zwei c-Si/c-Al-Grenzflächen ersetzt) bei verschiedenen Temperaturen ausbalanciert. An einer Al-KG ist der benetzende a-Si-Film zwischen zwei kristallinen Al-Körnern verankert. Folglich ist die entsprechende maximale Dicke der Schicht von „freien“ Si-Atomen an der Al-KG etwa doppelt so groß wie an der Al/a-Si-Grenzfläche (d.h. 2×2 = 4 ML). Die kritische Schichtdicke für die Kristallisation von a-Si an benetzten Al-KG muss also kleiner oder gleich 4 ML sein, damit die Kristallisation bei einer Temperatur weit unterhalb der Bulk-Kristallisationstemperatur für a-Si anfangen kann. Der berechnete Wert der kritischen Schichtdicke für die Kristallisation von a-Si an benetzten Al-KG nimmt auch mit steigender Temperatur ab und ist für T < 140 ºC kleiner als 4 ML [4].

Daher ist die minimal erforderliche Verarbeitungstemperatur zur Einleitung der Kristallisation von a-Si (katalysiert durch „freie“ Si-Atome) viel niedriger an benetzten Al-KG (T ≈ 140 ºC) als an den ursprünglichen a-Si/Al-Grenzflächen (T > 400°C). Eigene Experimente haben eindeutig bestätigt [5], dass die Kristallisation von a-Si bei solch niedrigen Temperaturen ausschließlich an den Al-KG in der kontaktierenden Al-Schicht eingeleitet wird (und nicht an der ursprünglichen Al/a-Si-Grenzfläche). Abbildung 3 stellt die Abläufe des MIK-Prozesses von a-Si über die Benetzung der KG in einer kontaktierenden Al-Schicht schematisch dar.

Ähnliche thermodynamische Modellberechnungen (wie für a-Si/Al-Doppelschichten; siehe oben) sind auch für andere Systeme von amorphen Halbleitern und kontaktierenden Metallschichten gemacht worden. Zum Beispiel sollte, laut unseren Modellvorhersagen, für Al/a-Ge-Doppelschichten bei T ≥ 50°C die Kristallisation von a-Ge sowohl an den Al/a-Ge Grenzflächen als auch an den Al-KG ablaufen. Auch diese Modellvorhersage ist in sehr guter Übereinstimmung mit entsprechenden experimentellen Beobachtungen [4]. Für Ag/a-Si-Doppelschichten sollte, laut unseren Modellberechnungen, die Kristallisation von a-Si bei T ≥ 400°C ausschließlich an den Ag-KG ablaufen, wie auch in Experimenten beobachtet wurde [7].

III.3 Kontinuierliche Kristallisation und Schichtaustausch

Für die Al/a-Si-Schichtsysteme kann die Kristallisation von a-Si bei niedrigen Temperaturen (T < 300°C) nur an von „freien“ Si-Atomen benetzten Al-KG herbeigeführt werden (siehe Abschnitt 3.2). Mit der Keimbildung von c-Si an benetzten Al-KG werden zwei ursprüngliche c-Al/a-Si-Grenzflächen durch zwei c-Al/c-Si-Grenzflächen ersetzt. Für das Fortschreiten der Kristallisation von a-Si müssen weitere „freie“ Si-Grenzflächenatome von der a-Si-Schicht (an der Al/a-Si-Grenzfläche) an die neu gebildete c-Al/c-Si Grenzfläche in der Al-Schicht diffundieren, um so das Weiterwachsen von bereits vorhandenen c-Si-Keimen zu ermöglichen. Unsere thermodynamischen Berechnungen haben gezeigt, dass diese kontinuierliche Benetzung von c-Al/c-Si-Grenzflächen durch „freie“ Si-Atome, und anschließendes laterales Wachstum von c-Si, tatsächlich thermodynamisch begünstigt ist; dahingegen ist die Bildung von neuen c-Si Keimen an bereits mit c-Si bedeckten Al-KG thermodynamisch nicht möglich [4].

Die kontinuierliche Eindiffusion und Kristallisation (Kornwachstum) von Si innerhalb der Al-KG führt letztendlich zu einem Schichtaustausch der Al- und Si-Schichten, da die Al-Atome unter Einfluss der immer weiter zunehmenden Druckspannungen in der Al-Schicht (verursacht durch das Kornwachstum von c-Si an den Al-KG) zu den verbliebenen Freiräumen in der a-Si-Schicht diffundieren. Der letztendliche Austausch der beteiligten Al- and Si-Schichten nach weit fortgeschrittener MIK in Al/a-Si-Schichtsystemen ist auch experimentell bestätigt worden [8]. Der MIK-Prozess im Metall/Halbleiter-System Al/a-Ge führt nicht zu solch einem Austausch der beteiligten Al- und Ge-Schichten, da hier, wie oben erwähnt, die Kristallisation bei niedrigen Temperaturen sowohl an benetzten Al-KG als auch an der ursprünglichen Al/a-Ge-Grenzfläche abläuft (dies ist auch in guter Übereinstimmung mit experimentellen Beobachtungen).

IV. Anwendung I:

Die von ultradünnen Al-Schichten induzierte Kristallisation: Beherrschung der Kristallisationstemperatur von amorphem Silizium

Unsere theoretischen Vorhersagen und experimentellen Bestätigungen haben gezeigt, dass die unterschiedlichen MIK-Temperaturen und MIK-Abläufe für unterschiedliche Metall/Halbleiter-Systeme mithilfe der Thermodynamik von Grenzflächen vollständig erklärt werden können. Dies bedeutet, dass es grundsätzlich möglich ist, die MIK-Temperaturen und MIK-Abläufe durch gezielte Änderungen der beteiligten Grenzflächenenergiebeiträge zu steuern. Diese grundlegende Idee haben wir für die MIK von a-Si-Dünnschichten mittels einer kontrollierten Schichtdickevariation der kontaktierenden ultradünnen Al-Deckschicht realisiert [9]. Liegt nämlich die Dicke (hAl) der Al-Deckschicht (mit einer ausgeprägten säulenförmigen Kornstruktur) in der gleichen Größenordnung wie die Dicke des benetzenden a-Si-Films an der Al-KG, dann sollte für die Berechnung der kritischen Schichtdicke (als Funktion von T) nicht nur das Ersetzen von zwei a-Si/c-Al-Grenzflächen durch zwei c-Si/c-Al-Grenzflächen (siehe Abschnitt III.2), sondern auch die herbeigeführte Bildung einer kristallinen c-Si-Oberfläche sowie einer a-Si/c-Si-Grenzfläche berücksichtigt werden (vgl. Abb. 4a). Die so berechnete kritische Schichtdicke ist als Funktion sowohl der Temperatur als auch der Al-Schichtdicke in einem Konturplot dargestellt (siehe Abb. 4b). Wie aus der bisherigen Diskussion hervorgegangen ist (siehe Abschnitt III.2), kann die Kristallisation von a-Si bei niedrigen Temperaturen nur an benetzten Al-KG eingeleitet werden, wenn die berechnete kritische Dicke kleiner oder gleich 4 ML ist. Folglich repräsentiert die 4-ML-Linie in Abbildung 4b die niedrigste mögliche Temperatur für die Kristallisation von a-Si. Die dazugehörige Kristallisationstemperatur liegt im Bereich von 150 – 200 ºC für hAl > 20 nm und nimmt, für hAl < 20 nm, mit abnehmender Al-Schichtdicke stark zu.

Auch diese theoretischen Vorhersagen wurden von uns experimentell mittels spektroskopischer Ellipsometrie unter Ultrahochvakuum-Bedingungen bestätigt, indem die Kristallisationstemperatur von a-Si für unterschiedliche Al-Schichtdicken in Echtzeit bestimmt wurde [9]. Tatsächlich reagiert die Kristallisationstemperatur von a-Si höchstempfindlich auf die Dicke der Al-Deckschicht im Schickdickenbereich von 1 nm bis 20 nm (siehe Abb. 4b): Die experimentell ermittelte Kristallisationstemperatur nimmt mit zunehmender Al-Schichtdicke von etwa 700 ºC bei hAl < 1 nm bis 180 ºC bei hAl = 20 nm ab.

V. Anwendung II:

Nutzung des Al-Korngrenzengefüges als Schablone für das Wachstum von c-Si-Nanostrukturen bei niedrigen Temperaturen

Wie oben gezeigt wurde, findet die Kristallisation von a-Si in a-Si/Al-Doppelschichten bei niedrigen Temperaturen gezielt an Al-KG statt (siehe Abschnitte II, III, IV). Demzufolge sollte die resultierende Morphologie der auskristallisierten c-Si-Phase dem ursprünglichen Gefüge der Korngrenzen in der Al-Schicht ähneln. Unsere bisherigen MIK-Versuche an c-Al/a-Si-Doppelschichten haben gezeigt, dass die Morphologie der herauskristallisierten c-Si-Phase das Gefüge der säulenförmigen Al-KG in der katalytischen Al-Schicht tatsächlich genauestens widerspiegelt [5]. Nach dem Entfernen des Al durch chemisches Ätzen der auskristallisierten c-Al/a-Si-Doppelschicht bleibt eine Struktur von ultradünnen Mauern aus c-Si übrig (siehe Abb. 5). Dies bedeutet, dass die erzeugte Nanostruktur aus c-Si mechanisch stabil ist. Chemische Analysen mittels Auger-Elektronenspektroskopie haben bestätigt, dass die Nanostruktur aus reinem Silizium besteht, frei von jeglichen Al-Resten.

Wir schließen daher, dass das Gefüge von Al-KG in kontaktierten, nanokristallinen Metallschichten, bei niedrigen Temperaturen (bis zu 150 ºC), als Schablone für die kontrollierte Herstellung von gut definierten c-Si-Nanostrukturen mit sehr hohen Oberflächen-Volumen-Verhältnissen verwendet werden kann. Die Industrie hat bereits reichlich Erfahrung mit dem Wachsen, Strukturieren und Ätzen von metallischen Dünnschichten mit einstellbarer Korngrenzenstruktur und Korngröße. Diese Fachkenntnisse können gut genützt werden, um die Morphologie der obengenannten c-Si-Nanostrukturen genauestens einzustellen.

Die niedrige Verarbeitungstemperatur für das MIK-Verfahren erlaubt die Herstellung von c-Si-Nanostrukturen und Dünnschichtsolarzellen auf kostengünstigen, flexiblen, aber hitzeempfindlichen Kunststoffsubstraten. Komplexe zusätzliche Herstellungsschritte, die bisher angewendet wurden, um vorab auskristallisierte c-Si-Dünnschichten auf hitzeempfindliche Substrate zu übertragen, sind somit nicht mehr erforderlich.

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