Vielzweckgreifer haftet wie ein Gecko

Eine elastische Membran mit winzigen Noppen gepaart mit Unterdruck verleiht einem neuen Greifsystem hohe Haftkraft auch an gekrümmten Oberflächen

Roboter brauchen in der Regel einen Greifarm, der sich dreidimensionalen Oberflächen anpasst. Ein solcher Greifer sollte zwar möglichst weich sein, damit er sich an verschiedenste Formen anschmiegen kann, allerdings auch nicht zu weich, weil er sich sonst zu leicht wieder ablöst und Gewichte nicht lange trägt. Forscher um Metin Sitti vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart haben nun eine mit mikroskopischen Noppen versehene Membran nach dem Vorbild der feinen Härchen eines Geckofußes gefertigt und sie an einen saugnapfähnlichen Körper angebracht. Mittels Unterdruck passt sich dieser flexible Greifer so perfekt an verschiedenste Oberflächen an, dass sich die Last gleichmäßig auf die gesamte Kontaktfläche verteilte. Dadurch vermeiden die Forscher die sonst durch die Last auftretenden Spannungskonzentrationen an den Rändern, die zum Ablösen der Verbindung führen. Mit dem Greifer lässt sich eine 14-mal höhere Haftkraft als mit Greifern ohne diese Lastverteilung erzielen.

Der Gecko kann sich spielerisch an glatten Wänden oder kopfüber an der Decke fortbewegen. Dies gelingt ihm dank Millionen winziger Härchen auf der Zehenunterseite. Die Härchen haften über so genannte Van-der-Waals-Kräfte an nahezu allen Oberflächen. An jedem einzelnen Härchen sind diese Kräfte zwar äußerst schwach, in ihrer Menge summieren sich die Einzelbeiträge aber zu einer Gesamtkraft, die ein Vielfaches des Körpergewichtes der Echse tragen kann.

Technisch lässt sich die Haftkraft der Natur heute schon imitieren, beispielsweise mit Folien, die Hafthärchen nach dem Vorbild der Geckos auf ihrer Oberfläche tragen. Doch verhindert deren starre Rückseite bislang, dass sich die haftende Membran flexibel an gekrümmte Oberflächen anpassen. Selbst eine weiche Rückseite würde wenig nützen: Sie würde sich an den Rändern der Kontaktflächen ablösen, denn dort konzentrieren sich wie bei einem Tesafilm, den man abzieht, die Kräfte.

„Unser Ziel war es daher, die Last gleichmäßig über die gesamte Membran zu verteilen“, erklärt Sukho Song vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart und Erstautor der Studie. Der Trick: Die Forscher befestigen eine haftende Membran an einem flexiblen Greifer, sodass die Membran sich komplexen Formen anpassen kann. Dann erzeugten sie einen Unterdruck im Innern des Greifers. Dadurch passt sich dieser der zu greifenden Oberfläche an. Der Unterdruck verteilt die Last auf die gesamte Kontaktfläche der Membran. Dies verhindert, dass sich die Last an den Ränder des Greifers konzentriert, was ein leichtes Ablösen zur Folge hätte. „Ein weiterer Vorteil ist, dass sich der Greifer an das Objekt anpasst, wenn sich dieses verformt. Dadurch lösen sich keine Flächen ab, was zum Verlust der Haftkraft führen würde“, sagt Mitautor Dirk-Michael Drotlef. Bei einer starren Rückseite ist das nicht möglich.

Und noch eine Schwäche bisheriger Systeme wird durch die Stuttgarter Erfindung überwunden. Beim Geckofuß halten Millionen von Härchen bei weitem nicht Millionen Mal mehr Gewicht als ein einzelnes Härchen. Viele Härchen sind beispielsweise nicht optimal ausgerichtet oder erzielen keinen Kontakt mit der Haftfläche. Die Haftkraft steigt also nicht im gleichen Verhältnis wie die Fläche an. Bisher schneiden die meisten reversiblen technischen Haftsysteme auf gekrümmten Oberflächen deutlich schlechter ab als der Gecko. „Mit ähnlichen Systemen ohne den neuen Lastverteilungsmechanismus sind bislang nur 1,8 Prozent der maximal erreichbaren Haftkraft erreicht worden“, sagt Drotlef. „Unser Greifer erreicht 14-Mal so viel, also etwa 26 Prozent“, sagt Drotlef.

Damit kommt er dem natürlichen Vorbild sehr nahe und erfüllt wichtige Anforderungen für technische Anwendungen. In Tests hat ein münzgroßer Greifer nicht nur ein etwa 300 Gramm schweres, mit Flüssigkeit gefülltes Glasgefäß gehalten, sondern auch eine Tasse an verschiedenen Punkten, unter anderem am Griff, sowie Tomaten und eine 140 Gramm schwere Folienverpackung. Man kann also von einem echten Vielzweckgreifer sprechen.

Ein weiterer Vorteil ist die rückstandsfreie Haftung, wie sie z.B. in der Mikrochipherstellung wichtig ist, wo kleinste Verunreinigungen vermieden werden müssen. Roboter wiederum könnten sich mit dieser Technik auf unterschiedlich geformten Oberflächen fortbewegen, unabhängig davon, wie schmal diese sind. Einzig die Haftung an rauen Oberflächen macht den Forschern noch Probleme. Diesem Problem will sich das Stuttgarter Team nun zuwenden.

Christian J. Meier

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