Das kosmische Netz wird durchleuchtet

Astronomen vermessen mit dem Licht von Zwillings-Quasaren die Struktur des Universums

Die Materie im Raum zwischen den Galaxien bildet ein gewaltiges Netzwerk aus miteinander verbundenen Filamenten. Fast alle Atome im Universum sind Teil dieses kosmischen Netzes, die meisten davon direkte Überbleibsel aus seiner Geburtsphase. Jetzt hat ein Team unter Leitung von Forschern des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg die Feinstruktur des Netzwerks rund zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall vermessen – mit einer neuen Methode, die das All mithilfe von Paaren sehr heller, nahe beieinander stehender Quasare durchleuchtet. Die Ergebnisse helfen, die „Ära der Reionisierung“ im jungen Kosmos zu rekonstruieren.

Der Raum zwischen den Galaxien ist öde und leer. Dort finden sich in jedem Kubikmeter nur ein paar wenige Atome – Überbleibsel vom Urknall, mit dem das All vor etwa 13,8 Milliarden Jahren auf die Welt kam. Aber über das gesamte Universum gemittelt sind die meisten Atome Teil genau dieses verdünnten Gases: des kosmischen Netzwerks, dessen Filamente Milliarden von Lichtjahren lang sein können.

Nun haben Forscher erstmals die Feinstruktur dieses urtümlichen Wasserstoff-Netzwerks vermessen. Obwohl die kartierten Regionen mehr als elf Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sind, gelang es, Strukturunterschiede auf Größenskalen von nur einigen hunderttausend Lichtjahren zu identifizieren – vergleichbar der Größe einzelner Galaxien.

Dabei ist das intergalaktische Gas so stark verdünnt, dass es selbst kein nachweisbares Licht aussendet. Vielmehr  haben die Wissenschaftler seine Struktur indirekt untersucht: Sie beobachteten, wie das Gas das Licht ferner Quasare verschluckt (absorbiert). Das sind Objekte, die eine relativ kurze, aber extrem leuchtstarke Phase der Entwicklung bestimmter Galaxien charakterisieren. Ein solcher Quasar – im sichtbaren Licht erscheint er als nahezu punktförmiger Kern einer Galaxie – setzt große Mengen an Energie frei; diese stammt letztlich von Materie, die in das zentrale supermassereiche schwarze Loch fällt.

Quasare sind damit so etwas wie kosmische Leuchttürme – helle, ferne Lichtquellen, die es den Astronomen erlauben, die intergalaktischen Atome zwischen Erde und Quasar zu untersuchen. Allerdings dauert die Quasarphase nur einen kleinen Bruchteil der Lebenszeit einer typischen Galaxie. Entsprechend selten lassen sich diese Objekte am Himmel finden. Und typischerweise sind sie Hunderte Millionen von Lichtjahren voneinander entfernt.

Um das kosmische Netzwerk auf deutlich kleineren Größenskalen zu untersuchen, nutzten die Astronomen extrem seltene, zufällige Anordnungen von Quasaren aus: Paare, die von der Erde aus gesehen dicht am Firmament nebeneinander stehen. Dann bestimmten die Wissenschaftler die Unterschiede der Lichtabsorption durch intergalaktische Atome entlang der zwei benachbarten Sichtlinien.

„Eine der größten Herausforderungen bestand darin, statistische Werkzeuge zu entwickeln, um die winzigen Unterschiede im Licht der Quasarpaare quantitativ zu beschreiben“, sagt Alberto Rorai, ehemaliger Doktorand am Max-Planck-Institut für Astronomie und Erstautor des im Fachmagazin Science erschienenen Artikels.

Rorai entwickelte diese Werkzeuge als Teil seiner Doktorarbeit, die er in Heidelberg anfertigte. Anwendung fanden seine Forschungen bei Quasarspektren, die an drei Observatorien aufgenommen worden waren: den Zehn-Meter-Keck-Teleskopen auf Hawaii, dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) mit acht Metern Durchmesser sowie dem Magellan Telescope am Las Campanas Observatory mit 6,5 Metern Durchmesser, beide in der chilenischen Atacamawüste gelegen.

Die Astronomen stellten ihre Ergebnisse dann Supercomputer-Rechnungen gegenüber, welche die Entwicklung kosmischer Strukturen vom Urknall bis zur Gegenwart nachstellen. „Unsere Simulationen liefern ein künstliches Universum, das sich direkt mit den Beobachtungsdaten vergleichen lässt. Ich habe mich sehr gefreut, dass die neuen Messungen zu den gängigen Vorstellungen passen, wie kosmische Strukturen entstehen“, sagt Jose Oñorbe, Postdoktorand am Heidelberger Max-Planck-Institut.

Auf einem einzigen Laptop würden diese komplexen Rechnungen fast 100.000 Jahre Rechenzeit beansprucht haben. Mithilfe moderner Supercomputer konnten sie die Wissenschaftler um Oñorbe binnen weniger Wochen ausführen.

„Die von uns beobachteten Strukturen auf diesen Größenskalen sind deshalb so interessant, weil sie Informationen über die Gastemperatur im kosmischen Netzwerk einige wenige Milliarden Jahre nach dem Urknall enthalten“, sagt Joseph Hennawi, Leiter der Forschungsgruppe, die mit dem Projekt am Max-Planck-Institut für Astronomie befasst war.

Nach heutigem Wissen durchlebte das Universum eine wechselvolle Jugend: Zunächst hatte sich das Weltall etwa 400.000 Jahre nach dem Urknall soweit abgekühlt, dass neutraler Wasserstoff entstehen konnte. Noch gab es praktisch keine Himmelskörper und damit kein Licht. Erst einige hundert Millionen Jahre später endete dieses „dunkle Zeitalter“. Es begann eine neue Ära, in der Sterne und Quasare aufleuchteten und energiereiche Ultraviolettstrahlung abgaben. Diese war so intensiv, dass sie den Atomen im intergalaktischen Raum ihre Elektronen entrissen – das Gas wurde erneut ionisiert.

Wann und wie genau diese Reionisierung ablief, ist eine der wichtigsten offenen Fragen der Kosmologie. Die neuen Messungen liefern interessante Hinweise darauf, wie dieses Kapitel der kosmischen Geschichte im Einzelnen abgelaufen sein könnte.

MP / HOR

Weitere interessante Beiträge

Zur Redakteursansicht