Exotische Inseln für magnetische Festplatten

Antiskyrmionen könnten einen Datenspeicher ermöglichen, der schnell, robust und sparsam im Energieverbrauch ist

Big Data ist ein Motor moderner Entwicklungen – in vielen Bereichen der Gesellschaft: Große Datenmengen helfen, die medizinische Versorgung zu verbessern, sie könnten die Industrieproduktion effizienter machen, und auf vielen Gebieten der Wissenschaft geht heute schon nichts mehr ohne sie. Voraussetzung dafür ist, dass sich Information in Form von Datenbits auf immer leistungsfähigeren magnetischen Festplattenlaufwerken speichern lässt. Eine Entdeckung von Wissenschaftlern der Max-Planck-Institute für Mikrostrukturphysik in Dresden und für chemische Physik fester Stoffe in Halle könnte helfen, Festplatten robuster, schneller und sparsamer im Energieverbrauch zu machen. Denn die Forscher haben in einem neuartigen Material einen bislang unbekannten Typ magnetischer Nano-Objekte entdeckt: das Antiskyrmion, das als magnetisches Bit in naher Zukunft einen Racetrack-Speicher – ein Festplattenlaufwerk ohne bewegliche Teile – Realität werden lassen könnte.

Die Cloud ist eine Kooperative der Informationsverarbeitung: Auf einer riesigen Anzahl magnetischer Festplattenlaufwerke, die über die ganze Welt verteilt sind, wird der überwiegende Teil der digitalen Daten gespeichert, und zwar in Form magnetischer Bits, der kleinsten Einheiten digitaler Daten. „Effizienter als auf herkömmlichen Festplatten, könnten sich die Daten auf einer radikal neuer Form von Halbleiterspeichern – den Racetrack-Speichern unterbringen lassen“, sagt Stuart Parkin, Direktor am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle. Das Konzept dafür hat der Physiker bereits vor einem Jahrzehnt vorgeschlagen.

Beim Racetrack-Speicher wird die Information in winzigen Abschnitten eines magnetisierbaren Nanodrahts gespeichert. Entscheidend sind dabei die Grenzen zwischen den Bereichen, die Physiker magnetische Domänen nennen. Ob sich die magnetische Orientierung dort ändert oder nicht, steht für die 1 oder 0 eines Datenbits. Die Domänen lassen sich mit kleinen Stromstößen im Draht vor- und zurückschieben, sodass sie einfach zum Schreib- und Lesekopf des Datenspeichers manövriert werden können. Weil sich der Schreib- und Lesekopf dann anders als in heutigen Festplatten nicht mehr bewegen muss, würde die Datenverarbeitung in Speichermedien nicht nur weniger empfindlich, sondern auch schneller und sparsamer im Energieverbrauch.

Ein Zaubermantel für magnetische Domänen

„Wir haben jetzt eine neue Form magnetischer Nanoobjekte, sogenannte Antiskyrmionen entdeckt, die sich für den Racetrack-Speicher besonders gut eignen könnte“, sagt Stuart Parkin. Diese Inseln mit einer speziellen magnetischen Ordnung entstehen erst in den Nanodimensionen, die magnetische Bits heute erreicht haben, nachdem sie in den vergangenen Jahrzehnten auf einer Milliardstel ihrer anfänglichen Größe geschrumpft sind. In solchen Nanoobjekten bestimmen Quanteneffekte das Geschehen. Sie können etwa bewirken, dass die Ränder der magnetischen Domänen exotische Eigenschaften annehmen, in einigen speziellen Materialien zum Beispiel topologische. Diese wirken wie ein Zaubermantel, der die magnetischen Wände gegenüber Störungen stabilisiert – Physiker sprechen von einem topologischen Schutz. Die Bits sind damit nicht nur weniger anfällig gegen äußere magnetische Felder, sondern auch gegen die Bewegung, die eine magnetische Ordnung bei höheren Temperaturen gerne durcheinanderbringt – sie könnten für die Speicherung von Daten also besonders nützlich sein.

Ein solches Objekt ist ein magnetisches Skyrmion, das eine winzige magnetische Insel von vielleicht 10 bis 100 Atomen umfasst und durch eine chirale Domänenwand von der Umgebung abgegrenzt wird. Der Begriff chiral stammt vom griechischen Wort für die Hand und beschreibt hier, wie sich die Orientierung der magnetischen Momente, die an den einzelnen Atomen sitzen, vom Zentrum der Insel zu ihrem Rand hin allmählich ändert. Die magnetischen Momente kann man sich als kleine Kompassnadeln vorstellen. In einem magnetischen Skyrmion drehen sie sich in spiralförmig gewunden Ringen. Die Drehung in einem Ring kann dabei in zwei unterschiedlichen Richtungen erfolgen. Das ergibt zwei räumliche Anordnungen der magnetischen Momente, die sich wie die linke und die rechte Hand nicht miteinander zur Deckung bringen lassen.

Antiskyrmionen lassen sich einfach durch einen Nanodraht schieben

Bis vor kurzem hatte man erst eine Art Skyrmion gefunden, das von einer chiralen Domänenwand umgeben ist, die in alle Richtungen die gleiche Form hat. Es wurden aber mehrere andere Skyrmionarten vorhergesagt, die noch nicht beobachtet wurden. Nun hat das Team aus Halle und Dresden eine zweite Art von Skyrmionen, die Antiskyrmionen genannt werden, gefunden. Sie unterscheiden sich von den Skyrmionen darin, dass sich die Chiralität in ihnen ändert, die beiden chiralen Formen, in den Skyrmionen auftreten können, vermischen sich in ihnen gewissermaßen. „Antiskyrmionen könnten sich für den Racetrack-Speicher besser eignen als Skyrmionen“, sagt Stuart Parkin. „Sie tragen nämlich auch den topologischen Zaubermantel, lassen sich aber anders als herkömmliche Skyrmionen mit einem Stromstoß einfach durch einen Nanodraht schieben.“

Gefunden haben sie Forscher die Antiskyrmionen in Heusler-Verbindungen, die in Claudia Felsers Abteilung am Dresdener Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe synthetisiert wurden. Diese Werkstoffen haben Claudia Felser und ihre Mitarbeiter in den vergangenen 20 Jahren intensiv erforscht. Eine winzige Untermenge dieser Heusler-Verbindungen besitzt genau die richtige Kristallsymmetrie, um zwar Antiskyrmionen bilden zu können, aber keine Skyrmionen. In diesen Materialien haben die Forscher aus Halle mithilfe eines hochempfindlichen Transmissionselektronenmikroskops, das speziell für den Nachweis kleinster magnetischer Momente modifiziert wurde, Antiskyrmionen über einen großen Temperatur- und Magnetfeldbereich erzeugt und nachgewiesen. „Besonders wichtig war dabei, dass wir die Antiskyrmionen selbst bei Raumtemperatur und in der Abwesenheit eines magnetischen Felds beobachtet haben“, sagt Stuart Parkin. Das sei eine wichtige Voraussetzung, um die magnetischen Obejkte als Datenspeicher einzusetzen: „Antiskyrmionen könnten daher sehr bald bei dem Racetrack-Speicher benutzt werden.“

Für Datenspeicher interessant könnten auch die magnetischen Objekte werden, die die Forscher nun suchen: antiferromagnetische Skyrmionen. Sie besitzen kein magnetisches Gesamtmoment und sind magnetisch daher fast unsichtbar, stören sich also nicht gegenseitig. Außerdem ließen sie sich noch einfacher in Nanodrähten hin – und her schieben.

PH

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