Faktencheck Jugendkriminalität

„13-Jähriger bedroht 12-Jährigen“, „Jugendliche randalieren und bepöbeln Passanten“, „17-Jähriger wirft Flasche nach Polizeibeamten“ – Schlagzeilen wie diese erreichen uns fast täglich und scheinen nahezulegen: Die Jugend wird immer gewalttätiger. Tatsächlich begehen Jugendliche mehr Straftaten als Erwachsene. Doch entgegen dem weit verbreiteten Gefühl der Bedrohung, sind heutige Teenager gesetzestreuer als frühere Generationen. Es lohnt sich daher, auf die Zahlen und Fakten hinter den Schlagzeilen zu schauen.

Wie kriminell sind Jugendliche?

Jugendkriminalität ist ein verbreitetes Phänomen, denn Jugendliche sind aktiver als Erwachsene und im Alter zwischen 12 und 17 drängt es viele danach, Grenzen auszutesten. In einer deutschlandweit repräsentativen Schülerbefragung unter Neuntklässlern aus den Jahren 2007/2008 gaben 44 Prozent der männlichen und 24 Prozent der weiblichen Befragten an, in den letzten 12 Monaten gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Dabei sind schwere Vergehen selten, die Mehrzahl begeht Delikte wie Ladendiebstahl, Vandalismus oder verkauft Raubkopien. Es gibt aber auch einige wenige Täter, vorwiegend männliche Jugendliche, die häufig gewalttätig werden und auch vor schwerer Gewalt nicht zurückschrecken.

Nimmt die Gewalt zu?

Nein, im Gegenteil: In Deutschland ist die Zahl der tatverdächtigen Jugendlichen zwischen 2006 und 2015 um 40 Prozent gesunken - und das nicht nur wegen des demografischen Wandels. Auch die sogenannte Tatverdächtigenbelastungszahl, die Anzahl der Tatverdächtigen pro 100.000 Einwohner der gleichen Altersgruppe, ist in diesem Zeitraum fast um ein Drittel zurückgegangen. Ein ähnlicher Trend lässt sich international beobachten. So haben die Straftaten von Jugendlichen in den USA, Kanada, Neuseeland, Großbritannien und den Niederlanden ebenfalls deutlich abgenommen.

Eine aktuelle Studie hat mehrere mögliche Ursachen gefunden, die sich international beobachten lassen und die dafür verantwortlich sein könnten: An erster Stelle steht ein verändertes Freizeitverhalten durch Smartphones und Onlinespiele. Wenn Jugendliche statt sich mit Gleichaltrigen zu treffen und auf der Straße unterwegs zu sein vor dem Bildschirm oder dem Touchscreen sitzen, ist es naheliegend, dass sie weniger straffällig werden.

Als weitere Faktoren identifiziert die Studie eine größere Zufriedenheit mit der eigenen Situation, eine geringere Akzeptanz von Kriminalität, einen niedrigeren Alkoholkonsum sowie höhere Sicherheitsvorkehrungen etwa zum Schutz vor Laden- und Autodiebstahl als früher. Welche Faktoren tatsächlich ausschlaggebend für die Entwicklung sind, lässt sich allerdings nicht eindeutig nachweisen.

Stimmen die Daten mit der Realität überein?

Das sogenannte Dunkelfeld, also Vergehen, die gar nicht angezeigt und registriert werden, ist grundsätzlich ein Problem von Kriminalstatistiken. Gerade die Entwicklung lässt sich bei manchen Delikten schwer bestimmen, weil unklar ist, ob tatsächlich mehr Verbrechen geschehen oder einfach mehr angezeigt werden. Im Bereich der Jugendkriminalität stieg etwa in den 1990er Jahren die Zahl der angezeigten Gewalttaten deutlich an. Schülerbefragungen, mit denen sich am besten Licht ins Dunkel bringen lässt, ergaben jedoch, dass die Jugendlichen in diesem Zeitraum nicht gewalttätiger geworden sind. Stattdessen zeigte sich, dass Jugendliche Gewalt weniger tolerieren und ihre Bereitschaft zugenommen hat, solche Taten bei der Polizei zu melden.

Die Entwicklung der letzten zehn Jahre, in denen die Jugendkriminalität deutlich gesunken ist, dürfte dagegen durchaus der Realität entsprechen. Zum einen ist die Bereitschaft, Straftaten anzuzeigen, weiterhin hoch. Zum anderen deutet die parallele Entwicklung in mehreren Ländern darauf hin, dass es sich um einen generellen breiten Trend handelt.

Sind Jugendliche aus ausländischen Familien gewalttätiger?

Aus Einwanderungsphasen in der Vergangenheit weiß man, dass die erste Generation von Einwanderern im Aufnahmeland nicht durch Gewalttaten auffällt. Kriminalität ist eher ein Problem der zweiten und dritten Migrantengeneration. Befragungsstudien und Untersuchungen aus anderen europäischen Ländern ergaben für Jugendliche mit Migrationshintergrund ein höheres Risiko, gewalttätig zu werden, als für einheimische Jugendliche. Das gilt für alle größeren Herkunftsgruppen, hängt also nicht mit einer bestimmten ethnischen Herkunft oder Religionszugehörigkeit zusammen. Betrachtet man allerdings zusätzliche Risikofaktoren wie geringere Schulbildung, eigene Gewalterfahrung oder die Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen, dann unterscheiden sich Jugendliche aus deutschen und ausländischen Familien in Sachen Gewalt nicht mehr wesentlich.

Insgesamt ist die Zahl der Gewalttaten bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund ebenfalls deutlich zurückgegangen. Studien aus Hannover und Duisburg – Städten mit vielen Migranten – haben gezeigt: Wenn junge Migranten gleichwertige Bildungschancen bekommen wie deutsche Jugendliche, gehen auch die Unterschiede in der Gewalttätigkeit zurück.

Ist Jugendkriminalität der Ausgangspunkt für eine kriminelle Karriere?

Auch wenn viele bei Jugendlichen gegen das Gesetz verstoßen, wächst sich dieses Verhalten in der Regel von selbst aus. Der Höhepunkt ist meist mit 14 oder 15 Jahren erreicht, danach nimmt die Neigung, rechtliche Grenzen zu überschreiten deutlich ab. Das gilt selbst für die meisten der sogenannten Mehrfach- und Intensivtäter, also Jugendliche die oft Straftaten begehen oder sehr gewalttätig sind. Eine Langzeitbefragung unter Duisburger Schülern hat ergeben, dass bei den 14- und 15-jährigen rund sechs Prozent als besonders kriminell einzustufen sind. Bei den 20-jährigen gab es nur noch 1,5 Prozent solcher Intensivtäter.

MEZ

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