Ein Fundament für das Zentrum für Physik und Medizin

Max-Planck-Gesellschaft, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg und das Uniklinikum Erlangen schließen einen Kooperationsvertrag

Einen bislang zu wenig beachteten Faktor bei der Entstehung von Krankheiten nehmen Forscher künftig in Erlangen in den Blick: die Physik. Um etwa die mechanischen, elektrischen oder chemischen Prozesse bei Entzündungen oder Tumorerkrankungen genauer zu verstehen und auf diese Weise die Diagnostik und Therapie zu verbessern, wird dort das Zentrum für Physik und Medizin (ZPM) entstehen. Im Beisein der Bayerischen Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, Ilse Aigner, haben Vertreter der Max-Planck-Gesellschaft, der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und des Universitätsklinikums Erlangen am 25. Juli den Kooperationsvertrag für das Projekt unterzeichnet, das die Bayerische Landesregierung mit 60 Millionen Euro fördert. „Ich bin überzeugt, dass es im Zentrum für Physik und Medizin zu erstklassigen wissenschaftlichen Erfolgen kommen wird – Erfolge, die sich letztlich aber eben auch an einem medizinischen Fortschritt messen lassen müssen, der den Menschen – also vielleicht auch uns – zu Gute kommt“, sagt Max-Planck-Präsident Martin Stratmann.

Im Zentrum für Physik und Medizin werden Wissenschaftler mit physikalischen und mathematischen Methoden Veränderungen zwischen den Zellen untersuchen, die Entzündungen und andere Erkrankungen beeinflussen. „Die Forscher werden die grundlegenden physikalischen Prozesse in Lebewesen, wie etwa die Kommunikation und die Kräfte zwischen den Zellen in krankem Gewebe auf völlig neuen Wegen messen und modellieren. Durch das umfassende Verständnis, das wir so von diesen Vorgängen gewinnen, möchten wir neuartige Therapien und Medikamente ermöglichen“, sagt Vahid Sandoghdar, Direktor am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts und einer der Initiatoren des Zentrums.

Damit setzen sie einen neuen Akzent in der medizinischen Forschung und finden für diesen Ansatz in Erlangen die passenden Bedingungen: „Heutige Spitzenforschung verlangt neue Wege und innovative Kooperationen. Das Medical Valley und insbesondere Erlangen bietet hierfür ein optimales Umfeld. Hier wuchs bundesweit zum ersten Mal ein Max-Planck-Institut aus einer Universität heraus. Heute erwächst dem Max-Planck-Institut eine europaweit einzigartige Kooperation von Universität, Universitätsklinikum und Max-Planck-Gesellschaft“, sagt Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. „Damit gelingt der Sprung von der mathematischen, physikalischen und medizinischen Grundlagenforschung zur direkten Anwendung beim Patienten.“

Das ZPM wird zwei Welten zusammenführen

Der derzeitigen Planung zufolge soll das Zentrum eine neue Abteilung des Max-Planck-Instituts für die Physik des Lichts, zwei neue Lehrstühle für Biophysik und Mathematik in den Lebenswissenschaften, der neu zu besetzende Lehrstuhl für Medizinische Physik der FAU, sowie fünf weitere Forschungsgruppen beherbergen. Seinen Bau und die wissenschaftliche Erstausstattung fördert der Freistaat Bayern mit 60 Millionen Euro.

 „In unserem neuen Zentrum werden wir zwei Welten, die Physik und die Medizin, zusammenführen. Systemische und reduktionistische Forschungsansätze treffen sich, getragen von herausragenden Vertretern ihrer Disziplin und vom Willen, traditionelle Forschungskonzepte gemeinsam zu überwinden“, sagt Max-Planck-Präsident Martin Stratmann. Während Physiker ziemlich erfolgreich damit seien, ein System so weit zu reduzieren, bis sie präzise Fragen stellen können, die sie mit Experimenten beantworten können, müssten Mediziner systemisch vorgehen: Sie können der Komplexität ihres Untersuchungsobjektes nur gerecht werden, wenn sie nicht nur einen möglichst kleinen, genau definierten Ausschnitt der Vorgänge im Körper, sondern ein umfassenderes System betrachten, wenn nicht gar den Körper als Ganzes.

„Das neue Zentrum für Physik und Medizin wird an der Schnittstelle der beiden Disziplinen physikalische Prozesse ausloten, die bei Krankheiten eine Rolle spielen“, sagt Joachim Hornegger, Präsident der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. „Damit widmet es sich einer Aufgabe, die an der FAU Programm ist: über Disziplinen- und Organisationsgrenzen hinweg in exzellenten Forscherteams Problemstellungen gemeinsam anzugehen. Vom ZPM dürfen wir spannende Antworten auf medizinisch relevante Fragen der Biophysik, Biomathematik und Bioinformatik erwarten.“

Zielrichtung hin auf Diagnostik und Behandlung der Patienten

Die Fusion unterschiedlicher Forschungsansätze und die Kooperation zwischen sehr unterschiedlichen Disziplinen bringen auch einen Wandel in der wissenschaftlichen Kultur mit sich, der schon in der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages mitschwinge, wie Jürgen Schüttler, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität, erläutert: „Das Stichwort Kooperation signalisiert: Nicht jeder wurstelt vor sich hin, sondern jeder bringt seine besonderen Fähigkeiten, seine spezielle Expertise, seine innovativen Ideen ein in eine fruchtbare, synergistische Zusammenarbeit. Das Zentrum für Physik und Medizin ist transdisziplinär aufgestellt und bündelt die fachspezifischen Expertisen aller Beteiligten jenseits des immer noch weitverbreiteten fachbezogenen Schrebergartendenkens.“ Der Mediziner weist darüber hinaus auf einen weiteren wesentlichen Aspekt des Zentrums: „Zugleich ist das Zentrum für Physik und Medizin translational ausgerichtet, das heißt die Forschung, die im ZPM betrieben werden soll, hat eine klare Zielrichtung hin auf die Diagnostik und die Behandlung der uns im Universitätsklinikum Erlangen anvertrauten Patienten.“

Allein der Ort des Zentrums, das auf dem Gelände der Uniklinik gebaut wird, steht dabei für die Nähe zum Patienten und damit für eine Besonderheit des Vorhabens: „Das Zentrum für Physik und Medizin in Erlangen wird weltweit einmalig sein, da es Physiker und Mathematiker in unmittelbarer Nähe zum Universitätsklinikum mit Medizinern zusammenbringt“, sagt Vahid Sandoghdar. Die Lage des Zentrums hält auch Heinrich Iro, ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Uni-Klinikums, für einen großen Vorzug des Vorhabens: „Im neuen Zentrum können Grundlagenforschung und patientenrelevante Fragestellungen auf exzellente Weise miteinander verknüpft werden. Das geplante Gebäude zwischen den Kopfkliniken mit den Fächern Neurologie, Psychiatrie, Neurochirurgie sowie der Augenklinik und dem Internistischem Zentrum gewährleistet kurze Wege und engen Austausch zwischen Forschung und Klinik. Das bedeutet für unsere Patienten im Universitätsklinikum Erlangen, dass sie als erste von den Forschungsergebnissen des neuen Zentrums profitieren können.“

Eine Chance für Wissenschaft und Wirtschaft

Das Zentrum bringt aber nicht nur die Kooperation zwischen Physikern und Medizinern sowie die medizinische Versorgung von Patienten voran, sondern auch die Stadt Erlangen. „Ich freue mich, dass wir mit dem Kooperationsvertrag zum Zentrum für Physik und Medizin den nächsten Schritt auf dem Weg zu diesem Spitzenforschungsinstitut gehen“, sagt Oberbürgermeister Florian Janik. „Die hier geplante Kooperation zwischen Forschung und angewandter Medizin ist weltweit beispielhaft und eine tolle Chance für den Wissenschafts- und Forschungsstandort Erlangen.“

Die verstärkte Forschung an der Schnittstelle zwischen Physik und Medizin und die Entwicklung neuer diagnostischer Techniken könnten nicht zuletzt der Wirtschaft in der Gegend Impulse geben – darauf setzt auch Ilse Aigner: „Die gewonnen Erkenntnissen können durch die zahlreichen Unternehmen der Region, nicht nur der Medizintechnik, aufgegriffen und in marktfähige Produkte und Dienstleistungen übertragen werden. Das stärkt die Innovationskraft des Medical Valley und Bayerns internationalen Ruf als exzellenten Forschungs- und Hightechstandort.“

PH

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