Forschungsbericht 2017 - Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung

Dünne Molekülschichten – Multitalente mit vielfältigen Funktionen

Thin molecular layers – multi-talents with many functions

Autoren
Schneck, Emanuel
Abteilungen
Biomaterialien, Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam-Golm
Zusammenfassung
Dünne Molekülschichten wie zum Beispiel biologische Lipidmembranen erfüllen in der Natur vielfältige Funktionen. Aber auch in der Technologie und Biotechnologie spielen Molekülschichten eine wichtige Rolle, etwa zur Verbesserung der Verträglichkeit von Fremdkörperoberflächen oder zur Reduktion von Reibungskräften. Die Abteilung Biomaterialien untersucht mithilfe moderner Röntgen- und Neutronenstreumethoden die Struktur solcher Molekülschichten, um Einblicke in deren Funktionsweise zu erlangen.
Summary
Thin molecular layers such as biological lipid membranes have diverse functions in Nature. But molecular layers play important roles in technology and biotechnology as well, where they improve, for instance, the biocompatibility of surfaces, or serve as lubricants and reduce shear friction. Researchers at the Biomaterials department use advanced x-ray and neutron scattering methods to structurally characterize such layers in order to obtain new insights into their functioning.

Zellen und die daraus aufgebauten Organismen bestehen zu einem großen Teil aus dünnen, funktionellen Molekülschichten. Ein Paradebeispiel dafür sind die nur wenige Nanometer dünnen biologischen Membranen, die bei der Zell-Kompartimentierung und beim Stoffwechsel vielfältige Aufgaben erfüllen. Die chemische Beschaffenheit der Membranoberflächen bestimmt dabei, wie die Membranen miteinander und mit ihrer Umgebung wechselwirken, ob sie etwa spontan Stapel bilden oder zum Angriffsziel anderer Biomoleküle werden können. Molekülschichten spielen aber auch in der Technologie, insbesondere der Biotechnologie, eine wichtige Rolle. Oberflächengebundene Polymere können zum Beispiel die Gleitreibung zwischen zwei Festkörperoberflächen verringern oder die medizinische Verträglichkeit von Implantatoberflächen und eingekapselten Medikamenten verbessern.

Forscher der Abteilung Biomaterialien untersuchen die Funktionsweisen biologisch und technologisch relevanter Molekülschichten. Dazu bringen sie Einzelschichten mit wohldefinierter molekularer Zusammensetzung auf nahezu atomar glatte, planare Festkörperoberflächen auf und untersuchen deren physikalische Eigenschaften und ihre Reaktion auf äußere Einwirkungen. Das Augenmerk liegt dabei auf der Struktur der Schichten (siehe Abb. 1), denn Strukturänderungen lassen besonders belastbare Rückschlüsse über die Funktion der Moleküle zu. Zur strukturellen Charakterisierung verwenden die Forscher moderne Röntgen- und Neutronenstreumethoden [1-3] und arbeiten darüber hinaus an deren Weiterentwicklung [4]. Zusätzliche Erkenntnisse werden mithilfe von Computersimulationen auf atomarem Detaillevel gewonnen [5].

Polymerfunktionalisierung gegen die Adsorption von Blutproteinen

Die unerwünschte Adsorption von Proteinen an Implantatoberflächen und eingekapselte Medikamente gilt als Auslöser von gefährlichen Abstoßungsreaktionen im Körper von Patienten. Will man die Proteinadsorption unterdrücken, werden medizinische Fremdkörperoberflächen daher häufig mit endgebundenen, hydrophilen Polymerketten, sogenannten Polymerbürsten, funktionalisiert. Dieser Ansatz führt jedoch nicht immer zum Erfolg. Mithilfe der Neutronenreflektometrie konnten die Forscher detaillierte Einblicke in das Adsorptionsverhalten von Proteinen aus menschlichem Blutserum an polymerfunktionalisierte Festkörperoberflächen gewinnen [1, 2]. Dabei zeigte sich, dass die Polymerbürsten die Adsorption keinesfalls vollständig unterdrücken (siehe Abb. 1). Vielmehr reichern sich bestimmte Blutproteine, deren Identität noch nicht geklärt ist, im äußeren Bereich der Bürsten sogar an, und zwar in Form einer sogenannten ternären Adsorption. Diese Ergebnisse stellen bisherige Erklärungsversuche der Funktionsweise der Bürsten in Frage und deuten darauf hin, dass deren Wirkungsweise möglicherweise in der Unterdrückung der Erkennung von adsorbierten Proteinen durch andere Blutproteine begründet ist [2].

Konformation wechselwirkender Polymerbürsten

Werden zwei ebene Festkörper innerhalb einer Flüssigkeit in flächigen Kontakt gebracht, dann hängt die Gleitreibung zwischen den beiden Oberflächen von deren chemischer Beschaffenheit ab. Dieser Zusammenhang spielt eine große Rolle bei der Schmierung von mobilen mechanischen Bauteilen, aber auch im medizinisch-biologischen Bereich, zum Beispiel bei Knochengelenken. Oft lässt sich die Gleitreibung durch eine Funktionalisierung der Oberflächen mit Polymerbürsten reduzieren. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob sich die gegenüberliegenden Bürsten gegenseitig durchdringen oder ihre Ausdehnung sich auf die eigene Hälfte des Oberflächenzwischenraums beschränkt. Auch diese Fragestellung haben die Forscher mithilfe der Neutronenreflektometrie adressiert, da sich mit keiner anderen Methode die Konformation wechselwirkender weicher Oberflächen so präzise bestimmen lässt, ohne sie durch die Messung selbst zu verfälschen. Für die untersuchten Systeme aus hydrophilen Polymeren mittlerer Bindungsdichte zeigte sich, dass die gegenseitige Durchdringung stark ausgeprägt ist [3]. Einfache, häufig verwendete theoretische Modelle beschreiben zwar den abstoßenden Druck zwischen solchen Oberflächen sehr gut, berücksichtigen jedoch die gegenseitige Bürstendurchdringung nur unzureichend.

Stabilität von Membranstapeln - Auf die Dipole kommt es an

In der Natur vorkommende Membranstapel, wie zum Beispiel die fotosynthetisch aktiven Thylakoid-Systeme, zeichnen sich durch hohe Zuckerlipidanteile aus. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Phospholipiden besitzen die Zuckerlipide anstelle eines einzelnen, großen elektrischen Dipols eine Vielzahl kleiner Dipole in ihrer Kopfgruppe (siehe Abb. 2). Die Forscher konnten nun zeigen, dass dieser Unterschied ausschlaggebend für die spontane Stapelbildung der Zuckerlipid-Membranen ist. Dazu haben sie experimentell gewonnene Druck-Abstands-Kurven zwischen verschiedenen Membrantypen mithilfe atomar aufgelöster Molekulardynamiksimulationen (siehe Abb. 2) zunächst reproduziert und dann analysiert. Die Analyse zeigte, dass die physikalischen Mechanismen, die Lipidmembranen in wässriger Umgebung normalerweise voneinander fernhalten, durch die Kopfgruppenarchitektur der Zuckerlipide unterdrückt werden und somit eine Stapelbildung begünstigt wird. Den entscheidenden Anteil daran hat die Wechselwirkung zwischen den Lipiden und den Wassermolekülen [5].

Seit Kurzem beschäftigen sich die Forscher zunehmend auch mit Molekülschichten an bakteriellen Oberflächen und mit Molekülschichten an technologisch wichtigen Grenzflächen zwischen verschiedenen Flüssigkeiten.

Literaturhinweise

Schneck, E.; Berts, I.; Halperin, A.; Daillant, J.; Fragneto, G.
Neutron Reflectometry from Poly (ethylene-glycol) Brushes Binding Anti-PEG Antibodies: Evidence of Ternary Adsorption

Biomaterials, 46, 95 (2015)

Latza, V. M.; Rodriguez-Loureiro, I.; Kiesel, I.; Halperin, A.; Fragneto, G.; Schneck, E.
Neutron Reflectometry Elucidates Protein Adsorption from Human Blood Serum onto PEG brushes

Langmuir, 33, 12708 (2017)

Rodriguez-Loureiro, I.; Scoppola, E.; Bertinetti, L.; Barbetta, A.; Fragneto, G.; Schneck, E.
Neutron Reflectometry Yields Distance-Dependent Structures of Nanometric Polymer Brushes Interacting across Water
Soft Matter, 13, 5767 (2017)
Schneck, E.; Scoppola, E.; Drnec, J.; Mocuta, C.; Felici, R.; Novikov, D.; Fragneto, G.; Daillant, J.
Atom-Scale Depth Localization of Biologically Important Chemical Elements in Molecular Layers
Proc. Natl. Acad. Sci. USA, 113, 9521 (2016).
Kanduc, M.; Schlaich, A.; de Vries, A.; Demé, B.; Jouhet, J.; Maréchal, E.; Netz, R. R.; Schneck, E.
Tight Cohesion between Glycolipid Membranes Results from Balanced Water-Headgroup Interactions
Nature Communications, 8, 14899 (2017)
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