Wie das Leben auf die Erde kam

Die Frage nach der Entstehung des Lebens ist eines der grundlegenden Probleme der Wissenschaft. Wir haben zwar noch lange keine definitive Antwort, aber in den letzten Jahrzehnten haben sich einige interessante Möglichkeiten ergeben. Eine davon wurde in den 1980er-Jahren näher ausgearbeitet und postuliert eine „RNA-Welt“: Die genetische Information höherer Organismen wird in der Doppelhelix der DNA-Moleküle gespeichert. Darüber hinaus gibt es die eng verwandten RNA-Moleküle (Ribonukleinsäure), die in modernen Zellen eine herausragende Rolle spielen. Insbesondere katalysieren sie bestimmte chemische Reaktionen und sind für die Weiterleitung genetischer Informationen ebenso unentbehrlich wie für die Synthese spezifischer Proteine auf der Grundlage des genetischen Codes. Bei einigen Viren wird für die Speicherung der genetischen Information überhaupt keine DNA verwendet, sondern alle Informationen sind in Virus-RNA kodiert.

DNA und RNA

Die wichtigsten Bausteine von RNA und DNA sind die Nukleotide. In beiden Fällen bestimmt das Muster von Nukleotiden innerhalb der langen Kette die kodierte Information. Für DNA wird die Abfolge von Nukleotiden manchmal als Zeichenkette ausgedrückt. Dabei steht jedes Zeichen für eine der vier möglichen Nukleobasen: A für Adenin, C für Cytosin, T für Thymin und G für Guanin (CGATTCACGATTACTACA...). In RNA-Molekülen wird Thymin durch Uracil, U, ersetzt. Ein weiterer Unterschied: Während DNA in der Regel als die bekannte Doppelspirale auftritt, hat die RNA vielfältigere Erscheinungsformen – am häufigsten kommen einzelne RNA-Stränge vor, die in sich gefaltet sind und dabei recht komplizierte Formen annehmen können.

Die RNA ist für das Leben, wie wir es kennen, essenziell. Darüber hinaus hat sie aber auch Eigenschaften, die sie zu einem guten Kandidaten für frühere, primitivere Lebensformen machen – lange vor der Entstehung der ersten Zellen, ganz zu schweigen von vielzelligen Organismen. Die wichtigste Eigenschaft ist die der Selbstreplikation: RNA kann die richtigen Nukleotide zu einer Kopie von sich selbst zusammenfügen.

Frühe RNA-Welt

Das vielversprechendste gegenwärtige Szenario für die Entstehung des Lebens ist die Bildung von Nukleotidketten in Form von RNA, die sich selbst replizieren. Einfache Zellvorläufer entstehen dann, wenn sich Fettsäuren spontan zu Membranen zusammenlagern – eine Reaktion, die in Laborexperimenten bereits beobachtet wurde – und damit kleine, abgeschiedene Taschen bilden, in deren geschütztem Inneren komplexere chemische Reaktionen ablaufen können. Aus diesen einfachen Ansätzen entwickelten sich im Laufe der Zeit dann kompliziertere Mechanismen, insbesondere die der DNA-Replikation. 

Alle Komponenten dieses Szenarios sind derzeit spekulativ, und für jeden Schritt gibt es alternative Erklärungen und Modelle – auch für die Vorstellung einer RNA-Welt. Dennoch besteht eine realistische Hoffnung, dass sich in den nächsten Jahrzehnten eine Art Standardmodell für die Entstehung des Lebens etablieren wird. Dies erfordert aber nicht nur phantasievolle Szenarien, sondern konkrete Berechnungen und Experimente, die zeigen, welche Evolutionswege gangbar sind und welche nicht. Dabei werden Fortschritte auf ganz unterschiedlichen Forschungsgebieten erzielt: Zum einen sind immer mehr Hypothesen über den Übergang vom Vorleben zum Leben nun auch experimentellen Tests zugänglich, da unser molekularbiologisches Wissen zunimmt. Zum anderen gibt es spannende neue Entwicklungen an der Schnittstelle von Molekularbiologie und Astronomie.

In den letzten Jahrzehnten ist unser Verständnis, wie um junge Sterne herum Planetensysteme entstehen, beträchtlich gewachsen. Dieser Wissenszuwachs schließt auch die Evolutionsgeschichte der Erde und unseres eigenen Sonnensystems ein. Die neuen Ergebnisse profitieren dabei von der Entdeckungswelle neuer Planeten um andere Sterne als unsere Sonne (Exoplaneten) sowie von direkten Beobachtungen junger Planetensysteme, die erst mit der neuesten Generation von Teleskopen möglich wurden. Modelle der Planetenentstehung, einschließlich der chemischen Evolution neugeborener Planetensysteme, zeigen, welche Rahmenbedingungen unsere Erde für die Entstehung von Leben bot und wie Leben in anderen Planetensystemen hätte entstehen können.

Wo Astronomie, Chemie und Biologie zusammenkommen

Eine Studie der Astronomen Ben Pearce, Ralph Pudritz, Dmitry Semenov und Thomas Henning bringt nun Astronomie und präbiotische Chemie zusammen, um Licht auf die früheste Ära der RNA-Welt zu werfen: die Prozesse, durch die sich kurze RNA-Moleküle zu längeren Molekülen zusammenschließen konnten („Polymerisation“), die sich dann in einer späteren Phase der chemischen Evolution selbstständig zu vermehren begannen.

Längere RNA-Moleküle hervorzubringen ist nicht einfach und erfordert genau definierte Bedingungen. Ein mögliches Szenario sieht die ersten Schritte zum Leben in der Nähe hydrothermaler Quellen in der Tiefsee – Risse in der Erdkruste, aus denen Wasser strömt, das durch die tieferen, heißen Erdschichten erwärmt wurde. Dies wirft jedoch die Frage auf, wie sich unter diesen Bedingungen längere Polymere bilden konnten, denn die Polymerisation scheint einen Zyklus von nassen und trockenen Bedingungen zu erfordern, wie er im Ozean nicht gegeben ist. Unklar ist auch, wo unter diesen Bedingungen Stickstoff in geeigneter Form zur Verfügung stand, etwa in Form von Cyanwasserstoff (HCN) oder Ammoniak, welche für die Entstehung von Leben wichtig sind.

Warme Teiche als Alternative

Eine attraktive Alternative für den Geburtsort des frühen Lebens auf der Erde sind „kleine warme Teiche“: seichte, stehende Gewässer, in denen sich Chemikalien konzentrieren und unter wesentlich günstigeren Bedingungen miteinander reagieren können als in der Tiefsee.

Das gilt insbesondere für Teiche mit Wänden aus Ton oder anderen Mineralien, die bestimmte chemische Reaktionen begünstigen. Ein wichtiges Merkmal solcher Teiche sind Kreisläufe mit nassen und trockenen Phasen. Die entsprechenden Teiche würden immer wieder einmal austrocknen. Dabei werden die chemischen Inhaltsstoffe gehörig konzentriert, was Bindungen zwischen den Nukleotiden begünstigt. Später würde sich der Teich wieder mit Wasser füllen. Solche Zyklen dürften für die chemischen Reaktionen in solchen Teichen eine entscheidende Rolle spielen. Der Ausdruck „warmer kleiner Teich“ (“warm little pond“) geht übrigens auf eine der frühesten Spekulationen über den Ursprung des Lebens zurück: einen Brief von Charles Darwin an den Botaniker Joseph Hooker aus dem Jahr 1871.

Vor vier Milliarden Jahren dürften warme kleine Teiche allerdings noch vergleichsweise selten gewesen. Damals machten Ozeane einen sogar noch größeren Teil der Erdoberfläche aus als heute, und die ersten Kontinente, bestehend aus magmatischen Gesteinen aus dem Erdmantel, wie etwa Basalten, tauchten gerade erst auf. Gewaltige Vulkanausbrüche waren an der Tagesordnung, und die Atmosphäre wurde fast vollständig von vulkanischen Gasen dominiert. Woher könnten unter diesen Umständen die organischen Moleküle stammen, mit denen die Evolution der RNA-Welt ihren Ausgang nahm?

Lebensbausteine aus dem All

Eine plausible, vielleicht überraschende Antwort ist, dass die Bausteine für das erste Leben auf der Erde direkt aus dem Weltall kamen. Die Scheiben aus Gas und Staub, die junge Sterne umgeben, enthalten beträchtliche Mengen an Ammoniak (NH3) und Blausäure (HCN); beides Moleküle, welche den für die Bildung von Nukleobasen notwendigen Stickstoff liefern können. Eisbedeckte Staubpartikel in den äußeren Bereichen solcher Scheiben erweisen sich als erstaunlich produktive chemische Mini-Laboratorien: Tatsächlich zeigen Laborexperimente, wie sich Moleküle, die sich auf den eisigen Oberflächen solcher Staubkörner ansammeln, bei der Bestrahlung mit UV-Licht zu Nukleobasen verbinden; die Umgebung junger Sterne bietet dafür genau die richtigen Voraussetzungen.

Experimente zeigten auch, wie drei der fünf Nukleobasen (Uracil, Cytosin und Thymin) unter solchen Bedingungen spontan entstehen. Chemische Analysen an Meteoriten ergaben, dass diese tatsächlich beträchtliche Mengen von drei der fünf Nukleobasen (Guanin, Adenin und Uracil) enthalten. Modellrechnungen belegen, wie diese Nukleobasen während der Entstehung des Sonnensystems im Innern der „Elternkörper“ der Meteoriten, nämlich in großen Asteroiden, synthetisiert werden.

Meteoriten und Staubteilchen als kosmischer Kurierdienst

Zurück zu den kleinen warmen kleinen Teichen: Diese bieten ideale Bedingungen für komplexere RNA-Moleküle. Wie aber kommen die Grundbausteine – die Nukleobasen – in den Teich? Die Chemie der umgebenden Atmosphäre, dominiert von Kohlendioxid (CO2), Stickstoffgas (N2), Schwefeldioxid (SO2) und Wasser (H2O), ist in dieser Angelegenheit wenig hilfreich. Unter den Bedingungen auf der frühen Erde, die eine schwach reduzierende Atmosphäre aufwies, wird selbst der gelegentliche Blitzschlag – so wie im berühmten Miller-Urey-Experiment zu den Ursprüngen organischer Moleküle – keine nennenswerte Menge an Nukleobasen produzieren.

Meteoriten, die auf die Erde fallen, sind dagegen eine wesentlich ergiebigere Quelle: Damals, vor etwa 4 Milliarden Jahren, war der Meteoritenbeschuss der Erde zwischen 100 Millionen und 100 Milliarden Mal intensiver als heute. Jedes Jahr regneten zwischen einer Billion und einer Billiarde Kilogramm an Meteoritenmaterial auf die Erdoberfläche und deponierten dort geschätzte 2000 Kilogramm an unversehrten Kohlenstoffverbindungen, welche die kosmische Reise unbeschadet überstanden hatten.

Hinzu kommt ein Strom von interplanetarischen Staubpartikeln, die direkt auf die Erdoberfläche gelangen und ebenfalls die auf ihrer Oberfläche entstandenen chemischen Verbindungen mitbringen. Dieser Transportmechanismus ist zwar wenig spektakulär, dafür aber sehr effektiv: Er liefert geschätzte 60 Millionen Kilogramm intakter Kohlenstoffverbindungen pro Jahr.

Meteoriten-Lieferungen für warme Teiche: quantitative Rechnungen

Um ihr Szenario durch quantitative Daten zu stützen, haben Pearce und seine Kollegen ein detailliertes Modell berechnet. Aus einer rekonstruierten Geschichte der Einschlagkrater des Mondes leiteten sie drei mögliche Szenarien für Meteoriten-Bombardements der Erde ab: ein spätes Bombardement-Modell, in dem heftige Meteoriteneinschläge erst etwa 3,9 Milliarden Jahren vor unserer Zeit einsetzen sowie zwei weitere Modelle, die beide von einem früheren Beginn des Bombardements vor rund 4,5 Milliarden Jahren ausgehen. Die beiden letzteren berücksichtigen jeweils die minimale und maximale Menge an deponiertem Meteorit-Material, die mit den Beobachtungsdaten vereinbar ist.

Anschließend berechneten die Forscher die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die warmen kleinen Teiche mit einem beträchtlichen Anteil an Kohlenstoff enthaltenden Meteoriten (kohligen Chondriten) „geimpft“ wurden. Diese Meteoriten, die ursprünglich einen Durchmesser zwischen etwa 20 und 40 Metern haben, zerbrechen beim Durchqueren der Erdatmosphäre in kleine Stücke. Die Astronomen berechneten die Wahrscheinlichkeit, dass solche kleinen Stücke in der Nähe eines warmen kleinen Teichs auf der Erde landen (Teichdurchmesser: 1 bis 10 Meter) – nahe genug, damit ein Teil ihres organischen Materials in den Teich gelangt. Für diese Berechnung mussten die Forscher die Anzahl der warmen kleinen Teiche schätzen; sie gingen davon aus, dass solche Teiche damals ungefähr genauso häufig waren wie heute; allerdings gab es damals in den entsprechenden geologischen Entwicklungsmodellen insgesamt deutlich weniger Landfläche. Die Forscher wiederholten ihre Berechnung sowohl für zehnmal so viele Teiche als auch für ein Zehntel so viele. Sie ergab, dass Tausende von warmen kleinen Teichen auf diese Weise „geimpft“ und mit Lebensbausteinen versorgt worden wären.

Simulieren, was in warmen kleinen Teichen passiert

Was passiert mit den Nukleobasen, die per Meteorit oder Staubteilchen in einem solchen Teich angekommen sind? Viele davon gehen verloren: Im Wasser des Teichs können sich Nukleobasen schlicht auflösen (Hydrolyse). Ein Teil des Wassers sickert durch Poren in der Basaltbasis des Teichs und nimmt dabei Nukleobasen mit. Wenn der Teich austrocknet und seine Chemikalien als Sedimente abgelagert werden, spaltet die UV-Strahlung der Sonne Nukleobasen in einfachere Verbindungen (Fotodissoziation) – es sei denn, diese Nukleobasen werden zusätzlich durch eine Sedimentschicht geschützt.

Einerseits gehen also fortwährend Nukleobasen verloren, andererseits wird mit einer bestimmten Rate fortwährend neues Material im Teich deponiert. Daher kann nur eine quantitative Rechnung zeigen, ob unter solchen Umständen in hinreichend vielen Teichen genügend Nukleobasen übrigbleiben, um längere RNA-Ketten zu bilden.

Auch dies haben Pearce und seine Kollegen berechnet – angesichts des unsicheren Wissens über die frühe Erde mit einer ganzen Reihe von Variationen an den Umweltbedingungen – trockener und feuchter, heißer und kühler. Diese Bedingungen beeinflussen nicht zuletzt, wie schnell oder langsam sich die Nukleobasen zu RNA-Ketten zusammenfinden.

Lieferung von Bausteinen: Meteoriten, nicht Staubkörner

Das erste interessante Ergebnis der Studie ist, dass Meteoriten, nicht interplanetare Staubkörner, die Hauptquelle für jene Nukleobasen sind, welche die verschiedenen widrigen Bedingungen überleben. Der Grund dafür ist, dass die gleichmäßige Ablagerung von Staubkörnern in direktem Wettbewerb zum Verlust an Nukleobasen steht, etwa durch Versickerung oder Fotodissoziation. Meteoriten hingegen deponieren auf einen Schlag beträchtliche Menge an Nukleobasen. Das führt zumindest für kurze Zeit zu höheren Nukleobasen-Konzentrationen im Teich.

Wie sich herausgestellt hat, reicht die kurze Zeit mit höheren Konzentrationen bereits aus, damit sich aus Nukleobasen längere RNA-Moleküle bilden können. Diese wiederum gehen nicht so leicht verloren wie ihre kürzeren Verwandten: Insbesondere versickern längere RNA-Moleküle aufgrund ihrer Größe nicht durch typische Basaltporen. Haben sie sich erst einmal gebildet, können längere RNA-Moleküle überleben, um anschließend an komplexeren chemischen Reaktionen teilzunehmen. Den Ausgangsstoff dafür liefern Meteorite, nicht der stetige, aber schwache Strom an einfallenden Staubpartikeln aus dem Weltraum.

Warum Leben sich vergleichsweise schnell gebildet haben dürfte

Das Ablagerungsmodell hat interessante Konsequenzen für die Zeitskalen, auf denen Leben entstanden ist. Im Laufe der Zeit nimmt die Meteoritenrate nämlich schnell ab – für die Entstehung von Leben aus Meteoritenmaterial gibt es damit nur ein vergleichsweise kurzes Zeitfenster. Die meisten Lieferungen von Nukleobasen durch Meteoriten müssen ziemlich früh angekommen sein, bis etwa 4,17 Milliarden Jahre vor unserer Zeit. Demnach müsste sich die RNA-Welt auch schon früh gebildet haben, nämlich 200 bis 300 Millionen Jahre, nachdem sich die Erdoberfläche ausreichend abgekühlt hatte, um flüssiges Wasser zuzulassen – also Ozeane und Seen an der Erdoberfläche.

Die jetzt von Pearce und seinen Kollegen veröffentlichte Berechnung ist ein wichtiges Puzzleteil, um ein vollständiges, widerspruchsfreies und allgemein anerkanntes Modell für die Entstehung von Leben auf der Erde zu entwickeln. Sie liefert den Nachweis, dass Meteoriten eine wichtige Rolle dabei gespielt haben dürften, um die Bausteine des Lebens auf die Erde zu bringen. Darüber hinaus legt sie nahe, dass längere RNA-Stücke vergleichsweise früh in der Erdgeschichte entstanden sind. Das Szenario der Entstehung von Leben in warmen kleinen Teichen wird dadurch deutlich gestärkt gegenüber der konkurrierenden Hypothese, wonach der Ursprung des Lebens an den hydrothermalen Quellen in der Tiefsee liegt.

Zur Redakteursansicht