Forschungsbericht 2010 - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht

Erbrecht in Europa

Wills and succession in Europe

Autoren
Basedow, Jürgen; Dutta, Anatol
Abteilungen
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg
Zusammenfassung
Im Oktober 2009 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung über das Internationale Erbrecht vorgelegt, die für den Bürger bei grenzüberschreitenden Erbfällen die Rechtssicherheit erhöhen und die Rechtsdurchsetzung vereinfachen soll. Mit einer ausführlichen Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag beteiligt sich das Hamburger Institut an einer europaweit geführten rechtspolitischen Diskussion und begleitet damit wissenschaftlich die fortschreitende Europäisierung des Internationalen Privatrechts.
Summary
In October 2009 the European Commission submitted a Proposal for a Regulation on international succession law which shall enhance legal certainty and facilitate the enforcement of rights for European citizens when faced with cross-border successions. With its comments on the Commission Proposal the Max Planck Institute for Comparative and International Private Law participates in a European-wide discussion and contributes academically to the increasing Europeanisation of private international law.

Die Ferienwohnung an der Costa del Sol, das Bankkonto in London, die Anteile an der Tochtergesellschaft in Polen – nach welchen Regeln gehen solche Vermögenswerte, wenn der Vermögensinhaber stirbt, auf die nächste Generation über? Und wie steht es mit dem inländischen Vermögen ausländischer Mitbürger in Deutschland? Die unterschiedlichen Erbrechte in Europa stellen die Bürger bei grenzüberschreitenden Erbfällen vor große praktische Schwierigkeiten. Der Freiheit des Erblassers, über sein Vermögen letztwillig zu verfügen, sind in jedem Land andere Grenzen gesetzt. Die Rechte des überlebenden Ehegatten unterscheiden sich, ebenso die Erbanteile der Kinder und sonstigen Erben. Uneinheitlich sind auch die zugelassenen Testamentsformen und die Möglichkeiten der Erben, ihre Berechtigung durch Erbschein nachzuweisen. Die Öffnung der Grenzen in der Europäischen Union, die Zunahme privater Vermögen seit dem Zweiten Weltkrieg und die Alterung der europäischen Bevölkerung haben die Bewältigung grenzüberschreitender Erbfälle zu einem drängenden Problem werden lassen.

Das Bedürfnis nach Vereinheitlichung

Dennoch harrt das Erbrecht bis auf den heutigen Tag einer Vereinheitlichung; sie ist auch wegen der großen Unterschiede und langen Tradition nicht sehr bald zu erwarten. Es kommt also darauf an, trotz der Unterschiede des materiellen Erbrechts Rechtssicherheit zu schaffen. Dies lässt sich durch eine eindeutige Bestimmung des maßgeblichen nationalen Erbrechts erreichen. Das Erbkollisionsrecht – das das im Einzelfall anwendbare Erbrecht bestimmt – und das Internationale Erbverfahrensrecht – das die Gerichtszuständigkeit der Staaten abgrenzt und die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Erbsachen regelt – sind jedoch bisher ebenfalls überwiegend im nationalen Recht geregelt, und zwar im Detail sehr unterschiedlich. Insbesondere die bisherigen Rechtsakte der Europäischen Union zum Internationalen Privat- und Verfahrensrecht vernachlässigen das Erbrecht: Seit dem Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen aus dem Jahr 1968 wird das „Gebiet des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts“ von den meisten europäischen Rechtsakten ausgeklammert, zuletzt etwa von der Rom-I-Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht.

Aber auch auf der internationalen Ebene wurde das Internationale Erbrecht bisher nicht vereinheitlicht, trotz reger Aktivitäten der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht auf diesem Gebiet. Die vorgelegten Haager Abkommen waren jedoch nur zum Teil erfolgreich. Das umfassende Haager Abkommen von 1989 über das auf die Erbfolge anzuwendende Recht wurde bisher nur von den Niederlanden einseitig in Kraft gesetzt. Andere Übereinkommen, wie etwa das Haager Nachlassverwaltungsübereinkommen von 1973, regeln nur Teilaspekte des Internationalen Erbrechts und wurden ebenfalls nur zurückhaltend von der internationalen Gemeinschaft aufgenommen. Nur das Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht von 1961 war bei der Kollisionsrechtsvereinheitlichung erfolgreich; dieses Übereinkommen gilt in den meisten Mitgliedstaaten.

Die bestehenden Unterschiede im Internationalen Erbrecht sind nicht zu rechtfertigen, insbesondere nicht innerhalb der Europäischen Union. Bereits Konrad Zweigert mahnte 1966 eine Vereinheitlichung des Erbkollisionsrechts in der damaligen Europäischen Gemeinschaft an. Auf längere Sicht würden „desintegrative Effekte ansonsten nicht ausbleiben“. Insbesondere der fehlende internationale Entscheidungseinklang erschwert eine rechtssichere Nachfolgeplanung, wenn vor den potenziell für den Erbfall zuständigen Gerichten unterschiedliche – im schlimmsten Fall nicht miteinander vereinbare – Erbrechte angewendet werden. Ein Erblasser, der seinen über verschiedene Staaten verstreuten Nachlass planen will, muss deshalb mit seinem Testament unter Umständen die Anforderungen von unterschiedlichen Rechten erfüllen. Auch laden die verschiedenen und sich überschneidenden Zuständigkeiten für Erbverfahren zu einem sogenannten forum shopping ein: Nicht das sachnahste Gericht wird von den Parteien in einem Erbrechtsstreit gewählt, sondern mitunter dasjenige, vor dem man meint, sein Rechtsschutzziel aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen am ehesten erreichen zu können. Auch erschweren unterschiedliche erbrechtliche Verfahren eine reibungslose Nachlassabwicklung: Nach einigen Rechten wird der Erbe mit dem Tod des Erblassers Inhaber des Nachlasses, nach anderen Rechten ist ein gerichtlicher Beschluss, eine Annahmeerklärung oder eine zwingende Nachlassverwaltung erforderlich. Doppelte Erbverfahren – und damit hohe Verwaltungskosten – können die Folge sein.

Das europäische Erbrechtsprojekt

Seit dem Wiener Aktionsplan von 1998 steht deshalb die Vereinheitlichung des Internationalen Erbrechts auf der Agenda des europäischen Gesetzgebers. Bereits ein von der Europäischen Kommission im Jahr 2005 veröffentlichtes Grünbuch zum Erb- und Testamentsrecht diagnostiziert einen offenkundigen Handlungsbedarf bei grenzüberschreitenden Erbfällen im Binnenmarkt.

Nach längeren Vorarbeiten und Konsultationen hat die Kommission im Oktober 2009 einen ambitionierten Vorschlag für eine europäische Erbrechtsverordnung vorgelegt. Er enthält nicht nur Regeln zu den klassischen Fragestellungen des Internationalen Erbrechts, wie der Frage des anwendbaren Rechts, der internationalen Zuständigkeit der Gerichte und der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen. Die Kommission schlägt auch Regelungen zur grenzüberschreitenden Abwicklung von Nachlässen vor, und – besonders spektakulär – sie empfiehlt, einen Europäischen Erbschein mit einheitlicher Wirkung in allen Mitgliedstaaten einzuführen. Der Kommissionsvorschlag markiert einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer modernen und kohärenten Kodifikation des Internationalen Privatrechts in der Europäischen Union. Damit wird indirekt das Modell eines europäischen Privatrechts skizziert, das die Vielfalt in der Union bewahrt und dennoch die Rechtssicherheit für die Bürger erhöht.

Die Stellungnahme des Instituts

Unter Federführung von Jürgen Basedow, Direktor am Institut, und Anatol Dutta, Referent am Institut, hat sich eine Arbeitsgruppe von neunzehn Wissenschaftlern aus allen Arbeitsbereichen des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht im Zeitraum Oktober 2009 bis März 2010 in regelmäßigen Arbeitssitzungen umfassend mit dem Vorschlag der Kommission auseinandergesetzt. Die daraus hervorgegangene Stellungnahme unterbreitet zahlreiche Änderungsvorschläge, die der größeren Praktikabilität der Lösungen dienen und ihre Akzeptanz in den Mitgliedstaaten erhöhen sollen.

In der Sache begrüßt das Institut die Initiative der Kommission. Neben zahlreichen Einzelvorschlägen spricht es sich besonders dafür aus, den Anwendungsbereich auszudehnen und die Privatautonomie zu stärken. So schlägt das Institut etwa vor, dem Erblasser zu gestatten, das auf seinen Erbfall anwendbare Recht, jedenfalls in einem beschränkten Umfang, zu wählen. Derzeit spielt die Parteiautonomie im Internationalen Erbrecht eine eher untergeordnete Rolle. Nur wenige Mitgliedstaaten lassen eine Rechtswahl des Erblassers zu, und wenn, dann nur beschränkt auf einige wenige wählbare Rechte. Der Kommissionsvorschlag – der die Erbfolge grundsätzlich dem Recht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers unterstellt – räumt dem Erblasser lediglich die Möglichkeit ein, das Recht seiner Staatsangehörigkeit zum anwendbaren Erbrecht zu bestimmen. Die Arbeitsgruppe des Instituts fordert den europäischen Gesetzgeber auf, dem Erblasser darüber hinaus zu gestatten, das Recht eines früheren Aufenthaltsorts, das Recht, das auf seinen Ehegüterstand anwendbar ist und – für Grundstücke – das Recht am Ort der Belegenheit des Grundstücks zu wählen. Nicht nur würde eine solche Rechtswahlmöglichkeit den Interessen des Erblassers dienen und vor allem sein Interesse an Rechtssicherheit und Stabilität des anwendbaren Erbrechts wahren – zwei Interessen, die zu einem gewissen Grad durch die von der Kommission vorgeschlagene Anknüpfung der Erbfolge an das wandelbare und mit gewisser Rechtsunsicherheit belastete Kriterium des letzten gewöhnlichen Aufenthalts hintangestellt werden.

Vor allem würde sich eine solche Rechtswahlfreiheit auch in eine allgemeine Liberalisierungstendenz im Internationalen Privatrecht einordnen – eine Tendenz, die immer mehr anerkennt, dass es nicht der Staat, sondern der Einzelne ist, der die kollisionsrechtlichen Interessen am besten beurteilen kann. Schließlich ist eine Rechtswahlfreiheit auch mit den allgemeinen Grenzen der Testierfreiheit des Erblassers vereinbar. Zwar wird die Testierfreiheit in den meisten Rechtssystemen durch Pflichtteilsrechte beschränkt. Aber die Interessen naher Familienangehöriger werden bereits bei der objektiven Anknüpfung nur sehr mittelbar wahrgenommen: Auch ohne Rechtswahl wird die Erbfolge an ein persönliches Merkmal des Erblassers – seinen gewöhnlichen Aufenthalt – und nicht etwa ein persönliches Merkmal der Familienangehörigen angeknüpft. Vor allem aber werden die Interessen naher Familienangehöriger ausreichend geschützt: Pflichtteilsrechte oder ähnliche Schutzmechanismen existieren in den meisten Rechtsordnungen.

Die umfangreiche Stellungnahme des Instituts wurde nebst einer Gegenüberstellung des Vorschlags der Europäischen Kommission und der vom Institut angeregten Änderungen in englischer Sprache in Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht veröffentlicht [1]. Sie folgt früheren Institutsstellungnahmen zu europäischen Gesetzgebungsprojekten im Internationalen Privatrecht, wie etwa den Stellungnahmen zur Rom-I-Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in den Jahren 2004 und 2007 sowie zur Rom-II-Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht im Jahr 2003.

J. Basedow, A. Dutta [coord.] et al.:
Comments on the European Commission’s Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction, applicable law, recognition and enforcement of decisions and authentic instruments in matters of succession and the creation of a European Certificate of Succession.
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 74, 522–720 (2010).
A. Dutta:
Stichwort „Erbrecht, internationales“.
In: Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. I. (Hg.) J. Basedow, K. J. Hopt, R. Zimmermann. Mohr Siebeck, Tübingen 2009, 420–425.
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