Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Ultrakalte Wenigteilchensysteme

Autoren
Jochim, Selim; Lompe, Thomas; Ottenstein, Timo; Ries, Martin; Serwane, Friedhelm; Simon, Philipp; Wenz, André; Zürn, Gerhard
Abteilungen
Experimentelle Mehrteilchen-Quantendynamik (Prof. Dr. Joachim Ullrich)
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
Zusammenfassung
Das Verständnis von Systemen weniger Teilchen ist von entscheidender Bedeutung für die Naturwissenschaften. Wenigteilchensysteme auf verschiedenen Energieskalen zeigen gemeinsame charakteristische Eigenschaften, wie zum Beispiel die Schalenstruktur von Atomen und Kernen. Mithilfe von ultrakalten Atomen ist es möglich, generische Systeme zu realisieren, die auf vielfältige Weise manipulierbar sind. Ensembles weniger ultrakalter Atome können so dazu beitragen, bislang offene Fragen der Wenigteilchenphysik zu beantworten.

Experimente mit Gasen aus neutralen Atomen nahe am absoluten Nullpunkt der Temperatur haben in den vergangenen Jahren eine stürmische Entwicklung erlebt (Abb. 1). Diese ist hauptsächlich der vielseitigen Manipulierbarkeit dieser Systeme zu verdanken: Zum einen lässt sich die Wechselwirkung zwischen den Teilchen durch die geringe Temperatur und Dichte mit sehr einfachen Mitteln beschreiben und nach Belieben einstellen, zum anderen lassen sich aus Laserlicht auf einfache Weise fast beliebig geformte Potenziale realisieren, die als „Behälter“ für die Gase dienen. Solche Systeme zeigen universelle Eigenschaften, die nicht von der Verwendung eines speziellen Atoms oder Teilchens abhängig sind, und so Aufschluss über grundlegende Phänomene in vielen Gebieten der Physik geben können. So gelang es in den letzten Jahren, fundamentale Konzepte der kondensierten Materie zu studieren, zu allererst die Bose-Einstein-Kondensation.

Kontrolle über einzelne Atome

Während in den vergangenen Jahren das Hauptaugenmerk auf der Untersuchung thermodynamischer Systeme aus vielen Teilchen lag, kommen nun Systeme in Reichweite, deren Eigenschaften Atom für Atom kontrolliert werden können. Experimente in Heidelberg konnten dazu im vergangenen Jahr substantielle Beiträge liefern. Zunächst wurde dabei ein Dreikörpersystem untersucht, dessen Existenz bereits 1970 von V. Efimov vorhergesagt wurde, und nach dem in den verschiedensten Gebieten der Physik über Jahrzehnte gesucht wurde. In weiteren Experimenten gelang es, Systeme aus wenigen Atomen deterministisch in einem definierten Quantenzustand zu präparieren. Durch die Einstellbarkeit der Wechselwirkung zwischen den Atomen lassen sich Modelle quantitativ untersuchen, die schon seit vielen Jahren die Grundlage der Kern- und Atomphysik bilden.

Der Efimov-Effekt

Das quantenmechanische Dreikörperproblem stellt eine der grundlegendsten Herausforderungen der Physik weniger Teilchen dar. Vitalij Efimov hat in den 1970er- Jahren ein besonders spannendes aus drei Teilchen bestehendes System vorhergesagt, nach dessen Existenz seither in vielen Bereichen der Physik gesucht wurde. Der von Efimov vorhergesagte Effekt sagt die Existenz einer unendlichen Serie von gebundenen Zuständen aus drei Teilchen voraus, wenn die Anziehung zwischen zwei der drei Teilchen gerade groß genug wird, um sie aneinander zu binden (Abb. 2). Daher war eine wesentliche Voraussetzung für die Beobachtung dieser Zustände die Möglichkeit, die Wechselwirkung zwischen den zu bindenden Teilchen gezielt zu manipulieren. Diese Möglichkeit besteht in ultrakalten Gasen bei Temperaturen unter einem Mikrokelvin mithilfe sogenannter Feshbachresonanzen, die die Manipulation der Wechselwirkung durch Anlegen eines Magnetfelds erlauben. So wurde auch 2006 an der Universität Innsbruck zum ersten Mal die Existenz eines Efimovzustands bestehend aus drei ultrakalten Cäsiumatomen experimentell nachgewiesen. Dabei konnte beobachtet werden, bei welcher Wechselwirkungsstärke die Bindungsenergie des gesuchten Trimers genau Null wird. Bei dieser Wechselwirkungsstärke wird im Experiment eine Streuresonanz beobachtet. Ein direkter Nachweis des gebundenen Zustands konnte auf diese Weise allerdings nicht erbracht werden.

Für die Heidelberger Messungen bildeten zuerst auch Streuexperimente, in diesem Fall mit Lithiumatomen, die entscheidende Grundlage. Zunächst wurde auf diese Weise untersucht, bei welcher Stärke der Wechselwirkung gebundene Dreiteilchenzustände entstehen [1]. Die Ergebnisse wurden verwendet, um die Bindungsenergie der Zustände theoretisch vorherzusagen. Schließlich gelang der erste direkte Nachweis von Efimov-Trimeren mithilfe einer Methode, die bei der Untersuchung gewöhnlicher Moleküle etabliert ist: der Spektroskopie. In diesem Fall wurde sie mit Radiofrequenzfeldern durchgeführt, welche die Atome in einen anderen internen Zustand transferieren. Die Bildung eines Trimers verändert dabei die Frequenz, die erforderlich ist um diesen Transfer durchzuführen. Aus diesem Frequenzunterschied konnte dann die Bindungsenergie des Trimers extrahiert werden [2]. Diese Messungen erlauben es, Efimovs Vorhersagen quantitativ zu überprüfen.

Deterministische Präparation von Wenigteilchensystemen

In einer zweiten Serie von Experimenten wurden Ensembles von wenigen ultrakalten Atomen präpariert. Systeme, die aus einer kleinen Anzahl fermionischer Teilchen bestehen, sind die Bausteine der Materie. Dies reicht von aus drei Quarks bestehenden Nukleonen über Kerne zu Atomen. Die Eigenschaften dieser Systeme sind von der Natur eindeutig festgelegt, daher sind Messungen an diesen Teilchen im Prinzip perfekt reproduzierbar. Auf dieser Reproduzierbarkeit basieren zum Beispiel Atomuhren, die diese Eigenschaften mit extremer Präzision vermessen. Diese Reproduzierbarkeit bedingt allerdings auch, dass sich die Eigenschaften dieser Systeme nur sehr begrenzt manipulieren lassen. Deshalb wird mit einer Vielzahl verschiedener Ansätze daran gearbeitet, synthetische Wenigteilchensysteme mit einstellbaren Eigenschaften zu erzeugen. Beispiele für solche Systeme sind Quantenpunkte und atomare Cluster. In solchen Systemen ist allerdings die Reproduzierbarkeit der erzeugten Systeme und die Kontrolle über sämtliche quantenmechanische Freiheitsgrade eine bedeutende Herausforderung. In Experimenten mit ultrakalten fermionischen Atomen ist es im vergangenen Jahr gelungen, ein einstellbares Wenigteilchensystem reproduzierbar zu präparieren. Realisiert wird dieses System in einer wenige Mikrometer großen Falle, welche aus einem stark fokussierten Laserstrahl besteht. Diese Falle wird aus einem Reservoir von ultrakalten fermionischen Lithiumatomen gefüllt. Aufgrund des Pauli'schen Ausschließungsprinzips ist jeder Quantenzustand in dem kleinen Potenzial mit genau einem Atom besetzt, ganz analog zu den Elektronen in einem Atom. Die Teilchenzahl wird präpariert, indem man dem durch den Laserstrahl geformten Potenzial ein räumlich variierendes Magnetfeld überlagert. Die Lithiumatome besitzen ein magnetisches Moment und erfahren daher wie kleine Magneten eine Kraft, wodurch die Falle gekippt wird. Die Stärke des Kippens legt nun fest, wie viele Atome in dem angekippten Topf Platz haben und bestimmt somit die Zahl der verbleibenden Atome (Abb. 3) [3].

Besonders spannend wird dieses aus wenigen Atomen bestehende System dadurch, dass die Wechselwirkung zwischen den Teilchen nach Belieben eingestellt werden kann, so als ob man in einem Atom die Ladung der Elektronen variieren könnte. In diesem „künstlichen Atom“, in dem die Atome die Rolle der Elektronen und die Falle die Rolle des Atomkerns übernehmen, lassen sich nun eine Vielzahl theoretischer Modelle simulieren und testen.

T. Lompe, T. B. Ottenstein, F. Serwane, K. Viering, A. Wenz, G. Zürn, S. Jochim:
Atom-Dimer Scattering in a Three-Component Fermi Gas.
Physical Review Letters 105, 103201 (2010).
T. Lompe, T. B. Ottenstein, F. Serwane, A. Wenz; G. Zürn, S. Jochim:
Radio-Frequency Association of Efimov Trimers.
Science 330, 940-944 (2010).
F. Serwane, G. Zürn, T. Lompe, T. B. Ottenstein, A. N. Wenz, S. Jochim:
Deterministic preparation of a tunable few-fermion system.
Science 332, 336-338 (2011).
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