Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion

Einblicke in das faszinierende Kraftwerk der Natur: das wasserspaltende System der Photosynthese

Insight into Nature's fascinating power station: the water-splitting system of photosynthesis

Autoren
Ames, W.; Pantazis, D. A.; Neese, F.
Abteilungen
Max-Planck-Institut für bioanorganische Chemie, Mülheim an der Ruhr
Zusammenfassung
Die Photosynthese wandelt Sonnenlicht in speicherbare chemische Energie um und erhält so das Leben auf unserem Planeten. Zu verstehen wie die Natur dies erreicht, ist eine der größten Herausforderungen für die Wissenschaft – und von zentraler Bedeutung für unsere zukünftige Energieversorgung. Leider ist selbst die Struktur der Wasseroxidase, der zentralen Komponente der Photosynthese, bislang nicht eindeutig geklärt. Durch die Kombination von spektroskopischen und quantenchemischen Methoden wurden nun tiefe Einblicke in diesen zentralen Prozess erreicht.
Summary
The unique process of photosynthesis, which converts sunlight into storable chemical energy, sustains life on Earth. To understand how Nature achieves this feat is one of the greatest challenges for science – and of great importance for our future energy supply. Unfortunately even the structure of the water oxidase, one of the principal components of photosynthesis, has not yet been resolved unambiguously. By combining spectroscopy and quantum chemistry deep insight into this central process could be attained.

Der Motor der Photosynthese

Photosynthetische Organismen, wie z.B. die grünen Pflanzen, fangen das Sonnenlicht ein und wandeln es in chemische Energie (in Form von Kohlenwasserstoffverbindungen) um. In der Tat wird durch die Photosynthese das Leben, so wie wir es kennen, erst ermöglicht: es ist die Photosynthese, die die Synthese der grundlegenden chemischen Bausteine für alle Lebewesen sowie die Produktion des atmosphärischen Sauerstoffs treibt.

Im Herzen des photosynthetischen Apparates findet man das Mehrkomponenten-Enzym Photosystem II (Abb. 1). In diesem hochkomplexen Enzym, welches sich in den Membranen der pflanzlichen Chloroplasten befindet, wird die Sonnenenergie zur Spaltung von Wasser in molekularen Sauerstoff, Protonen und Elektronen genutzt. Dies liefert die Energie zur anschließenden Synthese von Kohlenwasserstoffen [1]. Der „Motor“ des PS-II-Kraftwerks ist der Sauerstoff-entwickelnde Komplex (oxygen evolving complex, OEC): die funktionale Einheit zur Wasserspaltung [2]. Der OEC setzt sich aus einem Cluster von anorganischen Elementen mit noch immer ungewisser räumlicher Struktur zusammen. Bekannt ist aber, dass der wasserspaltende Cluster vier durch oxo-Anionen verbrückte Manganionen sowie ein Kalzium- und ein Chlorid-Ion enthält (Mn4OxCaCl), die alle für die ordnungsgemäße Funktion des Clusters essentiell sind.

Die Wasseroxidation verläuft über einen komplizierten, mehrstufigen Mechanismus, in dem mindestens fünf Zwischenstufen experimentell charakterisiert werden konnten. Man spricht von den „S-Zuständen“ des sogenannten Kok-Zyklus (Abb. 2). Die Umwandlung der einzelnen S-Zustände ineinander wird durch die Absorption je eines Photons durch das Reaktionszentrum initiiert. Dabei wird durch einen komplizierten Mechanismus der OEC-Cluster immer weiter oxidiert, d.h. er verliert in jedem Schritt Elektronen, welche schlussendlich aus den Substrat-Wassermolekülen entfernt werden. Zur Erhaltung der Ladungsneutralität werden auch Protonen im Kok-Zyklus abgegeben. Mit dem Erreichen des S4-Zustandes im OEC ist die Wasseroxidation abgeschlossen und molekularer Sauerstoff wird freigesetzt. Die dem Wasser entzogenen Elektronen dienen später in den Dunkelreaktionen der Photosynthese dazu, CO2 in energiereiche Zuckermoleküle umzuwandeln.

Die Photosynthese ist die Quelle für die überwältigende Mehrheit des atmosphärischen Sauerstoffs auf der Erde. Der Prozess, der Lichtenergie unter Verbrauch von im Überfluss vorhandenen Wasser und CO2 in Sauerstoff und energiereiche organische Moleküle umwandelt, stellt die ideale „grüne“ Energiegewinnungschemie dar. Die Photosynthese ist somit eine Inspiration für die Entwicklung einer Technologie mit dem Potenzial einer grundlegenden Umstellung der globalen Wirtschaft sowie auch des Einflusses unserer Zivilisation auf die Umwelt (erhöhte CO2-Freisetzung). Wenn es gelänge, lichtgetriebene Wasseroxidations­prozesse technisch effizient und kostengünstig zu gestalten, wäre dies der erste wichtige Schritt zu einer grundlegend neuen Energietechnologie. Die dabei „gewonnenen“ Elektronen könnten zur Produktion von molekularem Wasserstoff verwendet werden, welcher entweder zur Energiegewinnung wieder verbrannt wird oder zur Aktivierung von CO2 unter Bildung von Methanol oder organischen Polyalkoholen dienen könnte. Somit wäre ein chemischer Zyklus geschlossen, durch den die Menschheit mit sauberer Energie versorgt werden könnte.

Leider gelingt es chemisch noch immer nicht, die Prozesse auch nur annähernd so effizient zu gestalten, wie die Natur es vormacht. Es ist eine zentrale Motivation der Forschung am Institut, die Chemie der Energieerzeugung und Umwandlung im molekularen Detail zu verstehen, um somit Anstöße für zukünftige, skalierbare und saubere großtechnische Prozesse zu geben. Dabei kann es nicht das Ziel sein, Katalysatoren von vergleichbarer Komplexität – wie es der OEC-Cluster in PS II darstellt – zu synthetisieren. Vielmehr muss es gelingen, die Essenz der elementaren chemischen Vorgänge zu extrahieren und in einfacher, robuster und kostengünstiger Form auf die Chemie homogener und heterogener Systeme zu übertragen. Dies wird das zentrale Anliegen des zukünftigen MPIs für chemische Energieumwandlung sein, zu dem das derzeitige Institut den Grundstock liefert.

Eine effektive Kombination

Um den Mechanismus der Wasserspaltung im Detail zu verstehen, muss zuerst die Struktur des OEC auf atomarer Ebene verstanden werden. Traditionell wäre hierfür die Röntgenstrukturanalyse das favorisierte Werkzeug. Im Falle des OEC stößt diese Technik aber bisher an ihre Grenzen, und es ist daher trotz intensiver Bemühungen noch nicht gelungen, ein akkurates Bild des OEC-Clusters und seiner Umgebung zu gewinnen (siehe Abb. 1). Da die S-Zustände inhärent instabil sind, müssten auch kristallographische „Schnappschüsse“ aufgenommen werden, welche den verschiedenen Zwischenstufen entsprechen. Solche detaillierten Strukturinformationen vom OEC zu erhalten liegt aber in weiter Ferne. Daher bieten sich spektroskopische Techniken an, mit denen man für einige Zustände Momentaufnahmen des OECs während seiner Arbeit aufnehmen kann. Speziell die Elektronen-Paramagnetische Resonanz (EPR), die Elektron-Kernspin-Doppelresonanz (ENDOR) sowie die Röntgenabsorptions-Spektroskopie (XAS) haben Informationen über die geometrische und elektronische Struktur der zwei wichtigen Zustände des Kok-Zyklus geliefert: S0 und S2 [3].

Das Hauptproblem liegt bisher daran, die spektroskopischen Daten auch korrekt und vollständig zu interpretieren. Bei Systemen vom Komplexitätsgrad des OECs ist die Übersetzung von spektroskopischen in Strukturinformationen eine besonders große Herausforderung. An dieser Stelle kommen die modernen Verfahren der Quantenchemie ins Spiel. Durch die – auch am MPI vorangetriebenen - Entwicklungen der letzten Jahre wird es möglich, dieses zentrale Zukunftsproblem von einem neuen Blickwinkel anzugehen (Abb. 3).

Dank neuer Algorithmen und moderner Computersysteme können die spektroskopischen Eigenschaften selbst solch komplexer Systeme wie dem OEC aus ersten physikalischen Prinzipien vorhergesagt werden. Somit wird ein direktes Wechselspiel zwischen Theorie und Experiment und schlussendlich eine korrekte Interpretation der experimentellen Daten erst möglich [4]. Man erhält dadurch „Ankerpunkte“ in der Analyse des Reaktionsmechanismus, welche dann durch theoretische Berechnung der dazwischenliegenden, experimentell nicht zugänglichen, Zwischenstufen verknüpft werden können. Die somit experimentell validierten Berechnungen liefern hochgenaue Bilder und ein tiefgehendes Verständnis der im Herzen der Natur ablaufenden chemischen Vorgänge.

Neue Werkzeuge für die moderne Forschung

Die Vorhersage von spektroskopischen Parametern, wie z.B. den Hyperfein-Kopplungskonstanten (HFC), stellt den Theoretiker vor große Herausforderungen. Als Teil unserer Anstrengungen, den OEC zu modellieren, haben wir kürzlich einen neuen theoretischen Ansatz entwickelt, der zum ersten Mal die exakte und konsequente Berechnung von HFC für Metallcluster von beliebiger Form und Zusammensetzung erlaubt [5]. Diese neue Methode nutzt symmetriegebrochene Dichtefunktional-Theorie [6] und erfordert die Definition eines vollständigen Satzes von paarweisen Austauschkopplungen zwischen den Mangan-Zentren durch Lösung des Gleichungssystems der assoziierten Spin-Hamilton-Operatoren. Lokale Spin-Erwartungswerte für jedes magnetische Zentrum werden durch wohldefinierte mathematische Manipulationen der Kramers-Dublett-Unterräume gelöst. Dies erlaubt die Berechnung der entsprechenden Spinprojektionskoeffizienten, die zu den effektiven isotropen und anisotropen Hyperfein-Kopplungen für jedes Zentrum führen. Durch Anwendung dieser Prozedur kann ein direkter Vergleich zwischen Theorie und Experiment durchgeführt werden.

Die Untersuchungen der letzten Zeit an Modellsystemen von Mangan-Dimeren mit gemischter Valenz [7, 8] wie auch an einem tetranuklearen Mangankomplex, der den S2-Zustand des OEC widerspiegelt [5], haben bestätigt, dass dieser Ansatz zuverlässig funktioniert. Somit wurde ein mächtiges neues theoretisches Werkzeug für die Analyse des OEC (und vieler anderer Systeme) etabliert.

Strukturmodelle für den Sauerstoff-bildenden Komplex (OEC)

Für die Struktur des Manganclusters im OEC sind zahlreiche hypothetische Modelle vorgeschlagen worden. Zu Beginn unserer Analyse haben wir alle in der Literatur veröffentlichten Strukturvorschläge gesammelt. Aus diesen ursprünglichen Mn4OxCa-Cluster-Topologien (Abb. 4) wurde, unter Berücksichtigung der unmittelbaren Proteinumgebung, eine Reihe von realistischen Strukturmodellen des OEC erstellt. Die Aufstellung der favorisierten Modelle berücksichtigt die neuesten spektroskopischen und kristallographischen Ergebnisse [2]. Die Geometrien der Modelle wurden anschließend quantenchemisch optimiert, um so zu realistischen Strukturvorschlägen zu kommen, deren Plausibilität anhand der berechneten spektroskopischen Eigenschaften überprüft werden kann [9].

Diese Berechnungen beleuchten die charakteristischen Aspekte der elektronischen Strukturen für den OEC und führten unmittelbar zu Zuordnungen für die Oxidations- und Spinzustände jedes einzelnen Mangan-Ions. Die berechneten Elektronenstrukturen wurden dann dazu genutzt, um die komplette Beschreibung der magnetischen Energiezustände jedes einzelnen Modells zu erhalten. Aus diesen Informationen konnten dann die beobachtbaren Größen, d.h. die spektroskopischen Parameter berechnet werden. Die Ergebnisse wurden dann mit dem experimentell am besten charakterisierten S2-OEC-Zustand abgeglichen.

Diese Berechnungen erlaubten zum ersten Mal die rigorose Bewertung möglicher Strukturmodelle des OECs im Hinblick auf ihre Fähigkeit, die spektroskopischen Eigenschaften des natürlichen Systems wiederzugeben. Es ist somit auf rationalem Wege gelungen, realistische (d.h. mit den experimentellen Daten im Einklang stehende) von unrealistischen Strukturvorschlägen zu unterscheiden. Somit erhält man ein genaues Bild (Abb. 5) der strukturellen Grundlage der für das Leben auf unserem Planeten wichtigsten chemischen Reaktion, dessen Detailtreue weit über die Möglichkeiten der Röntgenstrukturanalyse hinausgeht.

Die Berechnungen liefern aber noch viel mehr: Es ist anhand der theoretischen Ergebnisse möglich, Strukturmuster zu erkennen, welche sich in den spektroskopischen Eigenschaften der Cluster widerspiegeln und schlussendlich mit der Reaktivität des Systems korrelieren. Man beginnt damit, aus der zunächst verwirrenden Komplexität des OECs die elementaren Wirkprinzipien zu extrahieren. Man kann somit Fragen stellen und mithilfe der Theorie beantworten, die viel weiter gefasst sind und allein durch Experimente nur schwer oder gar nicht beantwortet werden können.

Schlussfolgerungen

Das Ziel der Forschungen am OEC ist es, ein vollständiges Verständnis der geometrischen und elektronischen Struktur des Clusters in den verschiedenen S-Zuständen zu erhalten. Man erhält dadurch in erster Linie in atomarer Auflösung ein Bild des Kok-Zyklus in Bezug auf Wasserbindung, Protonenaustausch und Sauerstoffbildung. Durch die Symbiose experimenteller Daten (wie sie in der Abteilung Lubitz erhalten werden) und unserer theoretischen Ergebnisse können dann die elementaren Wirkprinzipien extrahiert werden, welche zu Oxidation von Wasser bei gleichzeitiger Bildung von Sauerstoff führen. Das Fernziel ist es, die Erkenntnisse zu nutzen, um großtechnisch durchführbare, nachhaltige und saubere chemische Verfahren zu entwickeln, die der Photosynthese nachempfunden sind. Diese multidisziplinäre Forschung wird einen direkten Einfluss auf die Art und Weise haben, wie die Menschheit in Zukunft Energie erzeugt, speichert und verbraucht. Neueste Entwicklungen im Bereich der chemischen Katalyse geben hier durchaus Anlass zur Hoffnung. Wenn die künstliche Photosynthese gelingen sollte, wird die menschliche Gesellschaft schließlich die Chance haben, sich aus der umweltschädlichen und politisch unhaltbaren Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und der in ihren Risiken schlussendlich nicht zu beherrschenden Kernenergie zu befreien. Das Verständnis der Wasser-Oxidase in der Natur ist der Schlüssel zur Verwirklichung des Traums von einer Brennstoff-Produktion mit den billigsten und saubersten zur Verfügung stehenden Primärstoffen: Wasser, Kohlendioxid und Sonnenlicht. Aus unserer Sicht kann dieses ambitionierte Forschungsprogramm auf der Seite der Grundlagenforschung am besten durch eine synergistische Symbiose von chemischen Synthese- und Analyseverfahren mit den modernen Methoden der Quantenchemie realisiert werden.

W. Lubitz, E. J. Reijerse, J. Messinger:
Solar water-splitting into H2 and O2: design principles of photosystem II and hydrogenases.
Energy & Environmental Science 1, 15-31 (2008).
A. Guskov, J. Kern, A. Gabdulkhakov, M. Broser, A. Zouni, W. Saenger:
Cyanobacterial photosystem II at 2.9-Å resolution and the role of quinones, lipids, channels and chloride.
Nature Structural & Molecular Biology 16, 334-342 (2009)
L. V. Kulik, B. Epel, W. Lubitz, J. Messinger:
Electronic structure of the Mn4OxCa cluster in the S0 and S2 states of the oxygen-evolving complex of photosystem II based on pulse 55Mn-ENDOR and EPR Spectroscopy.
Journal of the American Chemical Society 129, 13421-13435 (2007).
S. Zein, L. V. Kulik, J. Yano, J. Kern, Y. Pushkar, A. Zouni, V. K. Yachandra, W. Lubitz, F. Neese, J. Messinger:
Focusing the view on nature's water-splitting catalyst.
Philosophical Transactions of the Royal Society B 363, 1167-1177 (2008).
D. A. Pantazis, M. Orio, T. Petrenko, S. Zein, E. Bill, W. Lubitz, J. Messinger, F. Neese:
A New Quantum Chemical Approach to the Magnetic Properties of Oligonuclear Transition-Metal Complexes: Application to a Model for the Tetranuclear Manganese Cluster of Photosystem II.
Chemistry - A European Journal 15, 5108-5123 (2009).
M. Orio, D. A. Pantazis, F. Neese:
Density functional theory.
Photosynthesis Research 102, 443-453 (2009).
M. Orio, D. A. Pantazis, T. Petrenko, F. Neese:
Magnetic and Spectroscopic Properties of Mixed Valence Manganese(III,IV) Dimers: A Systematic Study Using Broken Symmetry Density Functional Theory.
Inorganic Chemistry 48, 7251-7260 (2009).
D. A. Pantazis, V. Krewald, M. Orio, F. Neese:
Theoretical magnetochemistry of dinuclear manganese complexes: broken symmetry density functional theory investigation on the influence of bridging motifs on structure and magnetism.
Dalton Transactions 39, 4959-4967 (2010).
D. A. Pantazis, M. Orio, T. Petrenko, S. Zein, W. Lubitz, J. Messinger, F. Neese:
Structure of the oxygen-evolving complex of photosystem II: information on the S2 state through quantum chemical calculation of its magnetic properties.
Physical Chemistry Chemical Physics 11, 6788-6798 (2009).
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