Die Kartierung des Himmels

Das Universum steckt voller Materie, sichtbarer und vor allem unsichtbarer. Das Licht entfernter Galaxien muss auf seiner Reise zu uns den Raum durchmessen und wird von der Schwerkraft der darin enthaltenen Materie abgelenkt. Diese Art des Gravitationslinseneffekts verzerrt die Bilder – die kosmische Landschaft sieht aus wie durch eine unsauber geschliffene Glasscheibe betrachtet. Hat man möglichst viele Verzerrungen beobachtet, lässt sich daraus etwa auf die Masse der Materie im Raum zwischen uns und den fernen Galaxien schließen.

Die Technik funktioniert umso genauer, je mehr dieser Lichtquellen man beobachtet. Die besten Teleskope zeigen in einem Himmelsausschnitt von der scheinbaren Größe des Vollmonds rund 100000 Hintergrundgalaxien. Zur zuverlässigen Bestimmung der gravitativen Bildverzerrung benötigen die Astronomen das Licht von jeweils 200 Galaxien. Das bedeutet: Die kleinste Fläche, auf der man die „linsende“ Masse ermitteln kann, entspricht einer Größe von 0,2 Prozent der Fläche des Vollmonds.

Das mag gering erscheinen, übertragen auf die Dimensionen des Weltalls zeigt ein solcher Ausschnitt aber nur sehr grobe Strukturen wie die größten Galaxienhaufen. Außerdem wird es für die Kosmologen umso interessanter, je weiter sie in die Zeit zurückblicken. Dazu müssen die Hintergrundobjekte aber in möglichst großen Distanzen stehen; sie leuchten daher sehr schwach und lassen sich entsprechend schwer beobachten.

Eine Alternative zu den Hintergrundgalaxien sollte also drei Bedingungen erfüllen: weit entfernt, gut beobachtbar und zahlreich vorhanden. Ben Metcalf und Simon White vom Garchinger Max-Planck-Institut für Astrophysik schlagen daher Radiowellen vor aus einer Zeit, da die Galaxien noch gar nicht geboren waren. Diese Strahlung scheint es wirklich zu geben: Einige 100 Millionen Jahre nach dem Urknall bildeten sich aus Inhomogenitäten im neutralen Wasserstoffgas die ersten Sterne und Galaxien. Deren UV-Licht erhitzte das Gas, das daraufhin Radiowellen mit einer Wellenlänge von 21 Zentimetern abstrahlte. Seither hat sich der Raum ausgedehnt – und mit ihm sollten die Signale auf Wellenlängen von zwei bis 20 Meter angewachsen sein.

Dem Standardmodell des Urknalls zufolge wies der prägalaktische Wasserstoff unterschiedliche Strukturen auf, etwa knotenartige Verdichtungen, aus denen sich später Galaxien bildeten. Das Muster der Strukturen hat sich den Signalen aufgeprägt: In jeder Richtung sollte man laut Metcalf und White bis zu 1000 solcher Strukturen in unterschiedlichen Abständen finden. Ein Radioteleskop müsste in der Lage sein, sie auseinanderzuhalten und aus den Verzerrungen der Signale eine Karte der großräumigen kosmischen Materieverteilung zu erstellen. Deren Auflösung wäre 20-mal besser als bei den mithilfe von Hintergrundgalaxien gewonnenen Karten.

Die Sache hat nur einen Haken: Das Radioteleskop müsste sehr groß sein und eine Fläche von 1000 Quadratkilometern einnehmen – etwa 100-mal so viel wie der zentrale Empfangsteil des neuen elektronischen Teleskops LOFAR (MaxPlanckForschung 3/2010, Seite 6).  Aber aus „Fiction“ könnte in ein paar Jahren „Science“ werden: Denn, so haben Ben Metcalf und Simon White gezeigt, schon die geplante Radioanlage SKA mit einer Sammelfläche von einem Quadratkilometer sollte etwa der rätselhaften Dunklen Energie genauer nachspüren als jedes andere Instrument zuvor. Vielleicht wären die Forscher dann nah dran an der Lösung eines der größten kosmologischen Rätsel und wüssten, was die Welt im Innersten auseinandertreibt. Helmut Hornung

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