Forschungsbericht 2017 - Max Planck Florida Institute for Neuroscience

CRISPR/Cas9-basierte genetische Modifikation von ausdifferenzierten Nervenzellen im Gehirn

Autoren
Yasuda, Ryohei
Abteilungen
Arbeitsgruppe Neuronale Signalübertragung
Zusammenfassung
Mit der CRISPR/Cas9-Methode kann das Erbgut von Zellen präzise und effizient verändert werden, mit bisher unübertroffener Einfachheit und Schnelligkeit. Im Gehirn war CRISPR/Cas9 bisher nicht erfolgreich, weil die Methode bei älteren, ausdifferenzierten Zellen nicht funktioniert. Nun wurde entdeckt, wie man durch die Kombination von CRISPR/Cas9 und einem Virus die Effizienz der Methode um Größenordnungen steigern kann, sodass sie auch in ausgereiften, sich nicht mehr teilenden Nervenzellen funktioniert – und zwar unabhängig von der Gehirnregion, dem Zelltyp und dem Alter.

CRISPR/Cas9 revolutioniert die biomedizinische Forschung 

Die biomedizinische Forschung durchlebt seit einigen Jahren eine Revolution. Bahnbrechende neue Methoden erlauben es, mit höchster Präzision das Erbgut von Zellen umzuschreiben. Prozesse, für die man früher mehrere Jahre brauchte, können jetzt innerhalb von Wochen und Monaten erledigt werden. Allen voran steht die CRISPR/Cas9-Methode [1, 2], die es Wissenschaftlern erstmals erlaubt, gezielt, schnell und effizient Stücke aus dem Genom einer Zelle herauszuschneiden und durch völlig neue Sequenzen zu ersetzen. Die Möglichkeit, einzelne Gene gezielt an- oder auszuschalten oder gar umzuschreiben, erlaubt es Forschern, die Bedeutung einzelner Gensequenzen und die Wichtigkeit individueller Proteine nachzuvollziehen und zu entschlüsseln.

Die Grundlagen der CRISPR/Cas9-Technik sind überraschend simpel: Einmal in eine Zelle eingebracht, lokalisiert das CRISPR/Cas9-System eine spezifische Stelle im Genom, an der die DNA mit Hilfe des Cas9-Enzyms gezielt durchtrennt wird. Die Zelle versucht sofort, diese Schnittstelle auf eine von zwei Arten zu reparieren: Meist dominiert der einfache, aber fehlerbehaftete Mechanismus des non-homologous end joinings (NHEJ), bei dem die Schnittkanten ohne Reparaturanleitung wieder zusammengefügt werden, was häufig zur Beschädigung des genetischen Codes führt. Die Zelle beherrscht aber auch den präzisen, jedoch ineffizienteren Mechanismus der homologen Reparatur (HDR), bei der der Schaden an der Gensequenz anhand einer Schablone wieder repariert wird. Schmuggelt man der Zelle aber vorher eine modifizierte Reparaturvorlage ein, übernimmt die Zelle statt der Originalsequenz die vom Wissenschaftler gewünschten genetischen Änderungen und schreibt ihr eigenes Genom dabei um.

Während diese genetischen Techniken völlig neue Wege für die biomedizinische und Pflanzenzüchtungs-Forschung eröffnet haben, konnten die Neurowissenschaften bisher kaum von diesen bahnbrechenden Methoden profitieren. Das Problem dabei ist, dass in der Regel nur solche Zellen ihr Erbgut mittels HDR reparieren können, die noch aktiv Zellteilung betreiben. Während neuronale Vorgängerzellen sich im Gehirn noch aktiv vervielfältigen, endet dieser Prozess, sobald sie zu vollwertigen Neuronen ausgereift sind – was zum Zeitpunkt der Geburt bis auf wenige Ausnahmen abgeschlossen ist. Solange ausgewachsene Nervenzellen nicht dazu gebracht werden können, ihr Erbgut mittels HDR zu reparieren, versagen die Geneveränderungsmöglichkeiten von CRISPR/Cas9 in ausgereiften Gehirnen.

vSLENDR ermöglicht genetische Modifikationen von ausdifferenzierten Neuronen

Um dennoch das einzigartige CRISPR-Cas9-System im Gehirn einsetzen zu können, wurde die Behelfsmethode SLENDR (single-cell labeling of endogenous proteins by CRISPR-Cas9-mediated homology-directed repair) entwickelt [3]. Anstatt zu versuchen, CRISPR/Cas9 in ausgereiften Gehirnzellen zu etablieren, begannen die Forscher mit der Genmodifikation während der neuronalen Entwicklung des Gehirns im Mutterleib, bevor sich die neuronalen Vorgängerzellen zu erwachsenen Nervenzellen entwickelt hatten. Die heranreifenden Zellen waren noch empfänglich für CRISPR/Cas9, und sie behielten die HDR-vermittelten genetischen Änderungen auch nach ihrer Differenzierung zu Neuronen bei.

Während die Forscher mit unterschiedlichen Methoden zur Übertragung der benötigten CRISPR/Cas9-Komponenten experimentierten, haben sie eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Obwohl ausgereifte Neurone von sich aus keine homologe Reparatur betreiben, ist es dennoch möglich, „künstlich“ diese Art der DNA-Reparatur zu induzieren. Der Trick liegt in der Kombination von CRISPR/Cas9 mit einem Virus als Übermittler. Das Adeno-Assoziierte Virus (AAV) wird von Forschern oft als effiziente, nicht-toxische Methode benutzt, um genetisches Material einfach und unkompliziert in eine Zelle einzubringen. Auf Neurone angewendet, haben die Viren aber nicht nur hocheffizient die benötigten Gensequenzen eingeschleust, sondern sie haben gleichzeitig die Effizienz der homologen Reparatur innerhalb der Nervenzelle um Größenordnungen gesteigert, was auf einmal CRISPR/Cas9 Genmodifikation in ausgewachsenen Nervenzellen ermöglichte. Die Forscher haben die neu entwickelte vSLENDR-Methode (viral-mediated SLENDR; [4]) zuerst in transgenen Nervenzellen getestet, die eigenständig das Enzym Cas9 produzieren. Nach dem Einschleusen der Zielsequenzen und Reparaturschablonen mittels AAV in die Zellen konnten sie eine überraschend effiziente HDR in den postmitotischen Gehirnzellen beobachten, mit der spezifische Proteine in einzelnen Zellen markiert werden konnten (Abb. 1).

Um diese Methode weiter zu vereinfachen, wurde ein zweites Virus entwickelt, um zusätzlich die Gensequenzen zur Anleitung der Herstellung des Cas9-Enzyms einschleusen zu können. Mit diesem Doppel-Viren-System konnten nun auch in herkömmlichen Nervenzellen effiziente und spezifische genetische Veränderungen mittels homologer Reparatur hervorgebracht werden. Die Forscher haben gezeigt, dass vSLENDR erfolgreich in verschiedenen Nervenzelltypen in unterschiedlichen Gehirnregionen angewendet werden kann, und dies nicht nur in Zellkulturen und Gewebeschnitten, sondern auch in lebenden Mäusen und Ratten verschiedenen Alters. Insbesondere konnte vSLENDR erfolgreich im gealterten Gehirn eines Mausmodelles zur Untersuchung der Alzheimer-Krankheit eingesetzt werden (Abb. 2), was auf die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der neuen Methode bei der Erforschung zahlreicher neurologischer und neurodegenerativer Erkrankungen demonstriert.

Zusammenfassend ermöglicht vSLENDR erstmalig die unkomplizierte Anwendung der revolutionären CRISPR/Cas9-Methode beinahe uneingeschränkt in den Neurowissenschaften. Mit ihr sind präzise Veränderungen im Genom einer Nervenzelle möglich, und dies ungeachtet des Zelltypus, der Zelldifferenzierung, der Gehirnregion oder des Alters. Angefangen von der Grundlagenforschung bis hin zur medizinischen Therapie eröffnet vSLENDR völlig neue Möglichkeiten.

Literaturhinweise

Jinek, M.*; Chylinski, K.*; Fonfara, I.; Hauer, M.; Doudna, J.A.; Charpentier, E. 

*Co-first authors

 

 

A Programmable Dual-RNA–Guided DNA Endonuclease in Adaptive Bacterial Immunity

Science 337, 816–821 (2012)

 

Cong, L.*; Ran, F.A.*; Cox, D.; Lin, S.; Barretto, R.; Habib, N.; Hsu, P.D.; Wu, X.; Jiang, W.; Marraffini, L.A.; Zhang, F.

*Co-first authors

 

 

Multiplex Genome Engineering Using CRISPR/Cas Systems

Science 339, 819–823 (2013)

 

Mikuni, T.*; Nishiyama, J.*; Sun, Y.; Kamasawa, N.; Yasuda, R.
*Co-first authors

 

 

High Throughput, High Resolution Mapping of Protein Localization in Mammalian Brain by In Vivo Genome Editing

Cell 165(7), 1803–1817 (2016)

 

Nishiyama, J.*; Mikuni, T.*; Yasuda, R.

*Co-first authors

 

 

Virus-Mediated Genome Editing via Homology-Directed Repair in Mitotic and Postmitotic Cells in Mammalian Brain
Neuron 96(4), 755–768.e5 (2017)
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