Der Klang der Ozeane

3. August 2017

Der Einfluss des Kalten Krieges auf Geophysik und Ozeanographie steht im Zentrum der Forschung von Lino Camprubí am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Der spanische Wissenschaftler forscht seit drei Jahren in Berlin und untersucht, wie die U-Boot-Überwachung die marine Akustik weiterbrachte. Im Interview berichtet er, was Meeresbiologen aus diesen Daten gelernt haben.

Interview: Ute Kehse

Herr Camprubí, Sie untersuchen die Geschichte der Unterwasserakustik. Wie begann diese Geschichte?

Vor dem ersten Weltkrieg gab es nur wenige Versuche, Unterwasserschall zu verstehen. Der Hauptzweck war zunächst die Kommunikation. Im 19. Jahrhundert war der Telegraf erfunden worden und man dachte, dass es vielleicht möglich wäre, auch unter Wasser zu kommunizieren. Es war bereits bekannt, dass die Schallgeschwindigkeit unter Wasser höher war als in der Luft. 1889 wurde das Hydrofon erfunden, ein Unterwasser-Mikrofon, mit dem man Schall unter Wasser empfangen kann. Als im ersten Weltkrieg erstmals U-Boote eingesetzt wurden, gewann diese Forschung  an Bedeutung. Dabei stellte sich heraus, dass es im Meer viele Geräusche gibt. Man fragte sich, warum die Ozeane nicht still sind, wie man es bis dahin gedacht hatte, sondern sehr, sehr laut.

Was hört man denn, wenn man ein Hydrofon ins Wasser hält?

Am häufigsten hört man Wind, Wellen, Sturm, Regen - aber auch Eis, das zerbricht. Das ist ein sehr eindrucksvolles Geräusch. Außerdem gibt es Zivilisationsgeräusche wie etwa Schiffsmotoren. Und natürlich hört man auch Meereslebewesen. Bei Ebbe machen zum Beispiel Knallkrebse mit einer ihrer Zangen sehr laute, klickende Geräusche, die fast wie eine Kastagnette klingen.  Wale und Delfine produzieren ebenfalls sehr interessante Geräusche.

Welche denn?

Meeressäuger erzeugen ein sehr breites Spektrum an Tönen, von den berühmten Gesängen der Buckelwale bis hin zu weniger schönen Klickgeräuschen, die Wale und Delfine für die Echolokation benutzen.

Was kann man über Tiere erfahren, wenn man diesen Geräuschen lauscht?

Als erstes kann man herausfinden, wo die Tiere sind. Die Fischerei-Industrie nutzt beispielsweise Sonargeräte, um Fische zu lokalisieren – die Trawler senden Schall aus und fangen das Echo auf, um den Fisch zu finden. Meeresbiologen können außerdem viel über das Verhalten von Tieren lernen. Manche Tiere betäuben ihre Beute durch Schall, wie etwa die Knallkrebse. Und Meeressäuger kommunizieren über Schall miteinander.

Sie sagen, dass die Unterwasser-Akustik eine neue Sicht auf die Welt eröffnet hat.

Genau. Vor dem 20. Jahrhundert hat man den tiefen Ozean nur als Ort betrachtet, an dem Fische leben. Der Zugang zur Tiefsee war sehr begrenzt. Aber durch die Akustik haben die Menschen die Ozeane zu ihrer Umwelt hinzugefügt. Das hat gute und schlechte Seiten: Die Fischerei kann wesentlich gezielter vorgehen, sie kann Fisch leichter finden. Wir können Öl offshore fördern und mit U-Booten um die Welt navigieren. Aber natürlich gibt es auch zahlreiche Nachteile: Indem wir die Ozeane akustisch erschlossen haben, haben wir sie in große Gefahr gebracht. Das größte Problem ist die Überfischung, und die Akustik spielt dabei eine große Rolle. Ein weiteres Beispiel ist der militärische Sonar, der die Orientierung von Walen stört. Es gibt jetzt insgesamt viel mehr Geräusche im Meer als früher.

Welche Rolle hat militärische Forschung für die Entwicklung der marinen Akustik gespielt?

Meiner Meinung nach kann man die Geschichte der Unterwasserakustik inklusive der Meeresbiologie nicht von der Militärgeschichte trennen. Während des Ersten und Zweiten Weltkrieges und im Kalten Krieg bestand der Hauptzweck des Hörens unter Wasser darin, U-Boote zu aufzuspüren. Und je besser die Hydrofone wurden, desto mehr Störgeräusche fingen sie auf. Die Klickgeräusche von Pottwalen etwa klingen wie ein Motor, weil sie sehr rhythmisch sind. Die US Navy hat ihre Mitarbeiter darin trainiert, Motorengeräusche von biologischen Klängen zu unterscheiden. Die Disziplin der marinen Bioakustik ist also teilweise aus den Bemühungen hervorgegangen, verschiedene Unterwasser-Geräusche zu klassifizieren. Das hatte vorher niemand systematisch getan.

Also war die wissenschaftliche Forschung zunächst eher ein Nebenprodukt der Militärforschung?

Ja. Auch die ersten Untersuchungen von Plankton und seiner Bewegung im Meer wurden von Ozeanografen durchgeführt, die sich mit der Überwachung von U-Booten beschäftigten. Man kann Plankton nur schwer sehen – aber die Schallwellen eines Sonars können durch große Ansammlungen von Plankton nicht hindurch, sie werden reflektiert.  Ozeanografen, die Ende der 1940er Jahre die Ausbreitung von Schall im Wasser untersuchten, entdeckten eine Streuschicht aus Plankton, die tagsüber sehr tief lag und nachts an die Oberfläche stieg. Daraus schlossen sie, dass es sich um eine biologische Schicht handeln muss.

Was haben Biologen noch aus militärischen Daten lernen können?

1960 installierte die US Navy das Sound Surveillance System, abgekürzt SOSUS, um sowjetische U-Boote weltweit zu überwachen. Es bestand im Prinzip aus Gruppen von Hydrofonen, die am Meeresboden installiert wurden. Sie lagen vor allem in Meerengen, also natürlichen Engpässen, die U-Boote durchqueren mussten. Dieses riesige Überwachungssystem war streng geheim. Erst nach Ende des kalten Krieges 1990 konnten zivile Wissenschaftler die Daten nutzen, zum Beispiel der Meeresbiologe Christopher Clark von der Cornell University. Als er die Daten sah, erkannte er, dass er damit die Wanderungsbewegungen von Walen verfolgen konnte.

Wie wichtig sind militärische Daten heute noch für die Unterwasser-Akustik?

Die zivile Ozeanografie ist in den letzten zwei Jahrzehnten sehr viel unabhängiger geworden. Aber es gibt immer noch Gebiete, in denen militärische Daten vielleicht in Zukunft für die Umweltforschung genutzt werden könnten. Im Südchinesischen Meer etwa baut China derzeit eine „akustische Mauer“ auf, im Prinzip ein großes Feld aus akustischen Sensoren. In den nächsten Jahrzehnten werden die Militärs dort eine Fülle von Informationen sammeln, die vielleicht auch irgendwann der Wissenschaft zugutekommen - wer weiß.

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